Ob „Harry Potter”, „Game of Thrones”, „The Hunger Games”, „Twilight” oder „The Witcher” – diese beliebten und international bekannten Filme und Serien haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind zu Beginn Geschichten in Büchern. Die Umsetzung vom Buch zum Film oder zur Serie nennt man Filmadaption oder auch Literaturverfilmung. Der Prozess vom Kauf der Buchrechte über den Dreh bis hin zur Postproduktion ist sehr komplex und mit mehrstufigen Geldgeschäften verbunden. Doch wie genau läuft so ein Produktionszyklus ab?
Auch im Jahr 2021 werden einige Buchverfilmungen auf die Bildschirme gebracht. Bisher sind mindestens 28 Adaptionen bekannt, die ihre Premiere in diesem Jahr feiern werden, wobei sich die Veröffentlichungen aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie verzögern könnten. Im April erscheint zum Beispiel die Netflix-Fantasy-Serie „Shadow and Bone” nach Vorlage des gleichnamigen New York Times-Bestsellers sowie dessen Spin-Offs. Hinzu kommt im Oktober die mittlerweile vierte Neuverfilmung des erfolggekrönten Science-Fiction-Romans „Dune” aus dem Jahr 1965.
Neuartiger Trend oder historisches Vermächtnis?
Die Buchverfilmung ist keine moderne, originelle Erfindung der heutigen Zeit, die von Hollywood ins Leben gerufen wurde. Geschichtlich betrachtet gehören Literaturverfilmungen zu den ersten Filmen überhaupt. Mit der Entwicklung der ersten Kamera im 19. Jahrhundert gab es nur eingeschränkte technische Möglichkeiten, sodass dem Publikum lediglich bereits bekannte und leicht verständliche Inhalte geliefert werden konnten. Dabei orientierte man sich an geläufigen Klassikern der Weltliteratur, beispielsweise „Faust” oder „Kabale und Liebe”. Seit 1929 wird für besonders gelungene Literaturadaptionen der Oscar Academy Award for Best Adapted Screenplay verliehen. Auch heute sind Buchverfilmungen sehr beliebt. Im Jahr 2020 waren 40 Prozent der erfolgreichsten Kinofilme in Deutschland, gemessen an Besucherzahlen, Literaturverfilmungen. Auf Netflix landete die Miniserie „Das Damengambit”, nach dem gleichnamigen Roman, sogar auf Platz drei der erfolgreichsten Netflix-Serien 2020 weltweit. Von fast 270 US-amerikanischen Filmproduktionen des letzten Jahres beruhen 56 Werke auf einer Buchvorlage und nehmen damit circa 20 Prozent des Markts ein.
Von Rechten und Finanzen
Sind Produzenten oder Produktionsfirmen interessiert daran, ein Buch zu verfilmen, wenden sich diese zunächst an die Literaturagenten des Buchs. Diese können Mitglieder des entsprechenden Verlags sein, in dem das Buch erschienen ist, oder unabhängig agieren. Meist sind es die Bestseller, um die sich Produzenten bemühen. Inhalte, die schon eine große Masse begeistern konnten, senken das Risiko eines Misserfolgs.
„Ich habe immer darauf gesetzt, aus starken literarischen Werken erfolgreiche Kino- oder TV-Adaptionen zu machen. ‚A Court of Thorns and Roses‘ hat mich als eine einmalige Geschichte mit einer lebendigen Fanszene berührt und ich kann es nicht erwarten, wie diese farbenfrohe Welt zum Leben erweckt wird.”
– Peter Nademann über den Kauf der Filmrechte des Bestseller Buchs „Das Reich der Sieben Höfe“ von Sarah J. Maas.
Heutzutage ist es aber üblich, dass auch die Verlage oder Agenturen auf Produzenten zugehen. So wurden beispielsweise im Auftrag der Verlagsgruppe Bastei Lübbe die Filmrechte für „Er ist wieder da” vermarktet.
Meist werden die Rechte mit dem so genannten „Optionsvertrag” geregelt. Die Produzenten wählen Buchrechte für einen ausgewählten Zeitraum aus. In diesem entwickeln sie gemeinsam mit Filmdramaturgen ein Konzept, um schließlich herauszufinden, ob eine Adaption geeignet ist. Üblicherweise besteht der Standard-Optionsvertrag sechs bis achtzehn Monate, wobei dieser verlängert werden kann. Danach wird über den Preis für die Rechte verhandelt. Die Höhe der Kosten hängt davon ab, wie bekannt das Buch sowie dessen Autorin oder Autor sind. Entscheidend ist aber meist das Kaufinteresse der Produzenten. Laut Patrick Jacobshagen, Rechtsanwalt für Filmrechte, sollte beachtet werden, dass auch das Bearbeitungsrecht und das Recht zur Verwendung des Titels einzuräumen sind. Weiterhin würden Rechte für Fortsetzungen oder auch Merchandising und Werbung ausgehandelt. Erst, wenn diese Fragen geklärt sind, könne der Kaufvertrag abgeschlossen werden. Manchmal werde den Autoren anstelle eines Kaufpreises ein Anteil am Nettogewinn der Verfilmung angeboten, so Matt Knight, Anwalt für Geistiges Eigentum und Gründer von SidebarSaturdays.
Insgesamt sei eine Literaturverfilmung sehr kostspielig. Allein, die Buchrechte zu kaufen, nehme schon zwei bis vier Prozent des Produktionsbudgets ein. Davon seien zehn Prozent des Kaufpreises für den Optionsvertrag einzuplanen. Selbst dieser könne teilweise schon bis zu 50.000 US-Dollar betragen.
Ein steiniger Weg
Der Stoff eines Buches lässt sich nicht einfach unverändert in ein anderes Medium übertragen. Buch und Film sind eigenständige Kunstformen mit verschiedenen Zeichensystemen und Ausdrucksweisen. Die Geschichte, welche im Roman etwa 200 bis 800 Seiten erfordert, muss nun in maximal zwei Stunden erzählt werden. Serien lassen dabei etwas mehr Spielraum. Bei beidem, Film und Serie, besteht eine große Hürde darin, den Buchtext aus geschriebenen Wörtern in sich bewegende Bilder mit Sprache, Ton, Musik und Animation zu übersetzen. Dies erfordert, dass die Originalstory teils erheblich gekürzt und verdichtet werden muss. Handlungen, die über mehrere Seiten detailliert ausgeführt sind, werden nun schnell in einzelnen Bildern zusammengefasst. Die Drehbuchautoren sind gezwungen, die Entscheidung zu fällen, ob und welche Textstellen sie weglassen, ohne den Reiz der gesamten Dramaturgie des Buchs zu verlieren oder wichtige Ereignisse zu verzerren.
Schwierig ist weiterhin die Innenwahrnehmung der Romanfiguren. Gedanken und Gefühle müssen bildlich sichtbar gemacht, also in eine Außenwahrnehmung umgewandelt werden. Die Ansprüche an die Schauspieler sind groß. Sie sollten das Talent besitzen, die Wesenszüge der Buchcharaktere darzustellen. Optische Kleinigkeiten wie Augen- oder Haarfarbe sind nicht zentral, denn da wird gerne in die Trickkiste gegriffen und mit Kontaktlinsen und Perücken ausgeholfen. Doch allein die schauspielerischen Leistungen reichen nicht immer aus. Emotionen zu verkörpern, funktioniert oft nur, indem man Inhaltliches verändert und Rückblenden, innere Monologe oder Requisiten hinzufügt. Da stellt sich meist die Frage, inwieweit man sich von der Buchvorlage entfernen sollte. Große Abweichungen werden von den Buch-Fans häufig als Qualitätsverlust wahrgenommen. So wird nach Ausstrahlung immer wieder im Netz über die Unterschiede diskutiert. Im Fall von „Die Bestimmung – Insurgent“, dem finalen Teil der Reihe, wurde das Ende im Film komplett neu interpretiert, was die Fans teils empörte und enttäuscht zurückließ. Oft wird schließlich verglichen und es heißt: „Das Buch war besser als der Film.“ Die Autoren sehen das in einigen Fällen jedoch anders:
„Ich finde es nicht schlimm, wenn die Verfilmung eines Buches in mancher Hinsicht von der Vorlage abweicht. Das Buch selbst ist ja immer noch da, der Film ersetzt es nicht. Es ist ein Mehrwert, wenn ein Film Neues bietet und Buch und Film sich ergänzen.“
– Autorin Kerstin Gier im Interview mit dem Nordkurier über ihre verfilmte Romantrilogie (Rubinrot, Saphirblau, Smaragdgrün).
Die wahrscheinlich größte Herausforderung ist aber die individuelle Wahrnehmung. Jeder Leser malt sich die Geschichte in seiner Fantasie aus. Diese macht es kompliziert, die Story so zu visualisieren, dass sie den Erwartungen der Allgemeinheit gerecht wird. Regisseur Eric Heisserer vergleicht diese Verantwortung mit dem „Tragen einer Fackel” für alle Dinge, die nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Publikum etwas bedeuten. Jeder habe einen eigenen Zugang in die Geschichte und eigene Lieblingsfiguren oder -beziehungen. Es sei schwer, alles unter einen Hut zu bekommen:
„You are trying to sort of carry the torch for the things that mean a lot not only to you but everyone else. And everyone has their own way into the story and everyone’s going to have their own favourite characters and favourite relationships and it is tough to protect all of that.”
– Eric Heisserer, Regisseur von „Shadow and Bone” über die Herausforderung der Adaption bei der New York Comic Con 2020.
Die Suche nach Westeros
Sind Lizenzen und Rechte geklärt, müssen geeignete Handlungsorte gefunden werden, die denen des Buches ungefähr entsprechen und die bildliche Atmosphäre verdeutlichen. Ein passendes Setting suchen „Locationscouts“, die sich intensiv mit der Vorlage auseinandersetzen und Orte nach künstlerischen Aspekten analysieren. Nach einer umfassenden Onlinerecherche besuchen sie die ausgewählte Location und dokumentieren diese mit Fotos und Videos. Wetterbedingungen und potenzielle Risikofaktoren werden überprüft und die Logistik hinsichtlich Anreise- und Parkmöglichkeiten, Stromanschlüssen, Versorgungsanlagen, Unterkünften sowie Gebühren oder Genehmigungen untersucht. Heute gibt es digitale Datenbanken, bei denen Motivgeber ihre Locations vermarkten, welche Kunden buchen können. Riesige Teams an Ausstattern bauen am passenden Ort spezielle Kulissen auf. Häufig wird in Kombination mit Green-Screen-Technik und Visual Effects gearbeitet, so etwa bei „Game of Thrones”:
Rolle der Buchautoren
Oftmals können die Autoren, nachdem der Kaufvertrag abgeschlossen wurde, die Verfilmung nicht weiter beeinflussen. Manche Verträge erlauben ihnen eine Beratungsrolle. In sehr seltenen Fällen schreiben sie selbst das Drehbuch und wirken als Co-Produzenten. Gillian Flynn blieb bei den Vertragsverhandlungen standhaft und hat die Chance bekommen, das Drehbuch zu ihrem Bestseller „Gone Girl” zu entwickeln. Die eingeschränkten Mitspracherechte führen unter anderem dazu, dass manche Autoren eine Verfilmung ihres Werks von Vornherein gänzlich ablehnen. So spricht zum Beispiel Nichola Yoon gegenüber Marketplace von einer Vertrauensangelegenheit, wenn das Projekt von Produzenten umgesetzt wird. Doch nur die Wenigsten halten ihre Bücher für unverfilmbar, denn Filme oder Serien lenken die Aufmerksamkeit automatisch auch auf die dazugehörigen Bücher und verhelfen damit bestenfalls zu Weltruhm.
„I think that it’s impossible to be an author and not fantasize about seeing your work adapted. It means to reach a much wider audience.”
„Ich denke, es ist unmöglich, Autorin zu sein und nicht davon zu träumen, dein Werk adaptiert zu sehen. Es bedeutet, ein viel breiteres Publikum zu erreichen.”
– Leigh Bardugo, Autorin von „Shadow and Bone” bei der New York Comic Con 2020.
Text: Lena Maria Friedrich, Grafik: Melanie Rothe, Video: YouTube/GameofThrones