Eine pinke Welle baut sich auf und rollt durch die Straßen vieler großer Städte. Sie trägt den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Veränderung. Über die ganze Welt breitet sich das Meer an Schildern und Bannern aus und das Rauschen der Sprechchöre dringt jedem ans Ohr: „Time’s up! Time’s up!“
Beiträge über Themen wie den Equal Pay Day, die Time’s Up Initiative, #Metoo oder den Women’s March breiten sich wie Lauffeuer in den sozialen Netzwerken aus und wecken dabei nicht nur die Aufmerksamkeit zahlreicher Sympathisanten, sondern auch von Skeptikern. Wieso Feminismus und der Wunsch nach der Gleichberechtigung der Geschlechter so wichtig sind, lässt sich gut an vielen Einzelfällen, am besten aber anhand von Zahlen verdeutlichen. Dabei geht es nicht nur um konservative, alteingesessene Branchen, denn auch die vermeintlich so innovative Medienbranche hat in Sachen Gleichstellung noch einiges aufzuholen.
Berufschancen im Film
Die Filmbranche erregt momentan besonders viel Aufmerksamkeit, indem vor allem die Großen Hollywoods ihre Plattform nutzen, um auf Missstände hinzuweisen. Frauen sind im Filmgeschäft stark unterrepräsentiert – auch in Deutschland. Der sich für filmschaffende Frauen einsetzende Verein ProQuote Film führt auf seiner Website Zahlen und anschauliche Grafiken an, die auf verschiedenen Studien zur Geschlechterverteilung in der deutschen Filmbranche basieren. Dabei wird deutlich, dass zur Entstehung von Kino- und Fernsehfilmen überwiegend Männer beitragen. So arbeiten im Bereich Ton 91 Prozent Männerteams, im Bereich Kamera sind es 85 Prozent und in der Regie 74 Prozent. Ausnahme bildet der Bereich Kostüm, in dem Frauenteams mit 81 Prozent stark überrepräsentiert sind. Zudem veröffentlichte der Bundesverband Regie bereits vier Diversitätsberichte, die zeigen, dass sich die Frauenquote über die letzten Jahre kaum verbessert hat. Im aktuellen Bericht von 2016 waren es für Kinoproduktionen 22 Prozent, für TV-Produktionen der ARD 19,3 Prozent und beim ZDF sogar nur 14,4 Prozent Frauenanteil.
Abgesehen von der ungleichen Verteilung der Geschlechter in den verschiedenen Berufsfeldern geht auch der Großteil von Filmfördermitteln an Männer. Der Deutsche Filmförderfond (DFFF) vergab 2016 von insgesamt 49,8 Millionen Euro nur 8,8 Millionen an Frauen und das, obwohl Filme aus weiblicher Hand von der Kritik keinesfalls schlechter bewertet werden, trotz niedrigerer Budgets. „In der Summe erhalten von Frauen inszenierte Spielfilme nur circa 65 Prozent der Fördersumme, die Männer für ihre Projekte bekommen“, stellt die Universität Rostock in einer Studie fest.
Wenig Förderung des weiblichen Nachwuchses
Doch fehlt es der Filmbranche nicht an qualifiziertem Nachwuchs. Vielmehr liegt das Problem offenbar an mangelnder Anerkennung weiblichen Potenzials. „Nur die Hälfte aller Frauen, die an Filmhochschulen ausgebildet werden, arbeiten in ihrem Beruf“, heißt es in der Studie Gender und Film der FFA beziehungsweise Gender und Fernsehfilm im Auftrag von ARD und ZDF aus dem Jahr 2017. Von beispielsweise 82 Prozent weiblicher Auszubildender im Bereich Montage finden sich nur 33 Prozent tatsächlich in diesem Beruf wieder. In den Bereichen Regie und Drehbuch halbiert sich der Anteil von jeweils über 40 Prozent der Auszubildenden auf 23 Prozent Frauen, die in ihrem gelernten Beruf arbeiten. Bei den Männern ist die Differenz nicht ansatzweise so hoch, teils liegt die Quote der Auszubildenden sogar unter dem Männeranteil der jeweiligen Berufe.
Die Ergebnisse aus der bereits erwähnten Studie Gender und Film der FFA zeigen also, dass ausgeglichene Geschlechteranteile rechnerisch durchaus möglich wären. Als Gründe für die Unterrepräsentation der Frauen werden hier unter anderem eine Risikoscheu der Branche und eine Stereotypisierung der Geschlechter angeführt. Laut Interviews und Onlinebefragungen wird die Besetzung von Schlüsselrollen mit bewährtem Personal in der eher risikoreichen Filmbranche bevorzugt. „Dementsprechend wird Frauen das nötige Durchhaltevermögen und die Durchsetzungskraft für Filmprojekte weniger zugetraut“, heißt es in der Auswertung. Christine Berg, die Leiterin der FFA-Förderbereiche, schließt aus den Ergebnissen: „Es gibt ein weibliches Potenzial in unserer Filmbranche, das nicht genug gesehen, gefördert und gefordert wird. Diesen Schatz müssen wir heben, um die Qualität des deutschen Films weiter zu stärken. Nur so ist Kino ein wahrer Spiegel unserer Gesellschaft.“
Wer auf der Hierarchietreppe nach oben steigt und sich umsieht, wird feststellen, dass er dort anstatt der Aussicht auf eine Menge erfolgreicher Frauen vor allem auf viel Testosteron trifft. Denn je höher man kommt, desto tiefer sinkt der Frauenanteil und das selbst in Branchen, die seit Jahren eigentlich von Frauen bevölkert werden. In der Buchbranche liegt der Frauenanteil laut einer Studie der BücherFrauen bei über 80 Prozent, ungefähr so hoch wie der Anteil weiblicher Auszubildender. Trotzdem findet sich nur ein Bruchteil dieser Frauen später in Führungspositionen wieder. Nach der Ausbildung und im Laufe der Karriere gehen dem Arbeitsmarkt viele qualifizierte Mitarbeiterinnen scheinbar verloren und das teils ohne klar ersichtliche Gründe. Der sogenannte „Women Drain“ ist ein Phänomen, das man in allen Branchen findet und das die Lösung des Problems nicht einfacher macht.
Ähnlich wie in der Buchbranche sind die Zahlen im privaten Rundfunk zu deuten. Eine Frauenquote von knapp über 50 Prozent wurde hier bereits vor Jahren erreicht, doch nur circa 38 Prozent der Frauen sind in Führungspositionen zu finden. Sieht man sich beispielsweise den aktuellen Vorstand der ProSiebenSat.1 Media SE an, so findet man unter den sieben Mitgliedern gerade mal eine Frau. Im Aufsichtsrat sind von insgesamt neun Mitgliedern nur drei weiblich.
Auch im Management der Mediengruppe RTL Deutschland ist nur eine Frau zu finden, nämlich die Geschäftsführerin Anke Schäferkordt. Personalchef Dirk Rauser äußerte sich in einem Interview mit horizont.net im Dezember 2017 dazu folgendermaßen: „Mit Anke Schäferkordt haben wir seit vielen Jahren eine Chefin an der Spitze unseres Unternehmens und auf den Ebenen darunter haben wir eine Reihe von Frauen in leitenden Funktionen. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass wir in diesem Bereich noch besser werden können und halten stetig Ausschau nach geeigneten Kandidatinnen.“
„Wir bilden noch nicht genügend die gesellschaftliche Wirklichkeit ab“
An qualifiziertem Nachwuchs sollte es dem privaten Rundfunk jedenfalls nicht mangeln bei einem Frauenanteil, der fast dem Wunschwert entspricht und im Durchschnitt leicht höher liegt als bei den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern (siehe Grafik).
Bei den Öffentlich-Rechtlichen liegt der Frauenanteil nach Angaben der ARD zwischen fast 50 Prozent beim RBB und 45 Prozent beim HR. Eine Ausnahme bildet RadioBremen mit einem Frauenanteil von fast 64 Prozent. In den ersten drei Führungsetagen, die in der Regel die Geschäftsleitung (Direktion und Intendant/innen), die Hauptabteilungs- und Abteilungsleitungen umfassen, geht der Frauenanteil dann allerdings bei den meisten Programmen stark zurück. Beim HR beträgt er dort nur noch 27 Prozent, während die 46 Prozent des RBB positiv auffallen.
Das Thema der ungleichen Geschlechterverteilung, vor allem in der eigenen (Film-)Produktion, scheint den Öffentlich-Rechtlichen allerdings bekannt zu sein. „Wir bilden noch nicht genügend die gesellschaftliche Wirklichkeit ab“, meinte Dr. Karola Wille, die aus Chemnitz stammende Intendantin des MDR, nach der ARD-Hauptversammlung im vergangenen November. Auch das ZDF sehe sich, wie die stellvertretende Programmdirektorin Heike Hempel, laut Zeit Online, im Gespräch mit der dpa äußerte, in der Position des Vorreiters. „Das Wichtigste ist, dass wir als Auftraggeber den Fokus darauf richten, wie unsere kreativen Teams, die wir beauftragen, zusammengesetzt sind. Es geht uns um Chancengleichheit und einen gleichberechtigen Zugang zum Markt“, so Hempel.
Frauen sind nicht nur in vielen Medien weniger vertreten als Männer, auch in Nachrichten kommen sie weit weniger vor: Alle fünf Jahre erscheint der umfangreiche Bericht des Global Media Monitoring Project (GMMP), in Deutschland durchgeführt von Journalistinnen des Journalistinnenbundes und von ProQuote, zwei Vereinen, die sich stark für die Repräsentation von Frauen einsetzen. Die aktuellen Zahlen richten sich nach einem mehr oder weniger durchschnittlichen Tag in der deutschen Nachrichtenlandschaft im Jahr 2015. Demnach handelten in allen Medienformen zusammengenommen nur 28 Prozent der deutschen Nachrichten von Frauen – im Vergleich zu 24 Prozent weltweit und 21 Prozent aus dem Bericht zu Deutschland von 2010. Da in Deutschland politische und gesellschaftliche Themen in den Nachrichten besonders häufig auftauchen, könnte diese Zahl auch mit der geringeren Menge der in der Politik vertretenen Frauen zusammenhängen.
Sieht man sich an, wer die Nachrichten präsentiert oder verfasst, findet man vor allem im Printbereich eine Lücke zwischen den Geschlechtern – nur 31 Prozent der Reporter und Reporterinnen waren hier Frauen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit gesehen, ist vor allem die Politikberichterstattung eine Männerdomäne, genau wie die Themenbereiche Sport und Wirtschaft. Ergänzend verdeutlichen die Statistiken von ProQuote Film, dass im deutschen Informationsfernsehen überwiegend männliche Gesichter auftauchen. Befragte Experten sind demnach zu 79 Prozent männlich, Sprecher zu 72 Prozent. Wenn Frauen zu sehen sind, dann nur bis zu einem bestimmten Alter. Das Ergebnis einer Studie der Universität Rostock von 2017: „In der nonfiktionalen Unterhaltung im deutschen Fernsehen sind Frauen über 50 unsichtbar.“
Neben den Frauenanteilen in verschiedenen Branchen geht es im Kampf um Gleichberechtigung auch um die Anerkennung weiblicher Leistungen. Besonders bei den letzten großen Preisverleihungen, wie den Golden Globes oder den Academy Awards, haben viele Schauspielerinnen in Hollywood darauf aufmerksam gemacht, wie wenig Frauen unter den zahlreichen Nominierten und Preisträgern in der Geschichte dieser prestigeträchtigen Auszeichnungen existieren. In Kategorien, die nicht geschlechtsspezifisch aufgeteilt sind, haben so vor allem Männer abgeräumt. Beispielsweise gingen nur rund elf Prozent aller bisher vergebenen Oscars an Frauen.
Frances McDormand, die diesjährige Oscargewinnerin für Best Actress in a Leading Role, hat im Zuge ihrer Dankesrede alle weiblichen Nominierten des Abends aufstehen und vom Publikum feiern lassen. So kamen abgesehen von den geschlechtsspezifischen Kategorien auf die 151 männlichen Nominierten insgesamt 47 Frauen, von denen nur vier tatsächlich auch einen Oscar gewonnen haben.
Nicht nur bei Filmpreisen liegen Frauen deutlich hinten. Unter allen bisherigen 114 Preisträgern des Literaturnobelpreises befinden sich 14 Frauen, was also bedeutet, dass im Durchschnitt nur etwa alle acht Jahre eine Frau gewinnt. Musikpreise wie der Grammy werden ebenfalls überdurchschnittlich oft an Männer vergeben. Nur 23 Prozent aller Gewinner und 21 Prozent aller Nominierten seit 1959 waren Frauen. Zwischen 2013 und 2018 lag die Zahl der weiblichen Nominierten sogar nur bei 9,3 Prozent.
Dass es möglich und notwendig ist, den Frauenanteil durch Gesetze und strukturelle Maßnahmen zu erhöhen, wird an den Zahlen sichtbar. Doch die immer noch zu geringen und in den letzten Jahren eher stagnierenden Werte in vielen Medienbranchen deuten darauf hin, dass noch mehr aktive Maßnahmen nötig sind.
Daher noch einmal zurück zu Frances McDormand und ihrer Oscarrede und besonders ihren beiden Abschlussworten: „Inclusion Rider“. Wie sie in ihrem Anschlussinterview erklärte, ist damit eine bisher eher unbekannte Klausel gemeint, in der Schauspieler und Schauspielerinnen sich einen gewissen Prozentsatz an Diversität der Besetzung des Filmes und der Mitarbeiter am Filmset zusichern lassen können. Neben beliebten Filmstars befinden sich vor allem Männer in der Position, bei Verhandlungen Forderungen zu stellen. Deshalb ist es umso wichtiger, Wert auf Repräsentation aller Gesellschaftsgruppen zu legen. Besonders essentiell sind gesellschaftliche Veränderungen – ein Aspekt, auf den die Medien großen Einfluss nehmen. Wie Frauen dort dargestellt werden, wirkt sich auch auf das Frauenbild in der Gesellschaft aus und dabei sollten sie selbst klar mitbestimmen können, letztlich auch in verantwortungsvollen Positionen in den Medien selbst. Nur so kann sich langfristig und wirkungsvoll etwas verändern.
Sie stehen bei Märschen am Mikrofon, laufen in schwarz über rote Teppiche und fordern mit lauten Stimmen das ein, was ihnen und allen Frauen zusteht: Gleichberechtigung, Selbstbestimmung. Wenn sie das nächste Mal rufen, dann sollten wir hinhören und erwidern: „Ja. Time’s up.“ Und zwar nicht nur in Hollywood.