Freiwillige doktern an Guttenbergs Titelverlust herum

von | 21. Februar 2011

Beim Abkupfern erwischt oder nur einfach ein paar Fußnoten vergessen – die Netzgemeinde versucht diese Frage fieberhaft auf dem Wiki GuttenPlag zu beantworten. Während der Minister die Hauptstadtpresse verärgert, vergleichen, übersetzen und kontrollieren tausende freiwillige Mitarbeiter die Doktorarbeit des CSU-Politikers auf Ungereimtheiten.

Über 70 Seiten sollen es mittlerweile sein, durch die Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zunehmend in Fußnöte gerät. Am Freitagmorgen erklärte der Verteidigungsminister vor, durch zufällige Anwesenheit ausgewählten Journalisten, einen vorläufigen Verzicht auf seinen Doktortitel, während das Gros der Hauptstadtpresse in den Räumen der Bundespressekonferenz vergeblich auf eine Erklärung wartete.

Überblick über kopierte Passagen online

Die aktuell umfassende Zusammenstellung und Analyse ist allerdings nicht etwa die alleinige Arbeit einer einzelnen Institution oder einer Einzelperson, sondern das Werk zahlreicher Internetnutzer auf dem Projekt GuttenPlag – einem Analyse-Wiki auf der Wikifarm Wikia. Über das Projekt wird in nahezu allen Medien berichtet: Tagesschau, Heute Journal, Drehscheibe Deutschland, Spiegel Online – griffen das Thema auf.

Erste Hinweise zu Ungereimtheiten veröffentliche die Deutsche Presse Agentur am Dienstagabend mit dem Verweis auf mehr Informationen in der kommenden Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Mehrere Zeitungen druckten am Mittwoch Auszüge der Dissertation, doch eine umfangreiche Analyse gab es nicht.

Google Doc durch Ansturm überlastet

Laut Wikia und den Initiatoren von GuttenPlag sollen sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Fachleute mit dem Vergleichen von Originalen und Kopie beschäftigt haben. Hauptsächlich in Blogs und Kommentaren wurde auf weitere Verstöße aufmerksam gemacht – zu dezentralisiert um das Gesamtwerk zu untersuchen. Zuerst dachten die Betreiber daran, die Analyse auf Wikipedia durchzuführen, doch entschied man sich für ein einfaches Google Doc. Gerade bei Studenten ist dieses kollaborative Werkzeug beliebt, es ermöglicht mehreren Person an einem Dokument gleichzeitig mitzuschreiben. In der Nacht zum Donnerstag wurden die meisten Fehler gefunden, ab diesem Zeitpunkt schalteten sich auch vermehrt weitere anonyme Mitarbeiter ein, die den Link zu dem Dokument verbreiteten. Das Google Doc wurde überlastet, sobald sich 100 Betrachter einloggten brach die Seite zusammen, eine andere Mitarbeitslösung musste gefunden werden.

Gute Erfahrungen hatten die Initiatoren schon mit dem Nethack-Wiki auf Wikia gemacht, darum entschlossen sie sich, de.guttenplag.wikia.com zu registrieren. Kurz darauf steigerte sich die Benutzerzahl in überproportionale Höhe. Laut Tim Bartel, Community Manager von Wikia, ergaben sich innerhalb von 24 Stunden 1,3 Millionen Page Views, 4.200 Kommentare und 6.000 Likes auf Facebook.


Wikia erwies sich diesmal als Analyse-Plattform. Sonst bietet Wikia Inhalte und Wikis zu Themen wie Lifestyle, Computerspielen, Entertainment oder Kochrezepten an – im Grunde alles, was nicht auf die neutrale Wikipedia-Enzyklopädie passt. Neben der Textanalyse wurden die Geschehnisse um den Bundesverteidigungsminister auch ausgiebig auf der Webseite kommentiert, in Diskussionen wurden ähnlich wie bei Wikipedia einzelne Textzeilen überprüft. Aber auch Häme und Spott gab es gegenüber dem Verteidigungsminister, so manches nicht ganz ernstzunehmendes Bild wurde dem Wiki hinzugefügt.

Trotz der im Augenblick hohen Benutzer erwarten die Initiatoren ein schnelles Abflauten der Aktivitäten. Dieser Internet-Hype sei vermutlich nur von kurzer Dauer. Für sie gehe es allerdings auch nicht um eine persönliche Schmutzkampagne, die wissenschaftliche Integrität eines Doktortitels stehe im Vordergrund. Auch deshalb wollen die Initiatoren anonym bleiben.

<h3>Bernhard Schmidt</h3>

Bernhard Schmidt