Ein Lauf am Theaterplatz spiegelt wider, wie sich eine Generation bewegt: spontan, digital organisiert, gemeinschaftlich und dabei trotzdem individuell. Wie sich in Runningclubs, Fitness und Lifestyle verdeutlicht, was Freizeit für junge Menschen inzwischen bedeutet.
Gegen 18 Uhr sammeln sich rund dreißig junge Menschen auf dem Theaterplatz in Dresden. Vor der Semperoper entstehen kleine Inseln aus Gesprächen, während eine Musikbox leise läuft. Einige dehnen sich, andere binden konzentriert ihre Schuhe. Viele sind allein gekommen, ein paar in Zweiergruppen. Die Stimmung wirkt zwanglos und gleichzeitig energiegeladen, als hätten alle schon den ganzen Tag darauf gewartet, endlich loszulaufen.
Leon, 24, und seine Freunde, die Organisatoren des Social Run Clubs, treten in die Mitte der Gruppe. Leon sagt ein paar kurze Worte zur fünf Kilometer langen Strecke, begrüßt die Neuen und erinnert daran, dass jeder sein eigenes Tempo laufen kann. Mehr braucht es nicht. Einige nicken, andere lächeln und jemand dreht die Musik ein kleines Stück lauter.
Dann gibt Leon das Zeichen. Die Gruppe setzt sich fast gleichzeitig in Bewegung. Zuerst noch ungleichmäßig, dann mit einem gemeinsamen Rhythmus über das Pflaster des Theaterplatzes. Zwischen Semperoper und Elbufer formt sich innerhalb weniger Meter eine kleine, energievolle Laufgemeinschaft. Später sagt Leon: „Es braucht nicht viel: ein Ort, eine Uhrzeit und Menschen, die Lust haben zu laufen. Wenn alle gemeinsam starten, findet man fast automatisch Anschluss. Der Rest entsteht von selbst.“
Junge Erwachsene suchen neue Wege in der Bewegung
Was auf dem Theaterplatz wie ein lockerer Laufbeginn wirkt, steht für eine Entwicklung, die weit über Dresden hinausreicht. Junge Erwachsene suchen verstärkt nach Bewegungsformen, die sich flexibel in ihren Alltag einfügen und ohne langfristige Bindung funktionieren. Nicht feste Strukturen, sondern situationsbezogene Entscheidungen bestimmen, wann und wie sie aktiv werden. Formate wie der Social Run Club passen zu diesem Bedürfnis nach Offenheit und unmittelbarem Zugang.
Wie stark sich dieses Verhalten bereits etabliert hat, zeigen aktuelle Erhebungen. Laut Bitkom nutzen 73 Prozent der Smartphonebesitzer:innen mindestens eine Gesundheits-oder Fitness-App, viele davon zur Trainingsplanung oder als Motivationshilfe. 60 Prozent geben an, dass sie sich dadurch häufiger bewegen. Gleichzeitig entstehen über digitale Kanäle neue soziale Räume. Rund 29 Prozent der App-Nutzenden finden dort sportbezogene Kontakte oder Gruppen, die sie im Alltag begleiten.
- Nutzen Fitness/Health-Apps 73%
- Bewegen sich häufiger durch Apps 60%
- Finden sportbezogene Kontakte 29%
Anteile junger Erwachsener, die Fitness-Apps nutzen und dadurch aktiver werden.; Grafik: Fabian Lindner; Quelle: Bitkom Präsentation Digital Health 2025
Diese Zahlen deuten darauf hin, dass Bewegung heute oft digital initiiert wird. Der Impuls entsteht nicht mehr über langfristige Planung, sondern über Momente, die durch Apps, Posts oder Benachrichtigungen ausgelöst werden. Offene Laufgruppen wie der Social Run Club greifen genau diesen Mechanismus auf. Sie bieten eine Möglichkeit, sich spontan anzuschließen, ohne Verpflichtungen einzugehen. Somit bilden damit eine Form von Gemeinschaft, die sich im Rhythmus der Teilnehmenden entwickelt.
Warum unverbindliche Formate so gut funktionieren
Einer, der diesen Wandel aus nächster Nähe beobachtet, ist Leon Richter. Er ist 24 Jahre alt, Mitorganisator des Social Run Club in Dresden und erreicht über Instagram mehr als 20.000 Follower. Die meisten Teilnehmende kennen ihn bereits aus seinen Storys, weshalb er ihnen selten völlig fremd erscheint.
Leon spürt die Veränderung in der jungen Sportszene deutlich. Viele der Menschen, die am Theaterplatz starten, berichteten ihm, sie seien zuvor kaum gelaufen. Einige kämen aus dem Fitnessstudio, andere aus keiner festen Sportstruktur. Entscheidend sei für sie weniger die Leistung als der Rahmen, die Sicherheit, nicht bewertet zu werden.
Was Leon beobachtet, spiegelt sich auch in aktuellen Studien. Laut Barmer-Arztreport ist eine leichte Zunahme körperlicher Aktivität bei jungen Erwachsenen zu verzeichnen, vor allem in Formen, die nicht an Vereine gebunden seien. Laut Bitkom planen 61 Prozent der jungen Erwachsenen ihr Training inzwischen über digitale Tools, häufig inspiriert durch Social Media.
Genau das erlebt Leon jede Woche. Viele entschieden sich erst am Tag des Laufs zur Teilnahme am Run, weil sie zuvor seine Story auf Instagram gesehen haben. Ein Post und eine offene Einladung reichen aus, um zwanzig oder dreißig, manchmal sogar mehr, Personen zu mobilisieren. Die Hürde sei erstaunlich niedrig. Leon sagt: „Viele trauen sich alleine nicht. Aber hier ist der Anfang leichter.
Perspektivwechsel: Fitnessstudio, Lifestyle und Social Media
Der Wandel zeigt sich nicht nur beim Laufen. Auch im Fitnessstudio beobachten Trainer:innen eine neue Dynamik. Jonas Stamm, 24, arbeitet in einem Dresdner Fitnessstudio und erlebt dort täglich, wie früh junge Menschen heute mit dem Training beginnen. Viele tauchen mit zwölf oder dreizehn Jahren erstmals auf der Trainingsfläche auf. Für Jonas hat das weniger mit sportlichen Ambitionen zu tun, sondern mit Selbstbild und Zugehörigkeit. Er meint: „Die meisten trainieren nicht für Leistung, sondern fürs Ego. Große Muskeln gelten als Statussymbol, und das Handy spielt dabei eine zentrale Rolle.“
Zwischen den Übungen säßen viele minutenlang am Bildschirm, verglichen sich, konsumierten Videos oder posierten für die Umkleide. Social Media beeinflusse das Training deutlich. Klassische Trainingspläne träten in den Hintergrund, stattdessen orientierten sich viele an viral gehenden Übungen oder ließen sich Programme von digitalen Tools erstellen. Jonas ergänzt: „Das Training wird dadurch insgesamt „wilder“, vieles wird einfach ausprobiert, weil es gerade trendet.“
Auch das Motiv habe sich verschoben. Für viele junge Erwachsene sei Fitness heute weniger ein klar definiertes Ziel als ein Lifestyle. Der Sport diene zunehmend als Ausdruck von Identität, Selbstbewusstsein und sozialer Verortung. Jonas beobachte, dass Sport von vielen genutzt werde, um sich selbst zu zeigen und zu positionieren. Für ihn sei das nicht per se negativ, es verändere jedoch die Art und Weise, wie junge Menschen in Bewegung kämen. Leistung sei selten der Ausgangspunkt. Entscheidend sei vielmehr der Wunsch, sichtbar Teil einer Szene zu werden.
Klassische Strukturen treffen auf flexible Lebensrealitäten
Während Runningclubs und Fitnessstudios auf spontane Teilnahme und individuelle Freiheit setzen, arbeiten Sportvereine mit ganz anderen Strukturen. Mitgliedsbeiträge, feste Trainingszeiten und langfristige Bindungen prägen das klassische Modell. Die Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes zeigt, dass sie insgesamt stabil aufgestellt sind, in der Altersgruppe der 14- bis 27-Jährigen jedoch nicht mehr die Entwicklungen früherer Jahrzehnte erreichen. Viele Vereine berichten von stagnierender oder leicht rückläufiger Bindung junger Erwachsener.
Jan Riedel kennt diese Herausforderungen. Er arbeitet im Dresdner SC, einem Verein, der stark im Leistungssport verankert ist. Die neuen Bewegungsformen sieht er nicht als Konkurrenz. „Runningclubs funktionieren anders. Der DSC bildet Leistungssportler aus – das sind zwei unterschiedliche Welten“, sagt er. Die größeren Verschiebungen beobachtet er im Breitensport: Vor allem Kinder- und Seniorensport seien stark nachgefragt, häufig stärker, als es Hallenzeiten und Kapazitäten zulassen.
Dass junge Erwachsene sich häufiger für offene und kurzfristige Formate entscheiden, könne Riedel nachvollziehen. Vereine funktionieren über Kontinuität, Gruppenstrukturen und langfristige Betreuung. Gleichzeitig betont er, dass diese traditionelle Vereinslogik nach wie vor wichtige Aufgaben erfülle, etwa in der sportlichen Ausbildung von Athletinnen und Athleten.
Dennoch verändere sich auch der DSC. Ein Beispiel ist das Heinz-Steyer-Stadion, das einmal pro Woche ein offenes Training ermöglicht, frei zugänglich und ohne Mitgliedschaft. Für Riedel zeigt dieses Format, wie Vereine sich öffnen können, ohne ihre Grundstrukturen aufzugeben. Wichtig sei vor allem die Ansprache. Junge Zielgruppen erreiche man heute über digitale Kanäle, mit klarer Kommunikation und niedrigschwelligen Einstiegen. Aus seiner Sicht ergänzten sich Vereine und freie Gruppen eher, als dass sie miteinander konkurrierten. Beide böten Zugänge zu Sport, nur auf unterschiedlichen Wegen.
Bewegung als Teil einer neuen sozialen Kultur
Was sich in Runningclubs und Fitnessstudios zeigt, geht über Sport im engeren Sinn hinaus. Für viele junge Erwachsene wird Bewegung Teil eines Lebensgefühls. Sie ordnen ihren Alltag um, mischen Training, soziale Kontakte und digitale Selbstdarstellung zu einem Stil, der zugleich individuell und gemeinschaftlich funktioniert. Social Media spielt dabei eine doppelte Rolle. Es ist Impulsgeber und Schaufenster, aber auch Vergleichsraum. Jonas beschreibt, dass viele eher trainierten, um sichtbar zu sein, als um ihre Leistung zu steigern. Sport werde zu einem Element, über das man sich positioniere und zuordne.
Die Daten aus dem Ernährungsreport deuten in dieselbe Richtung. Dort geben vor allem junge Befragte an, dass ein gesundheitsorientierter Lifestyle wichtiger wird und Ernährung, Bewegung und Körperbewusstsein stärker aufeinander abgestimmt werden als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig zeigt der Sportentwicklungsbericht, dass sich viele Formen von Bewegung wünschen, die sich ohne großen Aufwand in den Alltag integrieren lassen. Feste Trainingszeiten finden in diesen Routinen oft keinen Platz. Entscheidend sei für viele die Möglichkeit, sich nach Bedarf anzuschließen, ohne vorher planen zu müssen.
Im Kern geht es um Zugehörigkeit. Nicht im traditionellen Sinne, in dem man sich für Jahre an einen Verein bindet, sondern als temporäres, leicht zugängliches Gemeinschaftsgefühl. Ein Ort, an dem man sich zeigt, misst und gleichzeitig aufgehoben fühlt. Diese Form der Freizeitgestaltung verändert, wie junge Menschen sich bewegen, wie sie Gemeinschaft suchen und wie sie sich selbst wahrnehmen.
- 15-29 Jahre 75%
- 30-44 Jahre 64%
- 45-64 Jahre 58%
- 65+ Jahre 52%
Anteil der jeweiligen Altersgruppen, die regelmäßig Sport treiben; Grafik: Fabian Lindner; Quelle: Ernährungsreport 2024
Ende eines Social Run Clubs vor der Semperoper in Dresden, Foto: Leon Richter
Als der Lauf am Theaterplatz endet, kehrt die Gruppe langsam zurück. Einige atmen schwer, andere lachen über kleine Momente, die auf der Strecke passiert sind. Der Akku der Musikbox ist inzwischen leer, doch die Stimmung wirkt noch voller Energie. Fremde verabschieden sich mit einem kurzen Handshake, manche verabreden sich für nächste Woche, andere gehen allein in Richtung Straßenbahn. Nach wenigen Minuten löst sich die Gruppe auf, als hätte es sie nie gegeben.
Zurück bleibt ein Platz in der Dresdner Altstadt, der wieder aussieht wie jeder andere Freitagabend. Nur die kurzen Gespräche, die roten Gesichter und die lockeren Schultern der Teilnehmenden zeigen, dass hier etwas stattgefunden hat, das größer ist als fünf Kilometer. Für viele ist es ein Beginn, der sich selten einstellt. Leon sagt, die Bewegung bringe die Leute her, was sie wiederkommen lasse, passiere zwischen den Schritten.
Text: Fabian Lindner Fotos: Leon Richter , Titelbild: Leon Richter, Grafiken: Fabian Lindner
