Y-Kollektiv und STRG_F

Kontrovers und Unkonventionell

von | 15. Dezember 2023

Die bekannten Reportage-Formate sind immer wieder Auslöser von Diskussionen.

Die Reportagen der öffentlich-rechtlichen Kanäle Y-Kollektiv und STRG_F löst immer wieder große Diskussionen im Internet aus. Anfang Dezember 2023 kritisiert Rezo in einem circa 40-minütigen Video die Arbeitsweisen der Redaktion von STRG_F. Beim Y-Kollektiv gab es vor kurzem einen Shitstorm zur Reportage zum Thema Antifeminismus. Protagonisten warfen der Redaktion Framing und Falschaussagen vor. In der Vergangenheit gab es bei beiden Kanälen häufig berechtigte und unberechtigte Kritik über die Beiträge.

Von Hate bis Parodien

In den Kommentaren versammeln sich dann ganz nach YouTube-Manier hunderte wütende Zuschauer, die am besten direkt die Abschaffung der Formate fordern. Es fallen Wörter wie „Demokratiegefährdend“ oder „Springerqualität“. Youtuber wie die Spacefrogs haben aus ihrer Kritik an den Formaten fast schon eine eigene Videoreihe gemacht. Inklusive einer Parodie der typischen Y-Kollektiv-Reportage. Damit sind sie nicht allein – Content Creator, Journalisten und TV-Sender nehmen die Formate mit ihren Format-Elementen satirisch aufs Korn. Sei es der YouTuber Vince mit seinem Video „jede FUNK REPORTAGE immer“, in dem er erklärt, wie man seine eigene Funk-Reportage erstellen kann. Oder Jan Böhmermann mit Late Night Berlin, bei dem in einer fiktiven Story die „Reporterin Luisa“ den mit „cringe“ diagnostizierten Protagonisten Max begleitet.

Der Hype ist real 

Ob positiv oder negativ – die Reportagen bekommen eine hohe Aufmerksamkeit. Die beliebtesten Videos haben mit 6,5 Millionen beziehungsweise 7,3 Millionen Aufrufen eine große Zuschauergruppe erreicht. Es gibt Dutzende weitere Videos im Millionenbereich. Seit der Kanalgründung im Jahr 2016 hat das Y-Kollektiv 1,11 Millionen Abonnenten erreicht. Gegründet wurde es von Radio Bremen, welche die Videos im Funk-Netzwerk publizierten. STRG_F liegt dagegen bei 1,19 Millionen Abonnenten. Beide Kanäle gewinnen auch weiterhin Abonnenten dazu. In den Kommentaren wird aktiv auf die Videos eingegangen und mitdiskutiert. Im Vergleich mit anderen jungen Reportage-Formaten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sind sie mit Abstand die bekanntesten.

Das Selbstbild der Formate

Was ist es, das die Formate so bekannt macht? Grundsätzlich bestehen die Formate daraus, dass ein Reporter die Zuschauer durch das Thema führt. Laut eigenem Konzept begleitet man bei STRG_F Reporter auf der Suche nach „Antworten auf komplexe Fragen“. Dabei wird „der ganze Weg miterzählt: die Recherche, die Zweifel, die Haltung der Reporter:innen zu einem Thema, die Erfolge bei einer Suche genauso wie die Momente, in denen Reporter:innen nicht weiterkommen.“ Das Konzept des Y-Kollektives legt einen subjektiveren Fokus. Man möchte „subjektive, menschliche Geschichten über die großen Themen unserer Zeit“ zeigen. Dabei sind sie sich ihrer Wirkung bewusst: „Unsere Dokus und Reportagen provozieren und spalten, sie erregen und bestürzen; sie sind nicht immer objektiv, aber immer ehrlich.“

Reporter im Mittelpunkt

In der vor kurzem publizierten Studie „Journalistische Grenzgänger – Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“ von Janis Brinkmann, wurden neben drei anderen Formaten, STRG_F und Y-Kollektiv ausführlich untersucht. Die Studie zählt beide Formate zu der Kategorie „Reporter-getriebene Presenter-Reportagen“. Der Reporter ist hier meist der Hauptakteur der Reportage und vermittelt den Großteil der Informationen. Die Protagonisten spielen eine untergeordnete Rolle.

Den Studienergebnissen nach dominiert in nahezu jedem veröffentlichten Video eine subjektive Berichterstattung. Deshalb ließen sich die Formate schwer mit klassischen Kriterien des objektiven Journalismus bewerten. Die Videos versuchen den Zuschauer emotional anzusprechen und zu begeistern. Die am stärksten ausgeprägten Merkmale seien Authentizität, Partizipativität , Emotionalität, Exklusivität sowie Narrativität. Statt objektiv über ein Thema zu berichten und Fakten aller Seiten einzubeziehen, werde hier auf die Perspektive des Reporters gesetzt.

Die Themensetzung

Hier gibt es einen Unterschied zwischen den Formaten. Die in ihrer Eigenbeschreibung angesprochenen „großen Themen unserer Zeit“ finden sich in der Umsetzung beim Y-Kollektiv wieder: Politik, Wirtschaft und Kultur stehen im Vordergrund. STRG_F setzt auf eine Mischung aus Gesellschaftsthemen und sogenannten Lebensweltthemen. Unter dem Begriff fasst die Studie Bereiche wie Gesundheit, Partnerschaft und Kriminalität. Allgemein betrachtet, inklusive der drei weiteren Formate, stehen laut der Studie die Themen Berufe, Sexualität, sexuelle Gewalt, psychische Erkrankungen, Drogen, LGBTQ und Rechtsextremismus im Vordergrund. Vermehrt spielen die Themen in Großstädten, dabei häufig in Westdeutschland.

Professor Janis Brinkmann, Verfasser der Studie denkt, dass das ein Hauptgrund für die Kritik sei. Gegenüber medienMITTWEIDA sagt er: „Die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen wird von einigen Gruppen in Frage gestellt. Ein als woke, liberal, jugendlich und progressiv wahrgenommenes meinungslastiges Angebot kriegt dann besonders viel Kritik ab.“

Eine privilegierte Redaktion

David Donschen ist Reporter für das Y-Kollektiv. Er hat in den letzten Jahren viele verschiedene Filme produziert, über Themen wie Schulpflicht bis Erektionsstörungen. Beim Medienforum Mittweida 2023 sprach er in einer Keynote über seine Erfahrungen mit dem Format.

Auch die fehlende Diversität innerhalb der Redaktion kam dabei zur Sprache. Städtisch, weiß und Akademiker seien die meisten Menschen, die zu Ihnen kämen. Er würde sich freuen, wenn „Menschen mit einem türkischen Background mehr im Journalismus vertreten sind. Die entscheiden sich aber, wenn sie studieren, viel seltener für den Journalismus, weil die Arbeitsbedingungen auch nicht so geil sind.“ Auch Kollegen vom Land oder mit konservativen Einstellungen wären schön. Denn als Berliner habe er eine ganz andere Sicht auf die Themen, die Menschen aus ländlichen Regionen bewegen als Menschen, die von dort kommen. Besonders in diesen Formaten bringt der Reporter sein Weltbild mit in die Reportage ein. Eine explizite Meinungsäußerung finde bei 86 Prozent beziehungsweise 94,4 Prozent der Videos statt.

David Donschen und Janis Brinkmann beim Medienforum Mittweida 2023. Bild: Medienforum Mittweida

Warum vor der Kamera?

Die Authentizität und Nahbarkeit machen die Formate für den Zuschauer aus. Der Reporter lässt die Zuschauer an seinen Erlebnissen teilhaben und stellt für das Publikum die relevanten Fragen. Er vermittelt durch eigene Hintergründe zum Thema und der Nähe zum Zuschauer das Thema spannend.

So bietet es laut David Donschen viele Möglichkeiten, wenn man einen Reporter vor der Kamera habe. Besonders Selbstexperimente eignen sich, denn dann kann der Reporter „aus der Position eines objektiven Betrachters“ dabei sein. Nach Aufrufen sortiert, landet beim Y-Kollektiv beispielsweise die Reportage „Viva la Vulva“ auf Platz Zwei, dort nimmt die Reporterin Julia Rehkopf an einem Vulva-Watching Course teil. Vor der Kamera zu sein, könne aber auch helfen, Gespräche besser aufzulösen. Es bietet David eine Möglichkeit, „eine Konfrontation zu erzählen“ und dem Zuschauer Kontext zu geben. In seiner Reportage über junge, konservative Bundestagsabgeordnete kann so das Gespräch zwischen Reporter und Protagonist besser verfolgt und eingeordnet werden. Passend sei das Konzept auch „Wenn ich eine eigene Geschichte zu erzählen habe“. Die Reporter können selbst vom Thema betroffen sein, über das sie berichten. Wie Lea Semen in „Ungewollt schwanger“. Außerdem macht es die Filme transparenter, wenn Produktion und Recherche filmisch begleitet werden. So steht in der Beschreibung: „Bei STRG_F wird der ganze Weg mit erzählt“. Möglicherweise deswegen ist Transparenz als Qualitätskriterium hier stärker ausgeprägt als bei den anderen Reportage-Formaten von funk.

Das ist wirklich krass

In der Redaktion von Y-Kollektiv ist man sich über die Schwächen des Formates bewusst. Die Parodien kennt man ebenfalls. David Donschen zeigte bei seiner Keynote ein Reel von @maristing. Dort ist Reporterin Marie unterwegs mit Protagonistin Melanie. Diese hat eine außergewöhnliche sexuelle Vorliebe, was für die Reporterin natürlich „echt krass“ ist und sie als Journalistin sehr beschäftigt.

Beim Y-Kollektiv hat der Clip „anerkennendes Schmunzeln“ ausgelöst. David meint, es zeige die typischen Muster: „dass wir sehr oft zu sehen sind, sehr oft Sachen irgendwie reflektieren und gar nicht so sehr die Protagonisten mit ihren Geschichten atmen lassen, sondern da immer zwanghaft auftauchen müssen.“ Das liege vor allem an den Formatvorgaben, die den Aufbau der Reportagen festlegen. Hier habe man aber in den vergangenen Jahren dazugelernt und geschaut, wo ein Kommentar der Reporter vielleicht nicht nötig sei. Die Phrase „Ich will herausfinden, warum“ gehöre beispielsweise dazu. Zum anderen sei es auch den Produktionsbedingungen geschuldet. So seien Reporter teilweise noch unerfahren. Das Y-Kollektiv biete ihnen die Freiheit, sich auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln.  Und weit wichtiger: „Recherchezeit […] fehlt uns manchmal bei sehr getakteten Funk-Reportagen“, meint David.

Ein Blick in die Zukunft

Dass eine gute Recherche wichtig ist, stellt auch das Onlinemagazin „Übermedien“ fest. So ersetze ein authentischer Host keine Recherche, schreibt Andrej Reisin. Wenn diese mangelhaft ist, könne das auch kein Reporter im Geschehen kompensieren. Dadurch bleibt der „Erkenntnisgewinn von mehr als einem oder zwei dieser Filme […] sehr überschaubar“, so Reisin.

Verallgemeinern lässt sich das aber nicht. Die Reportagen beider Kanäle wurden in der Vergangenheit mehrfach ausgezeichnet. Über die Jahre gewannen sie diverse Fernseh- und Journalismus-Preise. Auch das RedaktionsNetzwerk Deutschland bezeichnet die Videos beider Kanäle als „herausragende Arbeit“. David Donschen wünscht sich für die Zukunft „mehr Zeit und Ressourcen“ für Recherchen. Die erwähnte Studie empfiehlt eine transparente Kennzeichnung von Meinungsäußerungen.

Text, Titelbild: Nicolas Lieback

<h3>Nicolas Lieback</h3>

Nicolas Lieback

ist 22 Jahre alt und studiert Medienmanagement im 5. Semester an der Hochschulstadt Mittweida.