Nachwuchsförderung

Der Traum vom Profifußball

von | 17. April 2020

Der 15-jährige Tim spielt für Energie Cottbus und will Fußballprofi werden. Doch das gelingt nur den wenigsten.

Tim Koczulap packt seine pinken Fußballschuhe in die schwarze Sporttasche und eilt zum Fußballplatz. Auf dem Weg durch die engen Gänge des Internats kommt er an eingerahmten Bildern vorbei: Leonardo Bittencourt, Nils Petersen, und Maximilian Phillipp. Sie alle sind Vorbilder für eine Generation von Nachwuchsfußballern und haben eines gemeinsam: Sie spielten bei Energie Cottbus und sind Fußballprofis geworden. Auch Tim spielt für die U16 von Energie Cottbus, lebt 300 Kilometer entfernt von zu Hause in einem Nachwuchsleistungszentrum und hat nur ein Ziel: Er will den Sprung nach oben schaffen.

Profifußballer zu werden ist wohl der Traum für Millionen von Kindern. So auch für Tim, der seit sechs Monaten für die U16 von Energie Cottbus in der Brandenburgliga spielt. Die Zahlen derer, die wirklich den Sprung nach oben schaffen, ist aber erschreckend gering. Warum ist das so und wie will die DFL (Deutsche Fußball Liga) mit dieser Situation umgehen? Daniel Feld, Nachwuchsleiter der DFL, gibt medienMITTWEIDA Einblicke in die Arbeit des Verbands und erklärt, warum man Ausbildungserfolge immer in Wellen betrachten müsse. Jugendtrainer Norbert Elgert von Schalke 04 ist  der Meinung, dass Fleiß vor Talent steht und prognostiziert, wie die deutsche Ausbildung von Fußballtalenten verbessert werden kann. 

So wie Tim geht es auch vielen anderen talentierten Jungs in seinem Alter. Laut der DFL werden derzeit etwa 5600 Jungs in Nachwuchsleistungszentren ausgebildet. Rund 70 Talente schaffen jährlich den Sprung in die Profikader der 1.und 2. Bundesliga. Das entspricht 0,125 Prozent. Nur jeder Achtzigste schafft also den Sprung nach oben. Daniel Feld ,Nachwuchsleiter der DFL, hält diese Zahl aber nicht für besonders außergewöhnlich: „Das ist natürlich sehr wenig. Man muss aber auch bedenken, dass es eben nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen gibt. Am Ende kann es nur ein Bruchteil schaffen und das sollte jedem Spieler bewusst sein.“ Man müsse die Ausbildungserfolge immer in Wellen betrachten. Nichtsdestotrotz nimmt die DFL Maßnahmen in Angriff, um die Durchlässigkeit von Talenten in den Profikadern zu erhöhen. „Zum einen honorieren wir Vereine, die eigens ausgebildete U23-Spieler in ihrem Profikader einsetzen“, so Feld. In der vergangenen Saison kamen dabei etwa Bayer Leverkusen mit rund 9.700 Einsatzminuten 1,32 Millionen Euro zugute. „Außerdem belohnen wir weiterhin jene Vereine, die Spieler ausbilden, welche später den Sprung nach oben schaffen“, so Feld. Das gelte sowohl für Amateur-, als auch für Bundesligavereine. „Auch hier nehmen wir noch einmal 4 Millionen Euro in die Hand, um die Vereine zu motivieren, weiterhin gute Nachwuchsarbeit zu leisten.“ Seit 2001 sind nach DFL Entschluss ohnehin alle Erst- und Zweitligisten dazu verpflichtet, ein Nachwuchsleistungszentrum zu unterhalten.

Tim spielt seit mehr als einem halben Jahr für Energie Cottbus. Foto: Niklas Niendorf

Der lange, schlaksige Kerl von der Anfield Road

Für Tim war schon früh klar, dass er Fußballspieler werden will. Sein größtes Idol: Fernando Torres. Als Tim anfängt zu erzählen, leuchten seine Augen. „Anfield Road, über 50.000 Zuschauer. Dieser lange, schlaksige Kerl mit den blonden Haaren hat den Gegner aus dem Stadion geschossen und ich wusste: Ich will einmal so sein wie er.“ Schon im Alter von zwölf Jahren wechselte Tim deshalb auf das Deutsche Fußball Internat, eine Ausbildungsstätte für junge Fußballer. Mit zwölf Jahren mehrere hundert Kilometer entfernt von Freunden und Familie? Der sonst so redselige Tim legt seine Stirn in Falten und wird still: „Natürlich war es anfangs schlimm, so weit weg und getrennt von Eltern und Verwandten zu sein. Ich habe fast täglich zu Hause angerufen.“  Die Anfangszeit sei am härtesten gewesen. Aber Tim kämpfte sich durch, zeigte gute Leistungen und wechselte zum Anfang dieser Saison zu Energie Cottbus. Dort will er den nächsten Schritt schaffen. Er ist selbstbewusst und glaubt an sich, weiß aber auch, dass der Wechsel nach Cottbus das Niveau um ihn herum nochmal auf ein neues Level gehoben hat. Junge Spieler, die es bis zu einem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) geschafft haben, gelten als potentielle Spitzentalente, die es sehr weit bringen könnten. 

Die U16 von Energie Cottbus spielt derzeit in der Brandenburgliga. Foto: Energie Cottbus Website

Erfolg und Enttäuschung können nah beieinander liegen

„Natürlich bin ich stolz darauf, dass ich es bis hierhin geschafft habe“, verrät Tim schmunzelnd. Sich darauf auszuruhen, komme für ihn aber gar nicht in Frage. „Ehrgeiz und Mentalität sind ab hier alles. Man kann ein noch so talentierter Spieler sein, wenn man nicht alles investiert und dem Fußball täglich alles unterordnet, wird man es nicht schaffen“, so der gebürtige Erfurter. Klingt ziemlich abgeklärt. Vielleicht zu abgeklärt für einen 15-Jährigen. Diese Disziplin spiegelt sich jedoch auch in einem typischen Wochentag von Tim wieder. Aufstehen um 6:00 Uhr, Schulbeginn um 7:30 Uhr, ab 9:30 Uhr Kraft-bzw.- Individualtraining. Mittagessen gibt’s um zwölf, danach wieder zwei Stunden Schule bis 15:00 Uhr. Um 16:30 Uhr ist dann das Mannschaftstraining. Und das alles teilweise viermal die Woche.

„Freizeit bleibt da nicht viel“, so der Linksverteidiger von Energie Cottbus, während er sich nach dem Training zügig umzieht. Für das übergeordnete Ziel sei er bereit, auf vieles zu verzichten. Nichtsdestotrotz ist Tim klar, dass der Sprung ins Profigeschäft am Ende nur den wenigsten gelingt.

Was für eine Bürde dieser Weg sein kann und wie nah Erfolg und Enttäuschung beieinander liegen, musste Cenk Durgut am eigenen Leib erfahren. Der 21-Jährige kam mit 13 Jahren ins Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli und war sich sicher, dass er es schaffen könne.

„Ich war extrem ehrgeizig und sehr diszipliniert. Aber eines Tages war ich nur noch dauererschöpft“, so der Deutsch-Türke gegenüber dem SPIEGEL . Dabei sei es vielen Jungen aus der Mannschaft ähnlich gegangen. „Wir saßen oft in der Kabine und hatten keine Lust mehr. An ganz schlechten Tagen habe ich mich gefragt, ob es das alles wert ist“, erzählt der ehemalige NLZ-Spieler. Dursun verletzte sich und fiel sechs Monate aus. Irgendwann sei er energielos gewesen und habe zu seinem Trainer gesagt, dass er aufhören werde. „Meinen Abschied empfinde ich heute noch als Befreiungsschlag. Ich bin am nächsten Morgen fit aufgewacht und hatte plötzlich Zeit für Freunde und Familie. Das Leben hat sich auf einmal wie ein einziger Urlaub angefühlt“, so Dursun gegenüber dem SPIEGEL.

„In der heutigen Gesellschaft wird Talent überbetont“

Der Weg nach oben hat also auch Schattenseiten: Wenig Freizeit, selten Zeit für Familie und Freunde und ein stressiger Alltag ohne Verschnaufpausen. Trotzdem scheint die Realität wenige Kinder und Jugendliche abzuschrecken, wie auch die Zahlen zeigen. Eine von der Appinio GmbH durchgeführten Studie belegt, dass der Beruf des Fußballprofis bei Kindern zwischen 14- und 18 Jahren nach wie vor sehr hoch im Kurs steht. Diesen Wunsch machen sich natürlich auch die Vereine zunutze. Laut DFL-Mitteilung werden derzeit 54 Nachwuchsleistungszentren in Deutschland betrieben. Die Proficlubs haben dabei bislang über 1,5 Milliarden Euro in diese Art der Talentförderung investiert. 

Worauf es am Ende aber wirklich ankommt, um einer der wenigen Auserwählten zu sein, weiß Norbert Elgert. Der 63-Jährige ist U19-Trainer bei Schalke 04 und seit mehr als 20 Jahren in der Nachwuchsförderung aktiv. Er hat Talente wie Manuel Neuer, Benedikt Höwedes und Leroy Sané entdeckt.

„Einstellung, Anstrengungsbereitschaft, Willensstärke und Durchhaltevermögen sind eindeutig wichtiger als Talent“, so der Talente- Guru gegenüber der waz. Laut Elgert werde dabei in der heutigen Gesellschaft Talent überbetont. 

„Talent stellt dich an die Tür zum Profifußball, aber nur Charakter bringt dich durch diese Tür hindurch.“

Norbert Elgert

U19- Trainer Schalke 04

Die Problematik, dass der deutsche Nachwuchs international gesehen immer mehr ins Hintertreffen gerät, macht Elgert vor allem an zwei Punkten fest: „Mentale Schwäche und fehlende Ballfertigkeit sind die Hauptgründe dafür, dass es für deutsche Talente immer schwieriger wird, so Elgert gegenüber SPORT 1. Deshalb fordert er: „Trainern darf durch zu viel Vereinheitlichung und Verschriftlichung nicht ihre Kreativität genommen werden und bei den Spielern muss der Umgang mit dem Ball wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wir müssen Dribblings zulassen, brauchen Spieler, die ins Eins-gegen-Eins gehen“, so der U19-Trainer. 

Dass die Extrameile am Ende entscheidend sein kann, weiß auch Tim. In Cottbus ist es mittlerweile dunkel geworden, aber Tim denkt gar nicht daran, nach Hause zu gehen. Nach dem Training bleibt er oft noch auf dem Fußballplatz, um Freistöße zu trainieren oder seine individuellen Fähigkeiten zu verbessern. Gegen 22:00 Uhr wird er heute ins Bett gehen, um fit für den nächsten Tag zu sein. Denn der talentierte Junge hat ehrgeizige Ziele: „Im nächsten Jahr will ich in der U17 Bundesliga spielen und dort so viel Spielzeit wie möglich bekommen. Man kann nie wissen, was die Zukunft bringt, aber ich gebe täglich mein Bestes, um eines Tages in Anfield auflaufen zu dürfen – so wie Fernando Torres.”

Text: Niklas Niendorf, Titelbild: Phillip Kofler (Pixabay-Lizenz), Fotos: Energie Cottbus Website und Niklas Niendorf

<h3>Niklas Niendorf</h3>

Niklas Niendorf

ist 21 Jahre alt, kommt aus Stuttgart und ist Chefredakteur von medienMITTWEIDA. Er begeistert sich für Sport und Politik und liebt es, zu reisen und neue Kulturen kennenzulernen.