Bereinigter und unbereinigter Gender Pay Gap
Das Statistische Bundesamt ermittelt jährlich, wie viel weniger Frauen pro Stunde im Vergleich zu Männern verdienen. Seit 2020 liegt der Gender Pay Gap bei 18 Prozent. Dabei werden nur Arbeitnehmer*innen berücksichtigt, Selbstständige bleiben außen vor. Der Gender Pay Gap wird als Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes von Frauen im Verhältnis zu den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten der Männer definiert. Dabei bleiben Faktoren wie Berufswahl, Bildung oder Beschäftigungsart unberücksichtigt.
Der unbereinigte Gender Pay Gap von 18 Prozent basiert auf Durchschnittsgehältern und nicht auf dem Median. Dadurch werden Ausreißer mit sehr hohen Gehältern mit einberechnet, was das Ergebnis zusätzlich verfälscht. Laut OECD lag der Median des Gender Pay Gaps im Jahr 2021 bei 13,5 Prozent. Der unbereinigte Gender Pay Gap spiegelt zudem nicht wider, wie unterschiedliche Berufswünsche von Frauen und Männern den Lohnunterschied beeinflussen. Frauen tendieren zu Berufen im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich, während Männer häufiger technische Berufe wählen. Diese Präferenzen tragen erheblich zum unbereinigten Gender Pay Gap bei. Das Statistische Bundesamt hebt besonders hervor, dass Berufswahl, Position im Unternehmen und Beschäftigungsumfang den größten Anteil am unbereinigten Gender Pay Gap ausmachen. Teilzeitstellen, die oft von Frauen besetzt werden, sind zudem pro Stunde schlechter bezahlt als Vollzeitstellen.
Beim bereinigten Gender Pay Gap werden Faktoren wie unterschiedliche Berufe, Positionen im Unternehmen und Arbeitszeiten herausgerechnet und liegt derzeit bei sechs Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ermittelte für 2013 einen bereinigten Gender Pay Gap von nur 3,8 Prozent. Diese unterschiedlichen Ergebnisse resultieren daraus, wie die jeweiligen Faktoren gewichtet und herausgerechnet werden. Frauen verdienen bei gleicher Arbeit oft sechs Prozent weniger als Männer, was laut dem Statistischen Bundesamt nicht unbedingt auf Diskriminierung zurückzuführen ist, obwohl diese eine Rolle spielen könnte. Das Bundesamt geht von anderen Faktoren aus. Zwar wird der bereinigte Gender Pay Gap als „ungeklärt“ bezeichnet, was bedeutet, dass die genauen Ursachen nicht eindeutig festgelegt werden können. Es wird aber vermutet, dass hauptsächlich zwei Faktoren eine Rolle spielen – die Erwerbsunterbrechung durch Kindererziehung und das individuelle Verhalten bei Lohnverhandlungen der Frauen.
Motherhood Pay Gap
Die Daten zeigen, dass der Stundenlohn von Frauen im Vergleich zu Männern fast stagniert, sobald sie ihr erstes Kind bekommen haben, was etwa im Alter von 30 Jahren der Fall ist. „Das könnte daran liegen, dass Frauen im Laufe ihres Erwerbslebens familienbedingt häufiger ihre Karriere unterbrechen und in Teilzeit arbeiten“, erklärt das Statistische Bundesamt. „Karrieresprünge und Lohnerhöhungen werden für Frauen somit seltener.“
Auch heute noch entscheiden sich bei heterosexuellen Paaren häufiger die Mütter dafür, zu Hause zu bleiben, anstatt die Väter. Laut Professor Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin, wäre ein Ansatz zur Lösung dieses Problems, Männer stärker zu ermutigen, Elternzeit zu nehmen, damit Frauen mehr Raum für berufliche Aufstiege haben. Studien zeigen jedoch, dass Frauen der Familie eher eine höhere Priorität einräumen als der Arbeit. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber im Allgemeinen finden sich bei Frauen tendenziell mehr, die Familie wichtiger finden, während Männer dazu tendieren, die Arbeit als wichtiger zu erachten. Die Frage, ob dies naturgegeben oder durch gesellschaftliche Rollenbilder geprägt ist, bleibt offen. Möglicherweise spielen biologische Faktoren wie das Stillen eine Rolle, aber auch finanzielle Aspekte könnten dazu beitragen. Eine Lösung wäre es, Mütter finanziell stärker zu unterstützen und für diejenigen, die zu Hause bleiben, eine bessere Rentenabsicherung zu schaffen.
Paradoxon der Gleichberechtigung
Ein weiterer Hauptgrund für die ungleiche Bezahlung liegt darin, dass Frauen und Männer in verschiedenen Berufsfeldern mit unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten arbeiten. Typischerweise sind die Löhne in „frauendominierten“ Branchen deutlich niedriger. Gerade in Ländern, in denen Frauen und Männer besonders viel Chancengleichheit bei der Berufswahl haben, tendieren Männer eher dazu, in „typische Männerberufe“ und Frauen in „typischen Frauenberufe“ zu arbeiten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert daher eine Aufwertung und bessere Bezahlung von „frauendominierten“ Berufen, insbesondere in systemrelevanten Bereichen wie dem Gesundheitswesen und der Erziehung. In Ländern mit geringer Gleichstellung geht diese oft mit einer geringeren sozialen Absicherung einher, wodurch Frauen eher dazu neigen könnten, Berufe im MINT-Bereich zu wählen, die eine höhere berufliche Sicherheit bieten.
Frauen verhandeln tendenziell seltener und weniger gern als Männer. Eine Studie fand heraus, dass Männer mit einem Masterabschluss achtmal häufiger ihr Einstiegsgehalt verhandeln als Frauen mit demselben Abschluss. Beim ersten Job nach dem Studium verhandeln nur sieben Prozent der Frauen ihr Gehalt, während es bei den Männern 57 Prozent sind. Eine weitere Studie zeigte, dass 42 Prozent der Männer, aber nur 28 Prozent der Frauen ihr Gehalt verhandeln. Interessanterweise verhandeln Frauen noch seltener, wenn ihr Verhandlungspartner ebenfalls eine Frau ist. Dies könnte daran liegen, dass Frauen Angst haben, sozial abgestraft zu werden, wenn sie ehrgeizig auftreten. Zudem könnte man Frauen ermutigen, häufiger und selbstbewusster zu verhandeln. Eine Studie zeigt, dass Frauen eher verhandeln, wenn der Prozess anders formuliert wird. Wenn Frauen gebeten wurden, nach einem Bonus zu „fragen“ statt ihn zu „verhandeln“, zeigten sie deutlich mehr Bereitschaft, sich für ihre Belange einzusetzen. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation wäre mehr Gehaltstransparenz. Die Bundesregierung hat hierfür das Entgelttransparenzgesetz geschaffen. Wirtschaftsforscher Andreas Koch kritisierte jedoch in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass das Entgelttransparenzgesetz wirkungslos bleibe. Seiner Meinung nach sei dies auf seine geringe Bekanntheit, unklare Formulierungen und das Fehlen von Sanktionen zurückzuführen.
Andere Länder sind deutlich weiter
Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Der geschlechtsspezifische Lohnunterschied reicht im Jahr 2022 von weniger als fünf Prozent in Luxemburg, Italien, Rumänien und Belgien bis zu mehr als 17 Prozent in Deutschland, Tschechien, Österreich und Estland. In den meisten Ländern Europas hat sich der geschlechtsspezifische Lohnunterschied in den letzten zehn Jahren um drei Prozent verringert. Laut Professorin Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin, sind andere Länder in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter deutlich weiter fortgeschritten als Deutschland. Schweden beispielsweise hat seit Jahrzehnten Maßnahmen in allen Politikbereichen ergriffen, um die Gleichstellung zu fördern. Dabei legt das Land Wert darauf, dass sich nicht nur Frauen den Lebensrealitäten von Männern anpassen, sondern schafft auch Anreize für Männer, frühzeitig mehr Verantwortung in der Sorgearbeit zu übernehmen. Schweden war eines der ersten Länder, das Partnermonate beim Elterngeld einführte und hat zudem eine viel bessere Kinderbetreuungsinfrastruktur als Deutschland. Trotzdem bedeutet ein geringerer geschlechtsspezifischer Lohnunterschied in bestimmten Ländern nicht zwangsläufig, dass der Arbeitsmarkt in diesem Land gleichberechtigter ist. Denn in Ländern mit einer niedrigen Beschäftigungsquote von Frauen kann es vorkommen, dass überwiegend Frauen mit höherem Verdienstpotenzial in den Arbeitsmarkt eintreten.
Care-Arbeit als Hauptursache
Die Ursachen für die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt sind vielschichtig, aber ein zentrales Lebensereignis steht im Mittelpunkt – die Geburt eines Kindes. Nach der Geburt bleiben Frauen oft zunächst zu Hause und kehren später meist nur in Teilzeit in den Beruf zurück. Dies führt zu erheblichen Einkommensunterschieden, die bis zur Rente fortbestehen. Um das zu ändern, „müsste die Arbeitszeit gleichmäßiger auf beide Geschlechter verteilt werden“, so das Statistische Bundesamt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat 2020 mehrere Maßnahmen vorgeschlagen, um dies zu erreichen: den Ausbau der Ganztagsbetreuung, eine Reform des Ehegattensplittings, flexible Arbeitszeitmodelle und Top-Sharing, bei dem Führungspositionen auf zwei Teilzeitkräfte aufgeteilt werden. Das DIW sieht jedoch auch Mütter und Väter in der Pflicht, „sich für eine Angleichung der Arbeitsstunden einzusetzen, anstatt in traditionelle Verhaltensmuster zu verfallen“.