Gendern

Wenn kleine Zeichen die Sprache verändern

von | 15. Januar 2021

Jeder handhabt es anders: das Gendern. Aber was ist das eigentlich? Was spricht dafür? Und was dagegen?

Die einen finden es notwendig und bestehen darauf, die anderen finden es lästig und sind regelrecht genervt. Gemeint ist die immer wiederkehrende Debatte um kleine Schriftzeichen, die den Sprachgebrauch zunehmend verändern. Es war, ist und bleibt ein großes Thema: das Gendern.

Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache versteht man unter „gendern” die Verwendung geschlechtsneutraler oder geschlechtsinklusiver Ausdrücke zur Gestaltung von Texten. Dadurch soll vermieden werden, dass aufgrund des (sozialen) Geschlechts eine Ausgrenzung stattfindet. Das soziale Geschlecht bezeichnet Dinge, die üblicherweise für typisch weiblich oder typisch männlich gehalten werden.

Männer als Norm

In der Deutschen Sprache wird das generische Maskulinum verwendet. Das bedeutet, dass der Mann als allgemeingültiger Oberbegriff für eine Personengruppe gilt, die sich eigentlich aus allen Geschlechtern zusammensetzt. Frauen, intergeschlechtliche und transsexuelle Menschen sollen sich mitgemeint fühlen, werden aber nicht explizit genannt. Beispiele hierfür wären unter anderem Wörter wie Leser, Mechatroniker, Soldat.

Darüber hinaus bestimmen Genus und Sexus die Sprache. Während Genus das grammatische Geschlecht, also männlich, weiblich oder sächlich, beschreibt, ist mit Sexus das biologische Geschlecht gemeint. Wenn das Genus also gar nichts über das eigentliche Geschlecht aussagt, sollten Frauen auch kein Problem damit haben, wenn sie mit dem Maskulinum angesprochen werden. Oder?

Die Süddeutsche Zeitung widerlegt diese Theorie und äußert Kritik. Das Genus sei in bestimmten Fällen das einzige Mittel, um das biologische Geschlecht zu beschreiben und hätte außerdem direkte Auswirkungen auf die Vorstellung und Wahrnehmung des Sexus.

Gendern ist nicht gleich Gendern

Um geschlechtergerecht zu schreiben, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten:

  • Schrägstrich: wird genutzt, wenn Bezeichnungen sich nur durch die Endung unterscheiden, die männliche Form wird zuerst genannt, optional können beide Formen vollständig nacheinander ausgeschrieben werden
    Beispiel: ein/e Leser/in, der/die Leser/in, die Leser und Leserinnen
  • Sternchen (Asterisk, Gender-Star) und Unterstrich (Gendergap): alle Menschen, auch diejenigen, die sich weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, werden angesprochen
    Beispiel: Leser*innen, Leser_innen
  • Paarform: wird ausgeschrieben, Frauen und Männer werden gleichermaßen angesprochen, die weibliche Form steht vor der männlichen
    Beispiel: die Leserinnen und Leser
  • Binnen-I: das weibliche und das männliche Geschlecht wird gleichgestellt, spart Platz
    Beispiel: die LeserInnen
  • Geschlechtsneutral: direkte Ansprache wird durch eine allgemeine Formulierung vermieden, alle Geschlechter werden umfasst, neutral
    Beispiel: der/die Lesende, die Lesenden
  • auch möglich: Fußnote, die darauf hinweist, dass die männliche oder weibliche Form stellvertretend für beide Geschlechter steht                        Beispiel: Im Text wurde nur die weibliche/männliche Form verwendet. Alle anderen Formen sind allerdings gleichermaßen mitgemeint.

Umgang in den Medien

Viele Medien gendern, ohne dass es uns auffällt, indem sie die geschlechtsneutrale Form verwenden. Seit Anfang 2020 weist der Spiegel in den Richtlinien für redaktionelles Arbeiten darauf hin, möglichst auf das generische Maskulinum zu verzichten. Es solle nicht mehr Standard sein und alle sollten anstreben, beide Geschlechter in ihren Texten abzubilden.

Seit September 2020 nutzt die Frankfurter Rundschau den Gender-Doppelpunkt. Im Beitrag „Wie gendern“ schreibt Chefredakteur Thomas Kaspar: „Bei geschlechtergerechter Sprache ist eine Veränderung überfällig. Die Zeit der alten männlichen Form, die angeblich für alle Geschlechter steht, ist vorbei.“ Das Deutschlandradio veröffentlichte 2019 Empfehlungen für geschlechtergerechte Sprache, in denen sich Beispiele befinden, mit welchen das generische Maskulinum umgangen werden kann. Auch im Fernsehen merkt man eine Veränderung. ZDF-Moderator Jo Schück spricht ebenso wie Anne Will aus dem Ersten den Gendergap. Ab und an hört man es auch in Tagesschau-Berichten. Der NDR gendert seit drei Jahren.

Mitgenannt statt mitgemeint

Feministen sowie einige Linguisten kritisieren das generische Maskulinum. Jenes stamme aus einer Zeit, in der Frauen gar nicht „mitgemeint“ waren. Bevor 1918 das allgemeine Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt wurde, spielten Frauen in der Gesellschaft eine eher untergeordnete Rolle. Erst seit 1949 verpflichtet das Grundgesetz, für Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu sorgen. Da das Maskulinum den Mann als Standard setzt, würden andere Geschlechter unsichtbar gemacht. Einige fühlen sich ausgegrenzt.

Ein weiteres zentrales Argument für die Verwendung der Gendersprache ist, dass Sprache das Bewusstsein prägt. Das Genus habe Auswirkungen auf den Sexus. Männliche Bezeichnungen würden das Denken beeinflussen. In der Duden-Broschüre „Richtig gendern“ aus dem Jahr 2017 wird auf einen Assoziationstest hingewiesen. Dabei solle der Leser jemanden fragen: „Wer ist dein Lieblingsschauspieler?“ Als Antwort auf diese Frage würden fast ausschließlich Männer genannt werden, da das Bild des Schauspielers in unseren Köpfen als „männlich“ abgespeichert sei.

Um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erlangen, sind Befürworter des Genderns der Überzeugung, dass die Sprache verändert werden soll – und muss. Frauen sollen nicht nur mitgemeint, sondern auch mitgenannt werden.

Trotz gendern keine Gleichberechtigung?

Gegner verteidigen den allgemeinen Sprachgebrauch. In der Alltagssprache komme es auf Kürze und Effizienz an. Gendern würde sie verkomplizieren und die Lesbarkeit von Texten mindern. Ein Sprachexperiments widerlegt zumindest ersteres: die Nutzung genderkonformer Sprache habe keinen relevanten Einfluss auf die Verständlichkeit von Texten.

Einige sprechen von einer „Sprachverhunzung“. Journalist und Buchautor Andreas Hock sagt: „Gendern ist ein Attentat auf Ästhetik, Schriftbild und Kommunikationskultur unserer Sprache.” Durch das Gendern komme es manchmal zu bizarren Bandwurmsätzen. Außerdem könne die Grammatik darunter leiden. Ein Beispiel hierfür wäre das Wort Arzt: Arzt_in ist falsch. Ärzt*in allerdings auch. Die einzige Möglichkeit, Ärzte und Ärztinnen gesondert auszusprechen, wäre eine Doppelnennung. In einem Gastbeitrag des Tagesspiegels heißt es: „Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen.“ Hannah Lühmann, Redakteurin der Frankfurter Rundschau, schreibt in einem Beitrag: „Die Sprache ist kein Instrument zur Verbesserung unseres Denkens.“

Fakt ist, dass in der Sprache grundlegende soziale Verhältnisse verankert sind. Dadurch wird die Wahrnehmung der Menschen zwar nicht festgelegt, aber gelenkt. Letztlich muss allerdings jeder für sich selbst festlegen, was er vom Thema Gendern hält und wie er es handhabt.

Text: Vanessa Jacob; Titelbild: Melanie Rothe

<h3>Vanessa Jacob</h3>

Vanessa Jacob

ist 19 Jahre alt, liebt Bücher und unterstützt medienMITTWEIDA im Lektorat.