Genforschung

„Das könnte schlimmer sein als die Atombombe“

von | 29. Januar 2021

Aus gut mach besser - wie die Genschere CRISPR funktioniert und unsere Zukunft verändern könnte.

CRISPR/Cas9: Was klingt wie ein Actionspiel, ist in Wirklichkeit die heutzutage schnellste, einfachste und treffsicherste Methode zum Gen-Editieren. Dieses Gemisch aus DNA-Sequenz und Protein kann innerhalb von nur fünf Minuten herausfinden, ob ein Mensch sich mit Covid-19 infiziert hat. Die Möglichkeiten zur Nutzung gehen allerdings sehr viel weiter. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem Designerbaby? Schlauer, stärker, größer. Lieber blaue, braune oder doch grüne Augen? Die noch unerforschten Möglichkeiten des Verfahrens könnten bald Realität werden.

Wir haben es alle in uns

Genome Editing, zu Deutsch „Bearbeitung des Erbguts“, hat zum Ziel, genetische Informationen gezielt zu verändern. Damit werden zum Beispiel Nutzpflanzen resistenter gegen Umwelteinflüsse gemacht. Eine der jüngsten dazugehörigen Methoden, CRISPR, ist eine vor wenigen Jahren entdeckte DNA-Sequenz, welche wiederholt im Erbgut vieler Bakterien auftaucht. Daher kommt auch der Name: „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“. Auf Deutsch bedeutet dies nichts weiter als „gehäuft auftretende, regelmäßig unterbrochene, kurze Palindrom-Wiederholungen”. Im Oktober 2020 erhielten die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die Biochemikerin Jennifer Doudna den Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9. Das Verfahren wird Genschere genannt, weil es gezielt DNA-Sequenzen findet und zerschneidet. Es spielt eine wichtige Rolle, vor allem im Abwehrsystem von Bakterienzellen. In der Dokumentation „Human Nature: Die CRISPR Revolution“ wird der Vorgang erklärt. Wird ein Bakterium von einem Virus angegriffen, schaffen es manche Bakterien, einen Teil der schädlichen Virus-DNA in ihrer eigenen DNA zu speichern. Das Ziel des Virus ist es, einen Wirt zu finden, das eigene Erbmaterial zu injizieren und das Bakterium als Produktionsort für weitere Viren zu missbrauchen. Durch das Speichern eines Teils der Virus-DNA, erkennt das Bakterium dieses bei einem erneuten Angriffsversuch. Diesen speziellen DNA-Schnipsel nennt man RNA. Es gibt den DNA-Schnipsel weiter an das Protein Cas9, dem Herzstück der CRISPR-Maschine. Damit ausgestattet findet Cas9 heraus, ob es sich um das bekannte Virus handelt. Ist dem der Fall, setzt Cas9 an dieser DNA an und durchtrennt die virale DNA. Das hat eine Inaktivierung des Virus zur Folge.

Bildliche Beschreibung

Zum besseren Verständnis kann dieser Vorgang mit der Wortsuche in einem PDF-Dokument verglichen werden. Die Suchleiste wäre Cas9, in das man den Suchauftrag, die Virus-DNA, eingibt. Jetzt durchsucht Cas9 das komplette Dokument, also unseren Körper, nach dem Suchauftrag. Wird dieser gefunden, setzt Cas9 an die virale DNA an. Das wäre das farbliche Hinterlegen des gesuchten Wortes. Nach dem Ansetzen zerschneidet Cas9 die virale DNA, was eine Inaktivierung des Virus zur Folge hat.

„Was mich bei Cas9 so beeindruckt hat, ist, dass es ein programmierbares Protein ist. Es findet und schneidet DNA. Als Werkzeug betrachtet, fallen einem gleich eine Menge Verwendungszwecke ein.“

Jennifer A. Doudna

US-amerikanische Biochemikerin und Molekularbiologin

Lange Zeit war unklar, wie Bakterienzellen es schaffen, resistent zu werden. Man dachte in diesem Moment noch nicht daran, dass CRISPR damit zutun haben könnte. In Forschungsversuchen wurden Bakterien Viren ausgesetzt. Beim Vergleich der Zellen vor und nach dem Angriff wurde festgestellt, dass sich die DNA der überlebenden Zellen verändert hat. Neue DNA-Sequenzen wurden der DNA des Bakteriums hinzugefügt, die mit der DNA-Sequenz der Viren übereinstimmen. CRISPRs Rolle in der Natur ist es, Bakterien gegen Viren immun zu machen, um sie vor diesen zu schützen.

DNA und RNA

Unsere DNA besteht aus einer langen Abfolge von vier Aminosäuren, die jeweils mit ihrem Anfangsbuchstaben abgekürzt werden. A steht für Adenin, T für Thymin, C für Cytosin und G für Guanin. Mit anderen Worten ist es die Bedienungsanleitung zu unserer Person. Einzelne Sequenzen dieser Aminosäurefolgen können zusammengefasst werden zu Genen. Durch CRISPR Cas9 ist es möglich, einzelne Aminosäuren in einem Gen zu verändern.

Cas9 schneidet DNA anhand einer Anleitung, die es in sich trägt. Diese Anleitung ist ein RNA-Molekül, das der exakten DNA des Eindringlings entspricht. RNA ist DNA sehr ähnlich. Auch RNA besteht aus vier Aminosäuren, die ebenfalls mit ihren Anfangsbuchstaben abgekürzt werden. Diese können in der entsprechenden Abfolge Paare mit der DNA bilden. Die Aminosäurefolgen der RNA ermöglichen es Cas9, eine bestimmte DNA-Sequenz zu finden. Hilfreich für das Editieren von Genen ist, dass RNA-Moleküle sehr leicht im Labor herstellbar sind. Man kann demnach Cas9 mit einem speziellen RNA-Molekül ausstatten und es nach einer beliebigen DNA-Sequenz suchen lassen. „Somit kann man jegliche DNA zerschneiden. Nur mit einem kleinen Stück RNA und Cas9“, erklärt die amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna in der Dokumentation „Human Nature“.

Bauern, die ersten Gentechniker

Der aktive Eingriff in die Gene unserer Lebensmittel findet schon seit Jahrhunderten statt. Bauern kreuzten schon damals Pflanzen oder Tiere mit günstigen Eigenschaften. Das Ziel war es, Organismen mit guten Eigenschaften zu vermehren und damit den Ertrag zu steigern oder die Resistenz gegen Krankheiten zu fördern. Eigenschaften sind ein Resultat bestimmter Gene, die mit jeder neuen Generation verstärkt werden. Das besondere an einem bewusst genetisch veränderten Organismus hingegen ist, dass Gentechniker heutzutage mithilfe moderner Technologien in die Erbsubstanz der Nutzpflanzen eingreifen und fremde Gene gezielt hinzufügen. Diese Pflanzen werden damit resistenter gegen Schädlinge oder bestimmte Unkrautbekämpfungsmittel gemacht. Genveränderung werden zum Beispiel auch eingesetzt, um die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern. Welche Lebensmittel es zu uns in die Läden schaffen, entscheidet unter anderem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Sie gibt Richtlinien bei genetisch veränderten Organismen vor, prüft neuartige Lebensmittel und bewertet so mögliche Risiken für die Gesundheit des Menschen, der Tiere und der Umwelt in Europa.

Wie gefärlich Gentechnik unserem Essen ist. Quelle: YouTube; Kanal: Dinge Erklärt – Kurzgesagt

Herzlichen Glückwunsch – Sie sind HIV-Immun

Im November 2018 verkündete der Forscher He Jiankui er habe die ersten genveränderten Kinder auf die Welt gebracht. Lulu und Nana, das sind die Pseudonyme für die Namen der ersten Zwillinge, die unter Einfluss der Genschere zur Welt kamen. Sie entstanden aus dem Kinderwunsch der Mutter Grace und dem HIV-positiven Vater Mark. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch diese Namen Pseudonyme sind. In einem Video beschreibt der Biophysiker, dass die beiden Mädchen eine bestimmte Mutation des CCR5-Gens in sich tragen. Im CCR5-Gen sind Informationen über unser Immunsystem codiert. Mit der Mutation, dem Fehlen von 32 Aminosäuren in der DNA, ist die Infektion mit HIV nicht mehr möglich. Das soll nun auch für die Zwillinge gelten. Hintergedanke des Eingriffs soll die Befürchtung der Eltern gewesen sein, dass die Mädchen während der Zeugung von ihrem Vater infiziert würden. Die Verkündung des Eingriffs von He Jiankui brachte großen Aufruhr mit sich. Viele Forscher wendeten sich von ihm ab und verurteilen seine Arbeit. Auch seine Universität distanzierte sich und verkündete, sie habe nicht von seinen Forschungen gewusst. Es heißt, das Team habe im kompletten Alleingang gehandelt. He Jiankui wurden im Dezember 2019 drei Jahre Haft auferlegt. Außerdem musste er eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 383.000 Euro zahlen. Grund dafür soll, laut dem Tagesspiegel, die Täuschung der Eltern über die Keimbahnterapie und das Einreichen falscher Voraussetzungen bei Ethikkommissionen sein, um deren Genehmigung zu erschleichen. Es wurde ihm untersagt, sich nach der Haftstrafe an reproduktionsmedizinischen Experimenten zu beteiligen.

Das Manipulieren der Keimbahn führt dazu, dass die Änderungen in der DNA vererbbar werden. Außerdem können unvorhersehbare Risiken für den Träger dieser Gene entstehen, die bei Vererbung auch die folgenden Generationen betreffen. Es wird bemängelt, dass die Kinder keine Möglichkeit der Zustimmung hatten und nun mit den Folgen des Eingriffs leben müssen. Das Gen CCR5 könne, laut der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die Infektionsgefahr für andere Virusinfektionen erhöhen. „Zum Beispiel für die Grippe oder den West-Nil-Virus“, meint sie auf ihrem YouTube-Kanal maiLab. Sie beschreibt, dass bei der Nutzung der Genschere Off-Target- und On-Target-Effekte auftreten können. Off-Target-Effekte sind unbeabsichtigte Veränderungen weiterer Gene, neben dem gewünschten Gen. Unter On-Target-Effekten versteht man das Auftreten von verschiedenen Veränderungen am Gen, nicht nur die gezielte Veränderung.

Keimbahneingriffe

Laut dem Bayerischen Rundfunk könnte der russische Forscher und Biologe Denis Rebrikov der nächste Forscher werden, der Kinder genmanipuliert und sie austragen lässt. Sein Ziel sei es, Taubheit zu verhindern, meint er in der Fachzeitschrift Nature.

Bereits im September 2017 forderte der Deutsche Ethikrat einen globalen politischen Diskurs und eine internationale Regulierung zu Keimbahneingriffen am menschlichen Embryo. Am dritten März 2020 folgte eine Stellungnahme. In dieser wird beschrieben, dass solche Eingriffe derzeit unzulässig seien, aufgrund der Risiken. Dennoch solle es ethisch nicht grundsätzlich auszuschließen sein.

An Embryos wird seit Langem mithilfe künstlicher Föten geforscht. Diese nennt man auch In-vitro-Embryos und sind nicht lebensfähig. Sie entstehen durch eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas.

„Der Mensch ist in der Lage dazu, einen Menschen zu erschaffen, der ohne Angst oder Schmerz in den Kampf ziehen kann. Das könnte schlimmer sein als die Atombombe.“

Wladimir Putin

Präsident der Russischen Föderation

Crispr gegen Covid-19

Auch für Tests auf SARS-CoV-2 wird CRISPR genutzt. Die US-amerikanischen Unternehmen Sherlock Biosciences aus Massachusetts und Mammoth Biosciences aus Kalifornien widmen sich, laut eigenen Angaben, dem Ziel, einen Covid-19 Test mittels CRISPR zu erstellen. Dabei gelang es Sherlock Biosciences im Mai 2020, ein Kit zur Diagnostik des Virus SARS-Cov-2 herzustellen. Dieses wurde von der U.S. Food and Drug Administration, deutsch US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel, autorisiert.
Des Weiteren sollen US-Forscher einen Schnelltest zum Nachweis entwickelt haben, der sowohl Covid-19 detektiert als auch die Stärke der Infektion anzeigt. Das Verfahren wurde von einem Team um Daniel Fletcher von der Universität von Berkeley und Melanie Ott vom Gladstone-Institut entwickelt. Der Schnelltest zeigt innerhalb von fünf Minuten ein Ergebnis an. Das Risiko der Nichterfassung von möglichen Virusmutationen wird verhindert, indem mehrere crRNAs verwendet werden. Diese zielen auf verschiedene Teile des Genoms ab. Dank der Quantifizierung der Viruslast, kann der Verlauf der Krankheit besser bestimmt werden. Beispielsweise können Auskünfte über die verbleibende Ansteckungszeit getroffen werden. Verfügbar könnte dieser Test allerdings erst werden, nachdem weitere Studien durchgeführt wurden.
Auch an der Universität von Stanford wird daran gearbeitet, einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 mit der CRISPR Methode herzustellen. In einem Artikel heißt es, sie hätten bereits ein effektives CRISPR-System hergestellt, welches gezielt das Covid-19-Virus findet und sein Erbgut zerstört. Damit stoppe es das Virus davor, die Lungen des Menschen zu infizieren. Sie zeigten auf, dass CRISPR die Belastung des Coronavirus in menschlichen Zellen um 90 Prozent reduzieren kann. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen und die teilnehmenden Forscher arbeiten an einem tatsächlichen Produkt. Das Ziel ist es, diese Methode mit einem inhalatorbasierten Abgabegerät zu kombinieren.

CRISPR ist somit ein Tool zum Gen-Editieren, das unser Leben tagtäglich beeinflusst. Sei es in unserem Essen, den Impfungen oder ähnlichem. Es hat die Macht unser Leben maßgeblich zu beeinflussen. CRISPR befindet sich allerdings noch in den Kinderschuhen. Forscher könnten damit weitere und treffsichere Methoden herausfinden CRISPR zu nutzen. Das Tool selbst sollte aber nicht gefürchtet werden. Es kommt immer darauf an, wie bei He Jiankui, wer es zu welchem Zweck nutzt. Beispielsweise findet die Genschere Verwendung in der Forschung zur Heilung von Krebspatienten. Die Welt wird in der Zukunft vor ethische Fragen gestellt werden und entscheiden müssen, in wie weit Manipulationen unserer Gene vertretbar sind.

Text: Maria Marle, Titelbild Foto/Grafik: Maria Zimbal
<h3>Maria Marle</h3>

Maria Marle

ist 22 Jahre alt und studiert Medienmanagement im 5. Semester mit der Vertiefung Media and Economics an der Hochschule Mittweida, kommt aus Pirna, Leitung des Team Technik von medienMITTWEIDA