Kommentar: Genital-Tätowierung bindet Hörer

von | 9. März 2011

Nach Gewinn- und Anrufer-Spielen gehen einige deutsche Radios noch einen Schritt weiter. Mit nackter Haut und Schmerzen versuchen sie mehr Hörer für sich zu gewinnen und bei der halbjährlichen Erhebung der Hörerzahlen besser dazustehen.

Das Funkhaus Halle feiert sich heute selbst. Nachdem die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse die Hörerzahlen für das Frühjahr 2011 veröffentlicht hat, steht fest, dass der Sender abermals ein positives Ergebnis ausweisen kann. Durschschnittlich schalten 158.000 Hörer in einer Stunde an Wochentagen von 6 bis 18 Uhr ein – mehr als jemals zuvor.

Es scheint so, dass sich die Hörer bei den Telefonumfragen besser an den Radiosender erinnern, wenn er ihnen zuvor negativ aufgefallen ist. Anders lässt sich nicht erklären, dass Radiosender, die wie 89.0 RTL live von einer Genital-Tätowierung berichten und davon Bilder ins Internet stellen, solche Ergebnisse erreichen. Besagtes Ereignis war eine Wettaktion vom mitteldeutschen Radiosender, bei der jeder Hörer einen besonders skurrilen Einsatz vorschlagen konnte, den er einlösen wollte, um für nur ein Jahr kostenfrei ein Auto überlassen zu bekommen. Ein Kandidat schlug vor, sich das Wort „Mini“ auf sein bestes Stück tätowieren zu lassen. Auf den ersten Blick eine lustige Idee. Doch auch Kinder hören diesen Sender und so erscheint die Idee unangebracht. 89.0 RTL hätte den Vorschlag am Anfang aussortieren können, vielleicht müssen, tat es aber nicht. Der Sender stellte den Wetteinsatz in der Radiosendung vor, ließ die Zuschauer entscheiden und die wählten die Genital-Tätowierung zum Sieger.

Die Nacktrodel-Weltmeisterschaft wird immer beliebter

Die Genital-Tätowierung war aber nicht die erste Aktion, bei der 89.0 RTL mehr auf Hörerzahlen als auf das Niveau geachtet hat. So organisiert der Sender seit 2009 das sogenannte Nacktrodeln, bei dem sich einmal im Jahr 30 bis 40 Mutige in Braunlage im Harz treffen, die in dürftiger Bekleidung einen Berg hinabrodeln – begleitet von tausenden schadenfrohen Zuschauern und zahlreichen Medienvertretern aus Deutschland, den USA, Japan, Großbritannien und Australien. Auch dieses Ereignis fällt immer wieder in den Befragungszeitraum der Media-Analyse. Neben der Live-Berichterstattung befinden sich im Internet natürlich hunderte Fotos für potenzielle Hörer, die aus Scham nicht selbst voo Ort waren.

Es war schon immer auffällig, dass die Radiosender im Befragungszeitraum der Media-Analyse besonders viel Geld verschenkten und besonders skurrile Aktionen organisierten. Doch ging 89.0 RTL mit der Genital-Tätowierung und dem Nacktrodeln einen Schritt zu weit und verkaufte nackte Haut und Schmerzen für höhere Zuhörerzahlen und ein besseres Abschneiden bei der Media-Analyse. Die Moral bleibt auf der Strecke, die Hörer freut es.

Was kommt als nächstes?

Dass das Radio auf seinem klassischen Verbreitungsweg immer mehr an Bedeutung verliert, ist allseits bekannt. Also ist kaum verwunderlich, dass die Radiomacher alles versuchen, um im Kopf der zu Hörer bleiben. Doch wo führt das noch hin? Was können die Hörer als nächstes erwarten? Nacktbaden im Maschsee und live begleitete Brustoperationen sind dann vermutlich die nächste Stufe der niveaulosen Radioaktionen.

<h3>Jana Rittstieg</h3>

Jana Rittstieg