Kommentar

Good Vibes Only?

von | 19. Januar 2024

Warum hinter dem Phänomen „Toxic Positivity" mehr als nur gut gemeinte Ratschläge stecken - und es sogar problematischer sein kann, als man denkt.

Schlechte Tage hat doch jede:r mal! Da ist doch so ein gut gemeinter Ratschlag einer Freundin gerade das Richtige, um aus dem Stimmungstief zu kommen, oder? Allerdings wissen viele Menschen nicht, was der Unterschied zwischen echter Hilfe und leeren Phrasen ist.

Kennst du das? Die Prüfungsphase steht vor der Tür und du machst dir große Sorgen, durch diese eine Prüfung durchzufallen. Immerhin bist du schon im Drittversuch. Dazu kommt noch der kalte Winter und im Großen und Ganzen geht es dir einfach nicht so gut. Du beschließt, deine Sorgen einer anderen Person anzuvertrauen. Doch die einzige Antwort, die du bekommst, ist: „Mach dir nicht so viele Gedanken. Bleib einfach positiv! Lächel‘ doch einfach mal mehr, dann lösen sich deine Probleme schon von ganz alleine!“ Frustrierend, was? Kenn‘ ich. Musste ich mir in der Vergangenheit mehr als nur einmal anhören.

„Stell dich nicht so an, andere haben es viel schlimmer!“ Diesen ebenfalls sehr beliebten und zugegebenermaßen recht toxischen Satz kennt wohl jede Person, die mindestens einmal im Leben mit mentalen Problemen zu kämpfen hatte. Doch warum hadern immer noch so viele Menschen mit sich selbst, wenn doch Sport, frische Luft und Sonnenschein DAS Allheilmittel gegen Depressionen, Angst und Co. sein sollen? Warum benötigen immer mehr, vor allem junge Menschen, psychotherapeutische Hilfe, wenn sie doch einfach jeden Morgen vor dem Spiegel lachen und dreimal „Du bist wunderschön!“ zu sich selbst sagen könnten?

Depressionen

Eine Depression ist eine chronische, psychische Erkrankung. Sie geht sowohl mit psychischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder negativen Gedanken als auch mit körperlichen Leiden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwäche oder Magen-Darm-Beschwerden einher. Eine Depression ist ebenso wie jede andere Krankheit unbedingt zu behandeln. Solltet ihr der Meinung sein, dass ihr selbst oder eine Person in eurem Umfeld von Depressionen betroffen seid, steht euch die Hotline der Deutschen Depressionshilfe unter 0800 / 33 44 533 zur Verfügung. Auch die Telefonseelsorge ist unter 0800 1110111 jederzeit erreichbar.

„Toxisch“? Was ist denn das jetzt schon wieder…

Der Begriff „toxic“ – oder zu Deutsch „toxisch“ – hat sich in den letzten Jahren immer mehr in den Sprachgebrauch integriert, nicht zuletzt durch Social Media. Er wird oft in Beiträgen oder Diskussionen über psychische Gesundheit und zwischenmenschliches Verhalten verwendet. Beschrieben werden damit ungesunde Verhaltensweisen, welche entweder der Person selbst oder ihrem Umfeld schaden. Ursprünglich kommt das Wort aus der Biologie beziehungsweise der Medizin und bedeutet „giftig“. Gift sind solche toxischen Verhaltensweisen, Beziehungen, Menschen und so weiter sehr wohl, vor allem für die Psyche einer davon betroffenen Person.

Was aber, wenn eine essenzielle Eigenschaft der Menschheit, ohne die wir ein sehr trostloses Leben führen würden, irgendwann toxisch werden kann? Die Rede ist von positivem Denken. Das Phänomen „toxic positivity“, zu Deutsch „toxische Positivität“, wurde vor einiger Zeit zunächst in den USA benannt. Gemeint ist damit schlicht die Überzeugung, stets positiv denken zu müssen, egal, wie schlimm es einen im Leben zu treffen vermag. Dabei kann man sowohl von anderen Personen toxisch positive Ratschläge an den Kopf geworfen bekommen, als auch sich selbst seine Probleme und Sorgen kleinreden. 

Bitte recht glücklich!

Dauerhaft exzessiv positiv zu denken, kann demnach schädlich sein: Setzt man sich nie mit seinen negativen Emotionen auseinander und verdrängt sie andauernd, können sie sich sogar noch verstärken. Bereits bestehende Tabus werden gefestigt und Schamgefühle kommen auf. Anstatt die Gesellschaft für negative Emotionen und psychische Probleme zu sensibilisieren, tut man diese als unwichtig ab. Man reagiert sowohl bei sich selbst als auch bei anderen mit toxischer Positivität. Und damit ist doch niemandem geholfen, oder?

Der US-amerikanische Autor Mark Manson schreibt in seinem Buch „The Subtle Art of Not Giving a F*ck“: „Any attempt to escape the negative, to avoid it or quash it or silence it, only backfires. The avoidance of suffering is a form of suffering.“ Damit setzt er ein deutliches Zeichen gegen toxische Positivität; seine negativen Emotionen zu unterdrücken, geht laut ihm meist nach hinten los.

Aber die eigentliche Frage ist doch, warum es überhaupt so verpönt ist, über die Schattenseiten der menschlichen Psyche offen zu sprechen? Es gibt laut Expert:innen viele Gründe dafür. Zum einen schämen sich Betroffene oft für ihre Gefühle, sollten diese nicht durchweg positiv sein. Oder wie oft ist euch schon eine entfernt bekannte Person begegnet, die auf die Frage „Wie geht’s dir?“ ein ehrliches „Könnte besser sein.“ geantwortet hat? Ich schätze mal, die Anzahl solcher Gespräche kann man an einer Hand abzählen.

Zum anderen wissen viele Menschen durch das exzessive Unterdrücken ihrer Emotionen auch gar nicht, wie sie ihre Gedanken in Worte fassen und um Hilfe bitten sollen. Ich denke, jeder kennt dieses unkomfortable Gefühl im Bauch, wenn man sich gerne einer Freundin oder einem Freund anvertrauen würde, doch nicht genau weiß, wie das Gegenüber reagieren wird.

 „Any attempt to escape the negative, to avoid it or quash it or silence it, only backfires. The avoidance of suffering is a form of suffering.“ 

Mark Manson

„Warum machst du dir ’nen Kopf?“

Die heutige Zeit ist von negativen Schlagzeilen geprägt. Inflation, Kriege, Wirtschaftskrisen, Klimawandel – das alles schlägt sehr auf die Psyche der Menschen; vor allem die Generation Z verliert dadurch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Da ist es natürlich verständlich, wenn Ratschläge à la Tante Monika, man solle „sich doch einfach nicht so viele Gedanken machen“, den jungen Menschen eher weniger die Sorgen nehmen. Doch auf der Welt gibt es aktuell neben schlechten Nachrichten und Hiobsbotschaften en masse noch ein weiteres Phänomen, was vor allem seit Corona einen starken Aufschwung erlebt: Selbstoptimierungsliteratur! Regale voller Bücher über „Selfmade-Zufriedenheit“, „endlich angstfrei leben“ und wie sie nicht alle heißen. Diese zum Teil komplett überteuerten Ratgeber, in denen im Prinzip immer dieselben leeren Floskeln stehen, wollen den Leser:innen nur eines vermitteln: mit dem richtigen Mindset gelingt dir alles – wirklich alles!

Die Autorin Anna Maas ist in ihrem Buch „Die Happiness-Lüge“ dieser Behauptung einmal auf den Grund gegangen und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Man ist eben nicht des eigenen Glückes Schmied. Ganz im Gegenteil: die ständige Suche nach dem Glück setzt Menschen unter Druck. „Wer es nicht schafft, optimistisch zu bleiben, hat versagt“, so Maas. 

Dennoch erfreuen sich Buchhandlungen jeglicher Art jedes Jahr mehr an vollen Auslagen mit immer dem gleichen Einheitsbrei an Selbstoptimierungs-„Ratgebern“. Besagte Bücher triefen nur so vor toxischer Positivität. Leider kann man auf den ersten Blick echte, psychologisch fundierte Selbsthilfeliteratur nicht unbedingt von solchen pseudowissenschaftlichen Leitfäden für den Weg zum Happiness-Guru unterscheiden. Denn diese geben den Leser:innen eher weniger hilfreiche Tipps und Tricks an die Hand, wie man negative Gedanken erkennen und diese dann verarbeiten kann. Ja, auch ich bin ein paar Mal in die Falle getappt.

Vor allem ausgelutschte Trostsprüchlein wie „Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus!“ oder – mein persönlicher Favorit – „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker!“, können sich all die Good-Vibes-Only-Sophias und -Tobiasse dieser Welt sparen. Bietet doch anstatt solcher sinnlosen Floskeln mal echte Hilfe an. Mit solchen Sätzen macht ihr es in den meisten Fällen einfach nur noch schlimmer, da dem Gegenüber suggeriert wird, dass Weinen und mal schlecht drauf sein ein absolutes No-Go ist und man sich dafür schämen sollte, sich so zu fühlen. 

Emodiversität

Unter Emodiversität, auch „emotionale Diversität“, versteht man ein möglichst großes Spektrum an verschiedenen Emotionen sowohl positiver als auch negativer Natur, die ein Mensch fühlen kann. 

Der Begriff kommt vom englischen „emodiversity“ und ist im Deutschen an „Biodiversität“ angelehnt.

Die Mischung macht’s!

Klar, eine positive Grundeinstellung ist an sich sehr gesund und hilft dabei, nicht alles gar so pessimistisch zu sehen. Allerdings sollte man nie vergessen, auch die weniger schönen Seiten des Lebens zuzulassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Somit kann man negative Erlebnisse besser verarbeiten und lernt mit der Zeit, besser mit seinen Emotionen umzugehen. Wissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass Menschen mit einer hohen Diversität an Gefühlen eine bessere körperliche Gesundheit aufweisen als Menschen, deren Gefühlswelt nur von wenigen Emotionen beherrscht wird. Selbst negative Gefühle seien laut Forschenden kein Indiz für eine schlechtere Gesundheit, wenn sie Teil einer hohen Emodiversität seien. 

Fazit: Lasst eure schlechten Tage einfach mal zu und versucht nicht auf Krampf, den Ärger oder die Sorgen unter den Teppich zu kehren. Ein schönes Zitat besagt: „Emotionen sind wie das Wetter: Wir können sie nicht beeinflussen, aber wir können uns dementsprechend kleiden.“ Was uns der Autor dieses Zitates damit sagen möchte? Nun, wenn es euch einmal schlecht geht, dann ist das eben so und ihr verhaltet euch entsprechend.

Gerade in der heutigen Zeit kann man ziemlich leicht mal den Mut verlieren. Sprecht mit anderen Personen über eure Probleme, die euch wirklich zuhören und ernst gemeinte Ratschläge geben.
Gefühle machen uns menschlich, sowohl die guten als auch die weniger schönen.

Text, Titelbild: Leny Näser
<h3>Leny Näser</h3>

Leny Näser

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2023/2024 engagiert sie sich als Bereichsleiterin Social Media bei medienMITTWEIDA.