Grand Theft Auto

Serie der Superlative

von | 26. Januar 2024

Extrem teuer, extrem erfolgreich, extrem kontrovers: Ein Blick zurück auf die „GTA"-Serie

Das Video beginnt mit einem Kameraflug über einen mit Licht gefluteten Highway im fiktiven US-Bundesstaat Leonida, im Hintergrund spielt „Love Is A Long Road“ von Tom Petty. Es folgen Clubszenen, Aufnahmen von Gang- und Auto-Treffen, verschiedene virale Nachrichten-Schnipsel und ein bewaffneter Ladenraub. Am Ende erscheint schließlich eine stilisierte römische „VI“ auf dem Bildschirm – und das Internet explodiert. Ganze zehn Jahre nach der Veröffentlichung des Vorgängers gibt es mit dem Trailer zum sechsten Teil der „Grand Theft Auto“-Serie endlich einen ersten Blick auf das für 2025 geplante Videospiel.

The King Is Back

Das Video, welches am 5. Dezember auf dem YouTube-Kanal der Entwickler „Rockstar Games“ veröffentlicht wurde, schlägt ein wie eine Bombe. Innerhalb eines Tages wird es fast 100 Millionen Mal geklickt. „GTA 6“ ist für über 20 Stunden in den Twitter-Trends, selbst viele traditionelle Nachrichtenorgane wie die Zeit, Süddeutsche und der Spiegel berichten darüber. Laut der „Guinness World Records“ ist es, abgesehen von Musikvideos, das in 24 Stunden am meisten angeschaute Web-Filmchen aller Zeiten. Will man den ungeheuren Hype auf den neuesten Teil der Serie verstehen, braucht man bloß auf die Vorgängertitel zu schauen: Die Gangster-Epen der „Grand Theft Auto“-Reihe sind, selbst für die Verhältnisse der gigantischen Videospielindustrie, Riesen-Hits. Besonders der direkte Vorgänger „GTA 5“ sticht als eines der (laut Analysten) teuersten, aber auch als das erfolgreichste Spiel aller Zeiten heraus.

Doch wie konnte eine Serie, die kontroverse Themen wie Gewalt, Prostitution und Kriminalität nicht nur behandelt, sondern zu Hauptelementen ihrer Spiele gekrönt hat, derart erfolgreich werden?

Verbrechersimulation im Blockbuster-Format

Bevor wir dieser Frage nachgehen, ist erst einmal eine Erklärung für alle die nötig, die noch nie etwas von der Serie gehört haben. „Grand Theft Auto“, allgemein als „GTA“ abgekürzt, ist eine Videospiel-Serie des schottischen Entwicklers Rockstar North, veröffentlicht von Rockstar Games. Auch wenn sich die Titel der Reihe in Präsentation, Charakteren und Story unterscheiden, so folgen sie doch alle dem gleichen Prinzip: Der Spieler steuert einen Protagonisten, der je nach Teil mehr oder weniger in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, durch eine Open-World. In dieser kann er Missionen durchführen, verschiedene Aktivitäten wie Tennis oder Golf betreiben und natürlich allerlei Chaos stiften.

Open-World

Open-World“ (deutsch: offene Welt) beschreibt einen Designansatz von Levels in Videospielen. Sogenannte Open-World-Spiele haben meistens nur ein Level, welches jedoch äußerst groß und oftmals komplett frei begehbar ist. Außerdem kann der Spieler in einer „Open-World“ meistens verschiedene Spielziele in einer relativ freien Reihenfolge abarbeiten.

Die Entwickler fahren dabei einen zweigleisigen Ansatz. Während der Spieler in der Welt quasi tun und lassen kann, was er will, sind die Missionen, mithilfe derer die Story des Spiels erzählt wird, streng linear aufgebaut. Ob es darum geht, eine Bank auszurauben, oder nur ein Auto abzuschleppen, der Spieler folgt exakt dem vom Spiel vorgegebenen Skript, beinahe wie ein Schauspieler. Dieser Kontrast, wenn auch oft kritisiert, ist Kalkül: „Rockstar versucht, das Beste aus beiden Welten hinzubekommen. Zum einen haben sie eine freie Welt, in der man viel laufen kann, erschaffen. Dann aber gehen sie mit den wenigen Missionen sehr linear um, um sie so dramaturgisch und cineastisch sauber wie möglich aufzubauen“, so Alexander Marbach, Professor für Gamedesign und -entwicklung an der Hochschule Mittweida. Kombiniert mit einer beeindruckenden technischen Umsetzung wirken diese Sequenzen so beinahe wie aus einem Blockbuster-Hollywood-Film.

Der Reiz des Verbrechens

Aber egal, ob in einer perfekt choreographierten Mission oder beim freien Erkunden der offenen Welt, der Fokus der Serie war schon immer eins: Kriminalität. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen ist man nicht der strahlende Held, der die Welt rettet, sondern ein skrupelloser Mörder und Verbrecher. Viele der Missionen enden in einer Schießerei, und in der offenen Welt kann man nach Belieben Autos stehlen, Passanten töten und Läden ausrauben – auch wenn die Polizei früher oder später versuchen wird, den Spieler aufzuhalten. Wie ein Artikel von NBC vor der Veröffentlichung von „GTA 4“ schrieb: Auf dem Papier verkörperten die „GTA“-Spiele alles, was falsch mit Amerika ist.

Und trotzdem, oder eher genau deswegen, funktionieren sie so gut. Gary Penn, einer der Entwickler des ersten „GTA“, sprach in einem Interview von der Entscheidung über die thematische Ausrichtung: „Das Spiel war Räuber und Gendarm und hat sich dann schnell weiterentwickelt – niemand will den Gendarmen spielen, es macht mehr Spaß, böse zu sein.“ Alexander Marbach sieht das ähnlich: Den Reiz des Spiels macht seiner Meinung nach aus, dass es den Spieler befähigt, „Dinge zu tun, die nur unter Annahme des Regelkreises eines Spiels möglich sind. Dinge, die im normalen Leben verwerflich oder schlichtweg verboten sind.“ „GTA“ ermächtigt den Spieler, jede beliebige Schandtat zu begehen, lässt aber die Konsequenzen seiner Handlungen nie länger als ein paar Minuten andauern. Die Polizei vergisst nach kurzer Zeit ohne Sichtkontakt zum Spielcharakter, dass dieser überhaupt existiert. Und sollte man doch mal bei einer Schießerei sterben, wacht man wenige Sekunden später vorm Krankenhaus wieder auf. Handlungen, deren Folgen im echten Leben niemand tragen wollen würde, werden in „GTA“ so zum spielerischen Vergnügen.

Kein Blatt vor den Mund

Damit der virtuelle Gesetzesbruch so echt (und damit reizvoll) wie möglich wirkt, legen die Entwickler einen beeindruckenden Wert auf die Details in ihrer Spielwelt. Es gibt stundenlange Radioprogramme, akkurat und persistent simulierte Passanten und Verkehr, Nachrichtenmeldungen und vieles mehr. All das diene der Immersion des Spielers, denn nur in einer realistisch wirkenden virtuellen Realität macht es schließlich Spaß, Dinge zu tun, die in der echten Realität nicht erlaubt sind.

Gleichzeitig erlaubt dieser Grad an Immersion den Entwicklern, ihren Spielern noch wirksamer Botschaften mit auf den Weg zu geben. Denn „GTA“ war schon immer eine satirische Nachbildung der Wirklichkeit: Die Städte sind immer von Gegenstücken in der echten Welt beeinflusst, Firmen und Marken werden parodiert und durch den Dreck gezogen, selbst bekannte Persönlichkeiten sind nicht sicher vor Rockstar. So ist „GTA“ zwar eine satirisch überzogene Version alles Schlechten in unserer Gesellschaft, nutzt diese Gelegenheit aber gleichzeitig auch, um den Finger immer wieder auf soziale und politische Missstände zu legen, seien es korrupte Staatsbehörden, Waffengewalt oder Paparazzi.

Krass kontrovers

So viele Details und Gesellschaftskritik aber auch in den Spielen steckt, am Ende assoziieren die meisten „GTA“ trotzdem mit Gangstern, Gewalt und der Glorifizierung des Bösen – einen Ruf, den die Serie seit dem ersten Teil trägt. Um Publicity für „GTA 1“, welches ursprünglich ein Rennspiel unter dem Namen „Race’n’Chase“ werden sollte, zu generieren, beauftragten die Entwickler damals den berüchtigten Boulevardreporter Max Clifford, der später  wegen sexueller Nötigung ins Gefängnis musste. Seine zweifelhafte PR-Kampagne, welche das Spiel als unmoralischen Amoklauf-Simulator darstellte, sorgte in der Presse und sogar im britischen Parlament für Aufruhr, mehrere verschiedene Interessengruppen verurteilten das Spiel. Die Kampagne brachte zwar die gewünschte Aufmerksamkeit und führte zum finanziellen Erfolg, doch der Ruf blieb hängen.

Seitdem begleiten Empörung und öffentliche Debatten jede Veröffentlichung eines neuen „GTA“-Teils. „GTA 3“ beispielsweise, welches neben einer revolutionären 3D-Umgebung auch erstmals einen Protagonisten mit eigener Agenda hatte, stand wegen der (für die Zeit) detailreichen Darstellung von Prostitution in der Kritik. Zeitweise war es sogar in Australien verboten. Ganz zu schweigen von „GTA 5“, das gleich eine ganze Mission hatte, in der der Spieler einen Menschen foltern muss – inklusive Controller-Vibration, die den steigenden Herzschlag des Opfers nachahmt, was selbst für viele Unterstützer der Serie zu weit ging. Und natürlich gibt es noch den amerikanischen Anwalt Jack Thompson, der sich mehrere Jahre lang dem Kampf gegen brutale Videospiele, allen voran „GTA“, widmete, nur um schließlich seine Zulassung zu verlieren und in Vergessenheit zu geraten.

Großartige Spiele, schlechter Arbeitsplatz?

Doch nicht nur die Spiele von Rockstar Games fielen mit schlechter PR auf. Auch das Studio selbst stand mehrfach in der Kritik, ihre Angestellten zu überarbeiten. Besonders viel mediale Aufmerksamkeit bekam die Veröffentlichung eines offenen Briefes an die Firma im Jahre 2010, welcher angeblich im Namen der Ehepartner der Entwickler geschrieben wurde. Laut diesem litten die Entwickler von Rockstar unter Stress und damit einhergehenden Gesundheitsproblemen, ohne angemessen dafür entlohnt zu werden. Ob der Brief nun wirklich von den Ehepartnern kam, ist unklar, sein Inhalt bewies sich einige Jahre später jedenfalls als akkurat. 2018 wandten sich die Angestellten Rockstars, während der Entwicklung des Western-Spiels „Red Dead Redemption 2“, selbst mit Geschichten über schlechte Arbeitsbedingungen an die Presse. In der Spieleindustrie sind lange Crunch-Zeiten, also Perioden von überdurchschnittlicher Arbeitszeit, sowie schlechte Bezahlung und Arbeitsplatzsicherheit schon lange ein Problem. Und auch wenn Rockstar sich mittlerweile anscheinend um bessere Arbeitsbedingungen für ihre Entwickler bemüht, so gibt die Branche insgesamt wenig Anlass zur Freude. Alleine die laut einem inoffiziellen Tracker etwa 10 500 Entwickler, die 2023 durch Einsparungen ihren Arbeitsplatz verloren haben, verdeutlichen das noch offene Verbesserungspotenzial der Spieleindustrie.

Rückkehr nach Vice City

2025 soll es mit „GTA 6“ wieder zurück nach „Vice City“ gehen, der „GTA“-Version von Miami. Die Stadt trat erstmals im gleichnamigen, 2002 veröffentlichten „GTA Vice City“ als Schauplatz in Erscheinung. Im neuesten Teil führt es die Spieler in eine moderne Interpretation der Stadt am Meer, die, abgesehen von einer quasi fotorealistischen Grafik, auch im Hinblick auf akkurate Umsetzung der Gebäude und andere Sehenswürdigkeiten beinahe nicht von dem realen Vorbild zu unterscheiden ist. Außerdem scheint das Spiel die mit „GTA 5“ angefangene Tradition, mehrere spielbare Protagonisten zu haben, fortzuführen und diesmal ein Paar à la „Bonnie und Clyde“ in die zentralen Rollen schlüpfen zu lassen – womit „GTA 6“ der erste Teil der Serie wäre, der eine weibliche Hauptfigur hätte.

Die (voraussichtlich) beiden Protagonisten am Werk, Bild: Rockstar Games

Ansonsten haben die Entwickler bis jetzt nicht mehr Details zum Spiel preisgegeben. Laut anonymer Entwickleraussagen versuche Rockstar diesmal marginalisierte Gruppen nicht zum Ziel ihrer Satire zu machen und mit ihren Witzen somit nicht nach unten zu treten. Ob ihnen das gelingt, werden wir frühestens nächstes Jahr sehen. Zwei Sachen sind aber gewiss: Das Spiel wird wie sein Vorgänger alle Rekorde brechen, und es wird uns mit seiner satirischen Darstellung von Florida, dem modernen Amerika und der zweifellos vorhandenen Gewalt wieder einen überzogenen Spiegel der realen Gesellschaft vorhalten, der zu fehlgeleiteten Kontroversen und Verbotsrufen führen wird. Denn am Ende ist es so, wie Alexander Marbach schon treffend sagte: „Spiele führen uns nur vor Augen, wie verrückt die Welt ist.“

Text: Paul Klotzsche, Titelbild/Video/Bild: Rockstar Games

<h3>Paul Klotzsche</h3>

Paul Klotzsche

ist 23 Jahre alt und studiert eigentlich Medieninformatik an der Hochschule Mittweida, erlebt die Wunder des Medienmanagement-Studiengangs jedoch als Gast mit. Seit dem Sommersemester 2023 engagiert er sich als Leiter der Technik-Abteilung bei medienMITTWEIDA.