Bereits vergangene Beiträge von Medien Mittweida haben gezeigt, dass die Modeindustrie weltweit für enorme Umweltschäden verantwortlich ist und größtenteils unter menschenverachtenden, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen produzieren lässt. Diese Probleme sind lange bekannt und durch zahlreiche erschütternde Reportagen mittlerweile auch bei den Konsumenten angekommen. Die Produktionsprozesse großer Textilkonzerne hat das bisher eher weniger beeinflusst, ihre PR-Abteilungen jedoch schon. Mit sogenanntem „Greenwashing“ versuchen Modekonzerne, ihre Produkte für aufgeklärte Kunden trotz fragwürdiger Herstellungspraktiken attraktiv zu halten.
Gezielte Kommunikation für ein grünes Image
Besonders Marken, die bei Konsumenten etabliert sind und hohes Vertrauen genießen, können ihre Kunden leicht beeinflussen, ohne kritisch hinterfragt zu werden. Schon im Jahr 2015 ergab eine Studie zur Wirkung der Nachhaltigkeitsaktivitäten von Textilunternehmen der Hochschule Reutlingen, dass die Marke eines Textilprodukts allein einen größeren Einfluss auf Konsumenten hat, als tatsächlich umgesetzte nachhaltige Maßnahmen und Produktionsprozesse der Unternehmen. Die Ergebnisse der Studie erklären laut Professor Dr. Jochen Strähle auch die Motivation der Konzerne hinter sogenanntem „Greenwashing“ als Marketing-Strategie: eine größere Wirkung auf den Konsumenten und weniger Kosten.
Aber was bedeutet der Begriff „Greenwashing“ eigentlich genau? Gezielte Werbung und äußerliche Gestaltung der Produkte, z.B. der Etiketten, sollen dem Kunden beim Konsum ein gutes Gefühl sowie der Marke ein nachhaltiges und verantwortungsvolles Image geben, obwohl die Produktionsprozesse der Textilien dafür keine ausreichende Beweislage als Rechtfertigung bieten.
gebrauchte Sneakers, ähnlich denen, die bei der „Sneakerjagd“ mit Peilsendern versehen wurden Foto: Clara Stein
Wie Konzerne vorgehen, um sich ein vermeintlich grünes und verantwortungsbewusstes Image bei ihren Kunden zu verschaffen, zeigte im letzten Jahr auch ein Rechercheteam von Reportern der ZEIT, dem NDR und dem Recherche-Start-up FLIP mit der sogenannten „Sneakerjagd“. Unter anderem die Modeunternehmen Nike und Zara hatten damit geworben, dass in ihren Filialen gebrauchte Sneaker abgegeben werden konnten, welche dann recycelt oder einem guten Zweck zugeführt würden. Die Reporter hatten daraufhin Sneaker mehrerer deutscher Prominenter, beispielsweise von Kevin Kühnert, Jan Delay und Linda Zervakis, mit Peilsendern versehen, um herauszufinden, was wirklich mit den Schuhen passiert, sobald diese die Filialen der Händler verlassen. Dabei stellte sich schließlich heraus, dass die Absichten der Textilkonzerne hinter ihren Kampagnen nicht so edel sind wie dargestellt. In den meisten Fällen landen die Sneaker über mehr oder weniger zwielichtige Umwege bei Händlern auf Second-Hand-Märkten der Dritten Welt oder in deutschen Müllverbrennungsanlagen.
Textilsiegel – der Teufel steckt im Detail
Für Verbraucher ist es schwierig, aber nicht unmöglich, „Greenwashing“ von echter Nachhaltigkeit zu unterscheiden. Um nicht auf PR-Tricks hereinzufallen, gibt es einige hilfreiche Strategien, mit denen Textilprodukte überprüft und falsche Werbeversprechen aufgedeckt werden können. Eine Möglichkeit, Textilien auf soziale und ökologische Mindeststandards in der Produktion zu überprüfen, sind Textilsiegel und Zertifizierungen. Diese sind verlässlicher als ungeschützte allgemeine Bezeichnungen auf Textiletiketten oder in der Werbung, wie beispielsweise die Begriffe „biologisch abbaubar“, „organic cotton“ oder „eco-friendly“.
Beispiel für ungeschützte Bezeichnungen auf Etiketten, die Nachhaltigkeit suggerieren Foto: Clara Stein
Es gibt allerdings unzählige NGO und Unternehmenssiegel, die für den Verbraucher in ihrer Vielzahl nur schwer zu überblicken sind und nicht jedes Siegel ist wirklich seriös, wie eine Recherche des Webvideoproduzenten-Teams „offen un‘ ehrlich“ ans Licht brachte. Um Verbrauchern mehr Orientierung zu bieten, wurde in Deutschland 2019 der „Grüne Knopf“ als staatliches Textilsiegel vom Bundesentwicklungsministerium eingeführt. Für den „Grünen Knopf“ werden einerseits die Produkte anhand von 26 sozialen und ökologischen Kriterien geprüft. Unabhängig davon wird auch das Unternehmen, welches sie verkauft, auf menschenrechtliche, soziale und ökologische Verantwortung kontrolliert. Die Prüfung erfolgt durch unabhängige Organisationen, wie z.B. den TÜV. Das freiwillige staatliche Siegel wird von Experten der Verbraucherzentrale durchaus als glaubwürdig eingestuft, bezieht sich aber nicht auf die gesamte Lieferkette der Textilien, sondern nur auf die Abschnitte Färben, Bleichen, Zuschneiden und Nähen. Dies wird sowohl vom Verbraucherzentrale Bundesverband, Greenpeace und in einem Interview mit der Tagesschau auch vom kirchlichen Hilfswerk „Brot für die Welt“ kritisiert und als nicht ausreichend empfunden. Weitere Kritikpunkte sind, dass nur die Mindestlöhne der Produktionsländer vorgeschrieben sind und für Händler in Deutschland keine gesetzliche Verpflichtung gilt, sich den Bedingungen des „Grünen Knopfs“ zu unterwerfen. Die Zertifizierung ist für Unternehmen nach wie vor freiwillig. Laut Greenpeace können nachhaltige Veränderungen in der Textilindustrie nur durch eine „gesetzliche Regulierung der gesamten Branche“ erreicht werden.
Rohstoffe genau unter die Lupe nehmen
Neben den Arbeitsbedingungen in der Produktion und fairem Handel und Anbau von Rohstoffen, werden auch die für die Produktion verwendeten Rohstoffe selbst von Unternehmen oft umweltfreundlicher dargestellt, als sie wirklich sind. Ein Beispiel dafür ist die Kunstfaser Viskose. Diese wird aus Holz hergestellt und deshalb von Herstellern oft als nachhaltige und ökologische Faser deklariert. Dabei wird verschwiegen, dass Viskose nur unter Verwendung giftiger Chemikalien hergestellt werden kann, welche nachweislich die Umwelt extrem belasten und für die Menschen, die in der Viskoseproduktion arbeiten, hochgradig gesundheitsschädigend sind.
Textilien sind oft aus Fäden unterschiedlicher Rohstoffe hergestellt, was von außen nicht erkennbar, sondern nur auf dem Pflegeetikett sichtbar ist. Foto: Clara Stein
Bereits 2017 berichtete die britische Zeitung „The Guardian“, dass große Textilkonzerne wie H&M und Inditex, zu welchem auch die Marke Zara gehört, nachweislich ihre Viskose aus Fabriken in China, Indien und Indonesien beziehen. Dabei wurde aufgedeckt, dass diese Fabriken durch ungeklärte, stark belastete Abwässer und Luftverschmutzung die Umwelt enorm verpesten. Schon damals wurde nachgewiesen, dass die zur Viskoseherstellung verwendeten Chemikalien sowohl die Fabrikarbeiter als auch die im Umfeld der Fabriken lebende Bevölkerung gesundheitlich schädigen. Im Jahr 2021 wurden diese Vorwürfe erneut durch eine Dokumentation des Fernsehsenders Arte im Umfeld einer solchen Fabrik in Indien bestätigt. In dieser werden Bilder von Menschen gezeigt, die aufgrund der Wasser- und Luftverschmutzung durch die Viskosefabrik im indischen Nagda gravierende gesundheitliche Schäden wie Sehstörungen, Unfruchtbarkeit, Gefäßschäden, Lähmungen, Artikulationsprobleme oder vollständig ergraute Haare im jungen Alter entwickelt haben.
Auch bei Produkten, die laut Etikett aus recyceltem Material hergestellt wurden, ist häufig auf dem eingenähten Pflegeetikett sichtbar, dass nur ein Teil der verwendeten Fasern wirklich aus der Wiederverwertung stammt. In der Europäischen Union unterliegen Textilien einer Kennzeichnungspflicht, welche die „Zusammensetzung des Gewebes in absteigender Prozent-Reihenfolge“ beinhalten, deutlich erkennbar und von sämtlichen anderen Hinweisen getrennt dargestellt werden muss. Daher ist das Pflegeetikett ein grundlegender Anhaltspunkt für die Zusammensetzung der verwendeten Rohstoffe eines Kleidungsstücks. Nur Textilprodukte, „…die ausschließlich aus einer Faser bestehen, dürfen den Zusatz „100 Prozent“, „rein“ oder „ganz“ tragen“, lautet die Verordnung weiter. Doch auch Kleidung, die aus 100 Prozent Baumwolle besteht, ist deshalb nicht automatisch nachhaltig, wie ein weiterführender Artikel von Medien Mittweida zeigt.
Kurzkommentar: Der Widerspruch zwischen Konsum und Nachhaltigkeit
„Alle Auswirkungen der Textilindustrie auf Gesundheit, Umwelt und Menschen vervielfachen sich mit den wachsenden Mengen an Kleidungsstücken, die produziert werden. [..] In der EU ist der private Konsum von Textilien der viertgrößte Verursacher von Umweltbelastungen.“, wie es in einem aktuellen Report von Greenpeace von November 2021 heißt.
Verbraucher, die beim Kauf auf nachweislich fair und umweltfreundlich hergestellte Textilien aus nachhaltigen Rohstoffen achten, sich kritisch mit den Lieferketten der Hersteller auseinandersetzen und bei kleinen engagierten Labels kaufen statt bei großen Konzernen, sind schon auf einem guten Weg zu einem ressourcenschonenderem und verantwortungsvollerem Modekonsum. Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange, denn die nachhaltigste Kleidung ist jene, die wir gar nicht erst kaufen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre der ausschließliche Konsum von Second-Hand-Mode. Weiterhin können kaputte Kleidungsstücke repariert werden, anstatt neue zu kaufen. Ältere Stücke können mit kreativen Methoden wie z.B. Batik aufgefrischt werden. Auch Tauschen ist eine Option. Außerdem gibt es mittlerweile sogar ein Start-up in Hamburg, welches nachhaltige Mode zum Verleih anbietet, um der weltweiten Textilüberproduktion entgegenzuwirken.
Die Verantwortung für Umweltzerstörung durch die Modeindustrie allein auf Konzerne oder Gesetzgeber abzuwälzen ist Heuchelei, denn die Entscheidung für nachhaltigen Konsum liegt letztendlich bei uns selbst. Mit jedem Einkauf können wir ein Stück weit darüber abstimmen, in welcher Art von Welt wir leben wollen.