Lars Golenia ätzt in seiner Webshow schon seit Jahren gegen das TV-Programm. Auch wenn er damit quasi jede Folge das Gleiche macht, sein Humor kommt an. Ist es da nicht gerecht, dass der angehende Lehrer tagsüber von „Berlin – Tag & Nacht“-Fans umzingelt ist?
Ein Technik-Fanatiker ist Lars Golenia wohl nicht. Wenn er skypt, dann funktioniert sein Mikro wahrscheinlich nicht sofort, auch das mit dem Video nicht. Gerade erst den Rechner neu aufgesetzt, kein Problem.
Wie ein Blick in die Wohnzimmer, ein bisschen überzogen, das sei seine mittlerweile 54-teilige Web-TV-Reihe „fern gesehen“. „Ich fasse TV-Sendungen satirisch zusammen, mache mich über sie lustig, ziehe sie durch den Dreck und versuche am Ende noch so etwas wie eine Moral zu ziehen“, sagt Golenia. Pro Folge erreicht er damit ein paar zehntausend Menschen.
Ob er der Grinch der TV-Industrie ist? Komische Frage. „Aber dafür bin ich leider ein wenig zu machtlos. Ich würde das Fernsehen gern klauen, einfach zu RTL gehen und alles wegnehmen.“
Zwischen TV-Wahnsinn und dem Ernst der Sache
Lars ist nicht unbedingt der nachdenkliche Typ. Als Fernsehkritiker würde er sich nicht beschreiben, eher als Fernsehparasit. Und manchmal klingt er fast schon zu ernst, wenn er über sein Web-Format Auskunft gibt: Seine Arbeit, das Anschauen von TV-Sendungen, werde eben auch nicht einfacher. „Man erarbeitet sich Fähigkeiten, das Fremdschämen zu überwinden. Nur wird das halt immer schlimmer“, meint er. „Wenns gar nicht geht, spule ich vor und denke: Vielleicht findest du ja irgendwann nochmal die Kraft, das anzusehen.“ Am Ende kommt er damit immer auf etwa 20 Minuten. Einen Plan, den macht sich der Lehramts-Student so gut wie nie.
Es kommt ihm auf den Inhalt an, Windows XP ist er bis 2013 treu geblieben. Viele Jahre hat er seine Videos mit dem Movie Maker geschnitten. „Ich brauche ja keine High-Tech-Ausrüstung“, erzählt er. „Ich finde, mein Humor braucht kein HD-Format oder irgendwelche Special-Effects.“
Das Fernsehen dagegen sei unspektakulär geworden. Die kleinste Banalität, hoch in den Himmel gepusht. „Theoretisch könnte ich auch jeden Monat die gleiche ‚fern gesehen‘-Folge hochladen und nur die Ausschnitte tauschen.“ Das Fernsehen habe nichts zu zeigen, und doch nimmt sich Lars immer wieder Zeit, dieses Nichts neu zusammenzuschneiden. „Je nach Fremdschämfaktor sitzt man da zwei bis drei Stunden davor. Das ist ja das Schlimme, man muss es mehrfach schauen“, erklärt der 26-Jährige.
Während Lars aus seiner unauffällig eingerichteten Studentenbude zugeschaltet ist, lädt er ein neues Video hoch. Immer wieder schaut er, wie lange der Upload noch dauert. In der nächsten Sendung wird er sich „Teenagern in Not“ widmen, ein bisschen Arbeit hat er da noch vor sich.
Doch warum tut er sich das an? „Ich will den Leuten eine Alternative zeigen. Und es ist beeindruckend, dass immer mehr meine Sendungen anschauen.“
Journalist – das ist er nicht, auch wenn er das vor einigen Jahren noch studieren wollte. Aber nein: „Da muss man arbeiten, so viel recherchieren, das ist gar nicht meins“, sagt er, sechs Jahre nach der verhauenen Aufnahmeprüfung fürs Medienstudium. Heute macht er sich über Begriffe wie Zielgruppe überhaupt keine Gedanken mehr. „Facebook sagt, meine Zielgruppe ist zu 75 Prozent männlich, ist zwischen elf und 35 Jahren alt und interessiert sich für Computer und Online-Games.“
Der Erfolg von „fern gesehen“? Das verspielte Vertrauen der Zuschauer in die großen Sender. Die Fernseh-Industrie selbst straft ihn dafür mit Ignoranz. Die komplette Branche? Nein, RTL-Streatworker Thomas Sonnenburg hat einst erzürnt angerufen: Er sprach über Rufmord, Medienanwälte, er war so gar nicht wie der nette Onkel aus dem Fernsehen.
„Herr Golenia, warum mögen Sie ‚Party Bruder‘ nicht?“
Doch Lars ist niemand, der sich seine Meinung schnell ausreden ließe. Immerhin studiert er im letzten Semester Lehramt und arbeitet seit einigen Monaten als Honorarkraft an einer Hauptschule. Dort hat er die potentielle „Berlin Tag und Nacht“-Generation vor sich sitzen. Doch übers TV redet er mit den Schülern selten.
Von seinem Doppelleben als Fernsehkritiker – Entschuldigung, Fernsehparasit – wissen nur wenige Schüler. Aufregung, wuhu, danach Unverständnis. „Herr Golenia, warum mögen Sie ‚Party Bruder!‘ nicht?“ Hat er versucht zu erklären, habe nichts genützt. Dass seine Sendungen mitunter selbst sehr vulgär sind – kein Ding. „Da kann ich nichts mehr kaputt machen“, sagt er.
Auch das Web macht Stars
Lars, der ist tatsächlich so wie er in seiner Sendung rüberkommt. „Ich bin keine Rampensau, aber schüchtern bin ich auch nicht.“ Seine erste Box mit Autogrammkarten ist mittlerweile alle, immerhin ist „fern gesehen“ mit bis zu 200 Euro pro Monat ein guter Nebenverdienst. Wenn es irgendwann mehr wird? „Dann weiß ich auch nicht, was passiert!“
Beispiele für den vermeintlich schnellen YouTube-Erfolg gibt dagegen einige. „Herr Tutorial“ ist einer davon, von seiner Art fast schon der Gegenentwurf. „Ich bin nicht neidisch auf ihn. Aber ich bin wütend, dass so was zieht!“, sagt Lars. Und da ist er wieder, der Satiriker. Wobei – er meint es ernst. „Ich bin wütend, dass es so viele dumme, ich muss es so sagen, so viele unglaublich dumme Leute gibt, die das gucken.“
Er selbst verliest seit kurzem Falschnachrichten über YouTuber, sieht sich nicht als Webstar. „Dafür gehen mir die vielen Leute, die was von mir wollen, zu sehr auf die Nerven!“ Immerhin ehrlich.
Ob sich im TV je etwas ändern wird? „Wir können da lange draufhauen, aber irgendwann wird das langweilig, müde, das Gleiche.“ Doch dann überlegt er kurz, schaut nach unten. „Auf der anderen Seite“, beginnt er, fast hätte er gegrinst, „ein kleines bisschen will ich ja auch nicht, dass solche Formate wegbrechen.“ Dann hätte er ja keine Arbeit mehr, hier vor seiner Webcam.
Text: Marcel Fröbe. Bild: Lars Golenia, flickr.com, Fotograf: .reid. Bearbeitung: Christian Kandels.