Häusliche Gewalt

„Sei ein Mann und reiß dich zusammen“

von | 24. Juni 2022

Männer als Opfer häuslicher Gewalt zu sehen, fällt vielen Menschen immer noch schwer. Doch auch sie werden verletzt.

TRIGGERWARNUNG: Der folgende Text beschäftigt sich mit psychischer und physischer Gewalt. Falls ihr Probleme mit diesem Thema haben solltet, lest den Artikel nicht oder nicht alleine.

Häusliche Gewalt wird meist mit Gewalt gegen Frauen assoziiert, was nicht unbegründet ist, denn laut der Bundeskriminalstatistik zu Partnerschaftsgewalt 2020 sind in Deutschland vier von fünf Opfer häuslicher Gewalt Frauen. Männer sind jedoch ebenfalls betroffen und die Dunkelziffer ist vermutlich sehr viel höher. Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und auch wenn Männer häufiger die Täter sind, können auch sie zum Opfer werden.

Gewalt in der Statistik

Im Jahr 2020 sind 28.867 der angezeigten Fälle von Gewalt in Partnerschaften an Männern verübt worden. Dabei ist zu beachten, dass die Statistiken des Bundeskriminalamts nur angezeigte Fälle einbeziehen. Die Dunkelziffern sind wahrscheinlich wesentlich höher, sowohl bei Gewalt gegen Frauen als auch gegen Männer. Die Fallzahlen von häuslicher Gewalt an Männern und Frauen könnten sogar näher beieinander liegen, als in Kriminalstatistiken abgebildet ist. Aus einer Dunkelfeldbefragung des Landeskriminalamtes Niedersachsen von 2013 geht hervor, dass Männer in etwa gleich häufig wie Frauen mindestens einmal eine Erfahrung mit Gewalt in (Ex-)Partnerschaften gemacht haben. Allerdings sind Frauen innerhalb der Beziehungen wesentlich häufiger von schweren Formen körperlicher Gewalt betroffen als Männer.

Der starke Mann

Häusliche Gewalt gegen Männer ist auch im Jahr 2022 noch ein Tabuthema. Männer tragen weiterhin die patriarchalisch festgesetzte Rolle des starken und unbestrittenen Anführers. Unter den Geschlechterklischees leiden meist Frauen, doch auch für Männer können diese patriarchalischen Strukturen zum Verhängnis werden. Viele von häuslicher Gewalt betroffenen Männer zeigen ihre Partner*innen nicht an und die Gründe dafür sind vielfältig. Männer werden in der Gesellschaft schnell als „entmannt“ angesehen, wenn sie von einer Frau geschlagen werden. Weitere Stereotype sind, dass ein Mann kein Opfer sein kann und auf Grund seiner Statur stärker und überlegen sein muss. Aus Scham oder aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, verschweigen die Opfer, was ihnen angetan wird. Trotzdem steigen die Fallzahlen von Partnerschaftsgewalt gegen Männer jährlich. Während die Anzahl weiblicher Opfer im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 3,7 Prozent gestiegen ist, stieg die der männlichen Opfer um 7,4 Prozent an.

Nicht nur in heterosexuellen Beziehungen kommt Gewalt gegen Männer vor. Allerdings sind bisher kaum bis gar keine repräsentativen Daten zu häuslicher Gewalt in LGBTQ+ Beziehungen erhoben worden. Ein großes Problem ist auch hier, dass kaum Anzeige erstattet wird. Vorurteile gegen beispielsweise homosexuelle Beziehungen sind hierbei ein großer Faktor. Gewalt in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung wird sexualisiert oder heruntergespielt. Hinzu kommt die Angst Betroffener aus der Community ausgeschlossen zu werden und mangelndes Beratungsangebot.

Gewalt ist mehr als nur zuschlagen

Unter den Themenbereich der häuslichen Gewalt zählt nicht nur die physische Gewalt, sondern auch sexualisierte und psychische Gewalt. Vor allem letztere spielt eine große Rolle bei Gewaltakten gegenüber Männern. Das sind nicht nur direkte Angriffe wie Beleidigungen und Demütigungen, sondern auch die Kontrolle der Männer im sozialen oder finanziellen Kontext. Den Männern wird also der Kontakt zu bestimmten Personen verboten oder es wird genauestens durch die Partner*innen kontrolliert, was sie wie und wann tun.  

Physische Gewalt gegenüber Männern ist die zweithäufigste Form. Bei einigen bleibt es bei der gelegentlichen Ohrfeige.  Andere Opfer berichten davon mit Haushaltsgegenständen, Messern und Geschirr beworfen worden zu sein. Frauen greifen bei physische Gewalt  eher zu Hilfsmitteln. Häusliche Gewalt lässt sich des Weiteren in wechselseitige und einseitige Gewalt einteilen. Demnach kann es auch vorkommen, dass beide Partner gewalttätig werden. Doch auch dazu sind bisher keine konkreten Daten erhoben worden.

Wenn die eigene Familie zur Gefahr wird

Häusliche Gewalt betrifft nicht nur Partnerschaften, sondern kann auch innerhalb der Familie vorkommen. So kommt es vor, dass ältere Männer Gewalt durch ihre Kinder erfahren oder heranwachsende Männer durch Eltern oder Geschwister misshandelt werden. Hierzu liegen allerdings keine aussagekräftigen Daten vor. Auch hier erstatten nur wenige Opfer Anzeige oder suchen sich Hilfe. Einige Betroffenen schildern ihre Erlebnisse im Gespräch mit Reportern des Y-Kollektivs im gleichnamigen Podcast. Diese reichen von körperlichen Misshandlungen durch den eigenen Vater bis hin zum sexuellen Missbrauch durch den Bruder. 

In Deutschland sollen Opfer häuslicher Gewalt durch das Gewaltschutzgesetz geschützt werden. Dieses gibt Betroffenen vor allem die Möglichkeit, in ihrer eigenen Wohnung zu leben, ohne sie mit dem Täter teilen zu müssen. Doch die Inanspruchnahme dieses Schutzes erfordert, dass die Opfer einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht einreichen. Gerade besonders junge und besonders alte Opfer stehen stark in Abhängigkeit zu den Tätern, was diesen Schritt wesentlich erschwert.

Hilfe für die Opfer

Spurlos geht die häusliche Gewalt nie an Betroffenen vorbei. Neben körperlichen Verletzungen sind psychische Stresssymptome häufige Folgen. Dazu gehören zum Beispiel gefühlsmäßige Abstumpfung, erhöhte Reizbarkeit, Schlaf-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Vor allem psychische Erkrankungen wie Traumata, Angststörungen oder Depressionen können Folgen der Erlebnisse sein und bis hin zur Suizidabsicht führen. In Deutschland gibt es bisher nur wenige Beratungsangebote und Hilfsstellen für Männer, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Seit 2020 gibt es das Männerhilfetelefon und einige Städte haben erste Schutzwohnungen für Männer.  Auch Hilfsorganisationen wie der Weiße Ring bieten Beratungsmöglichkeiten und Hilfestellungen an.

Wer sich Hilfe sucht, wird auch fündig, doch dieser Weg bedeutet für die Opfer viel Überwindung. Ein erster Schritt kann sein, sich einer Vertrauensperson im persönlichen Umfeld anzuvertrauen oder sich an das Hilfetelefon zu wenden. Gemeinsam mit der Unterstützung können dann nächste Schritte angegangen werden, um der Gewalt zu entgehen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.

Hilfe für Betroffenen

“Echte Männer reden”
Gesprächsangebote von Mann zu Mann mit Kontaktdaten von Fachberatern in Deutschland
www.echte-maenner-reden.de

“Männerberatungsnetzwerk”
Beratungsangebote für Jungen, Männer und Väter
www.maennerberatungsnetz.de 

“Männerhilfetelefon”
Hilfe bei Gewalt an Männern per Telefon oder Chat
0800 123 9900
www.maennerhilfetelefon.de

“Weißer Ring e.V.”
Opfer-Telefon, Onlineberatung und Hilfe vor Ort für Kriminalitätsopfer
www.weisser-ring.de

Text, Titelbild Foto/Grafik : Carlotta Sieber

<h3>Carlotta Sieber</h3>

Carlotta Sieber

Carlotta Sieber ist 21 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Leitende Redakteurin des Gesellschaft-Ressorts seit dem Wintersemester 2022.