Sie trocknen Tränen, geben neue Hoffnung und wissen auf jede Frage eine Antwort. Doch viele werdende Mütter finden keine betreuende Hebamme. Eine gefährliche Entwicklung, vor deren Gründen keiner die Augen verschließen sollte.
„Meine Hebamme war wie meine beste Freundin. Obwohl man schreit, schimpft und weint, blieb sie bei mir mit so viel Ruhe und Geduld. Sie hat mich in meiner schmerzhaftesten und gleichzeitig glücklichsten Erfahrung unterstützt“, berichtet Mandy B. „Sie war mit ganzem Herzen dabei und mein lebendes Lexikon. Sie schenkte mir Zuversicht, wofür ich unendlich dankbar bin. Hebammen sind so viel Wert für uns Mamis und für unsere Babys!“
Trotz Komplikationen erinnert sie die junge Mutter heute strahlend an die Geburt ihrer Tochter. Sie ist sich sicher, dass das Geburtserlebnis in den Händen der Hebamme liegt, die dieses trotz Schmerzen unverwechselbar machen kann. Oft wird jedoch verschwiegen, dass der Zustand bei Geburten immer weniger dem gängigen Bild entspricht, sondern schnell zum Alptraum werden kann, wenn die Unterstützung der Frauen zu kurz kommt.
Eigentlich sollte es eine erfreuliche Nachricht sein, dass zurzeit so viele Kinder geboren werden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Doch ganz im Gegenteil stellt jede Geburt unser derzeitiges Gesundheitssystem erneut auf die Probe.
Immer weniger Geburtsstationen und Hebammen
Laut dem Deutschen Hebammenverband (DHV) existieren nur noch knapp 60 Prozent der Entbindungsstationen, die 1991 betrieben wurden. Jeden Monat schließt mindestens ein weiterer Kreissaal vollständig oder vorübergehend.
In den Nachrichten, auf Blogs oder in diversen sozialen Netzwerken hört man immer häufiger von Frauen, die während ihrer Schwangerschaft von Kliniken abgewiesen wurden. So zum Beispiel Julia Kerner aus Berlin, die ihr Baby im Auto auf dem Parkplatz ohne ärztliche Aufsicht zur Welt bringen musste, worüber zahlreiche Medien wie der Spiegel Online im April dieses Jahrs berichteten.
Alle Kreißsäle ihrer Wunschklinik waren belegt, weshalb sie unter Wehen zur nächsten Klinik geschickt wurde, wofür die Zeit nicht mehr reichte. Julia Kerner ist offensichtlich ein Beweis dafür, dass das im Sozialgesetzbuch verankerte Recht auf eine freie Wahl des Geburtsortes nicht mehr selbstverständlich ist. Nicht umsonst kursierten schon Reisewarnungen für Schwangere in den Medien, wo von deutschen Regionen mit Unterversorgung berichtet wurde.
Gründe für die Schließungen sind sowohl wirtschaftlich als auch personell bedingt. „Normale“ Geburten ohne Komplikationen lohnen sich für viele Kliniken kaum mehr. Dazu kommt der starke Mangel an verfügbaren Hebammen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft berichtet der Welt, dass fast jede zweite Klinik ihre Hebammenstellen nicht mehr vollständig besetzen kann. Zum Beispiel die BWKG Krankenhausbefragung 2017 ergab, dass etwa ein Drittel bis über die Hälfte der befragten Krankenhäuser in Baden-Württemberg Probleme hat, offene Stellen in der Geburtshilfe zu besetzen. Im Sozialgesetzbuch ist geregelt, dass jede Versicherte während der Schwangerschaft und der Entbindung Anspruch auf Hebammenhilfe hat. Derzeit ist dieses Versprechen durch Hebammen aber kaum noch zu halten.
Viele können sich vor Anfragen kaum retten. Mütter sind verzweifelt, da sie nach 50 Anfragen immer noch keine betreuende Hebamme gefunden haben und versuchen sich sogar mit Erpressungen und Drohungen. Hebamme Anja Constance Gaca schreibt auf ihrem Blog „von guten Eltern“, dass sie schon wütende Männer schwangerer Frauen vor der privaten Haustür gehabt, die damit drohten, nicht mehr zu gehen, wenn sie nicht die Betreuung deren Frauen übernehme.
Trend zur Alleingeburt
Julia W. ist im Malteser-Krankenhaus St. Johannes in Kamenz als Hebamme angestellt und freiberuflich in der Nachsorge tätig. Sie kennt die Situation: „Letztes Jahr war ich im September schon voll für dieses Jahr März. Die Frauen müssen sich mittlerweile sobald man weiß, dass man schwanger ist, nach einer Hebamme umgucken. Verzweifelte Frauen hat man da definitiv.“
Mittlerweile geht der Trend nun schon in Richtung Alleingeburt. Frauen erklären das Stillen auf YouTube und veröffentlichen Tipps, wie man sein Kind am besten im Auto bekommen kann, was zweifellos sehr gefährlich ist.
Nicht nur sie findet diese Situation im 20. Jahrhundert in einem eigentlich reichen Land wie Deutschland untragbar und findet, dass der Beruf auch deswegen immer mehr an Attraktivität verliert. Dazu kommen die hohen Haftpflichtkosten, die Hebammen in der freiberuflichen Geburtshilfe jährlich zahlen müssen, um sich gegen mögliche Fehler abzusichern, und zudem die geringe Vergütung und die starke Arbeitsbelastung.
Aktuell werden so viele Babys geboren wie lange nicht mehr – zur Freude der Gesellschaft, zu Lasten des Gesundheitssystems. Foto: Sophie Bertog
Hebammen klagen über psychischen und physischen Druck
„Also was man so bei Fortbildungen von den Kollegen aus Dresden hört – die rennen sich dort tot, wirklich. Die haben keine Zeit für die Frauen, die sind völlig unterbesetzt, also das ist wirklich schlimm dort“, meint Hebamme Julia. Einer Befragung des DHV zufolge haben 89 Prozent der angestellten Hebammen kaum die Möglichkeit, vorgeschriebene Ruhepausen einzuhalten, was Julia auch bestätigen kann. Zudem leisten viele Frauen täglich Überstunden, da sie viele Aufgaben außerhalb ihres Tätigkeitsbereiches übernehmen müssen.
Julia beschreibt: „Es kann auch sein, dass du drei Frauen gleichzeitig betreust. Also dass man da von Zimmer zu Zimmer springt und immer bloß den Kopf reinhält, weil man ja auch noch hundert Dinge nebenbei hat.“ Sie erklärt: „Da kommen Telefonate, Ambulanzfrauen, die nur zum CTG kommen. Putzen, Auffüllen, alles sowas macht man alleine. Das sind auch die Dienste, wo man selber total gefrustet nach Hause geht, weil man merkt, man hat einfach überhaupt keine Zeit für die Frauen.“
Unter anderem durch diese psychische und physische Belastung geben viele Hebammen weit vor ihrer Rente den Beruf auf oder gehen in Teilzeit wie man beispielsweise der Analyse des Sozialministeriums in Stuttgart zur Lage der Geburtshilfe in Baden-Württemberg entnehmen kann.
Auch Präsidiumsmitglied des DHV Susanne Steppat sagt in einem Interview der internen Presseabteilung: „Eine Qualitätsbetreuung der Schwangeren ist so nur unter erheblichem persönlichem Einsatz der Hebammen vor Ort möglich.“
Unzufriedenheit mit dem Vergütungssystem
Eine freiberufliche Hebamme bekommt für eine Geburt im Krankenhaus um die 300 Euro. Gleichzeitig muss sie jährlich die Beiträge zur Haftpflichtversicherung leisten, welche kontinuierlich steigen. Seit Juli 2018 beträgt die Versicherungsprämie für Geburtshilfe 8.174 Euro und somit fast doppelt so viel wie im Jahr 2010.
Ein wesentlicher Grund für Hebammen, sich gegen Geburtshilfe, also „nur“ für Vor- und Nachsorge zu entscheiden. „Das lohnt sich einfach nicht. Man muss ja auch den Zeitaufwand sehen. Das ist ja nicht in einer Stunde gemacht, wie es immer so schön im Film gezeigt wird. Von ‚du bist eine nette Hebamme‘ und so, kann man den Wocheneinkauf auch nicht bezahlen“, meint Julia.
Schritt für Schritt zu größerer Wertschätzung
Doch was Julia am meisten frustriert, ist die fehlende Wertschätzung ihres Berufs in der Gesellschaft: „Denn ich sehe gar nicht die Vergütung, das ist eigentlich nebensächlich. Die sehen nicht, dass wir nachts um Zwölf für jeden kleinen Firlefanz erreichbar sind, womit die Frauen sonst zum Kinderarzt rennen.“ Julia erklärt: „Ich meine, ich bin selber gerade Mama geworden. Man ist unsicher und hat nun Verantwortung für ein kleines Wesen. Wenn man eine Hebamme hat, die als Ansprechpartner Nummer 1 da ist, ist das schon was anderes.“
Sie würde sich wünschen, dass die Erfahrung und das Wissen der Hebammen wieder mehr beachtet würde und nicht nur die technischen Dauerüberwachungsgeräte.
Ein kleiner Schritt in diese Richtung wäre die mittels EU-Richtlinie geplante Akademisierung für 2020, meint sie. Damit ist gemeint, dass die Hebammenausbildung künftig nur noch an Hochschulen erfolgen soll. Dies würde deutsche Hebammen innerhalb der EU endlich mit denen der anderen Mitgliedsstaaten auf eine Ebene stellen, denn in dieser Hinsicht zählt Deutschland zu den Schlusslichtern.
Lösungsansätze zur Linderung des Mangels
Schon seit Jahren treten Initiativen wie Mother Hood und Verbände wie der DHV mittels Demonstrationen oder Petitionen mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit. Dazu zählen beispielsweise ein besserer Personalschlüssel, der Erhalt von kleineren Geburtsstationen, die Einrichtung eines Haftpflichtfonds oder ein ausreichendes Vergütungssystem. Außer dem Sicherstellungszuschlag als Zwischenlösung, der den Hebammen einen Teil der Versicherungsbeiträge nachträglich rückerstattet, ist laut öffentlichen Beschlüssen der Politik noch nicht viel passiert.
Erste Ansätze sind, die Geburtshilfe als Grundversorgung im Gesetz aufzunehmen und Hebammenkreißsäle zu entwickeln. Diese würden von Hebammen geleitet werden, die Entbindungen ohne ärztliche Beteiligung durchführen könnten. Bis zur Umsetzung wird es aber wohl noch einige Zeit und Arbeit brauchen.
Nichtsdestotrotz sollte man sich laut Julia nicht von diesen Diskussionen abschrecken lassen und bei der Wahl dieses Berufs, auf sein Herz hören. Sie meint: „Es ist ein wahnsinnig schöner Beruf mit wahnsinnig viel Verantwortung. Manchmal ist es einfach nur das Beruhigen, mit dem du so viel bewirkst. Hebammen sind etwas ganz Wertvolles.“