Kommentar

Grüne Heuchelei

von | 9. Dezember 2022

Die neue Bundesregierung ist seit über einem Jahr im Amt und besonders die Grünen galten nach 16 Jahren CDU-Regierung als progressive Hoffnungsträger. Zeit für ein Resümee.

In Zeiten multipler Krisen wie Inflation, Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und der Klimakrise braucht es radikale und mutige Veränderungen, um spürbare Verbesserungen für die Bevölkerung zu erwirken. Ein “Weiter so” kann es nicht geben und darin lagen die Hoffnungen auf die neue Regierung mit Beteiligung der Grünen. Nach einem Jahr hat sich Ernüchterung eingestellt, viele Menschen sind unzufrieden und rufen zu Demonstrationen auf.

Feministische Außenpolitik

Die Außenministerin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock prägte den Begriff feministische Außenpolitik und wollte in ihrer Amtszeit eine werteorientierte Außenpolitik etablieren. Statt das Gas aus Russland zu importieren, flog der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar und verhandelte medienwirksam eine Energiepartnerschaft mit Kataris vom Golf. Das Bild vom Handschlag des deutschen Ministers und Katar ging um die Welt und stärkte die Position der Kataris als Vermittler in schwierigen Konflikten, wie z.B. zwischen der Ukraine und Russland. Damit zeigten die Grünen, dass die wirtschaftlichen Interessen am Ende doch wieder über allen Werten stehen. Doch bis heute gab es keinen Abschluss der Verhandlungen über Lieferungen von Gas oder Anforderungen an die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Menschenrechte in dem Land. Was bleibt, ist die Ignoranz, wie man Autokraten durch deutsche Steuergelder bestärkt, ungeachtet dessen, wie die Menschenrechtslage in den jeweiligen Ländern ist.

Ein weiterer Höhepunkt der  Heuchelei war der Auftritt auf dem Bundesparteitag der Grünen. Die weiblichen Führungskräfte der Partei zeigten auf der Bühne demonstrativ Schilder mit der Aufschrift „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit), um ihre Solidarität mit der Revolution im Iran auszudrücken. Dieser Spruch ist ein Leitbild der kurdischen Freiheitsbewegung, die nicht nur im Iran gegen das Regime protestieren, sondern auch in Syrien den Islamischen Staat besiegt haben und nun wiederholt völkerrechtswidrig von der Türkei angegriffen und mit Chemiewaffen bombardiert werden. Statt die kurdische Bewegung zu unterstützen, weil sie Demokratie, Ökologie und die Befreiung der Frau in den Mittelpunkt ihres politischen Handelns stellt, wird sie in Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft, verfolgt und ausgeliefert. Denn am Ende zählen für die grüne Außenministerin keine Werte und Ideale, sondern nur wirtschaftliche und geopolitische Interessen in der Zusammenarbeit mit der faschistischen Türkei und dem iranischen Staat. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Regierung nur mit Lippenbekenntnissen und einer Vereinnahmung von progressiven Kräften auf die Situation reagiert. Die Bundesregierung und das Auswärtige Amt haben bisher keine einzige ernst zu nehmende Sanktion oder Unterstützung der demokratischen Revolution in Syrien oder im Iran geschaffen.

Klimaschutz? Nein, danke!

Ein Beispiel für das fehlende Rückgrat in der Partei ist eine Abstimmung auf dem Bundesparteitag am 15.10.2022. Dort wurde die Frage aufgeworfen, ob das Dorf Lützerath für weitere 280 Millionen Tonnen Kohle weggebaggert werden soll, um somit den Aktionär*innen von RWE den nächsten Geldscheck auszustellen. Die Grünen stimmten mit einer knappen Mehrheit für den ausgehandelten Deal zwischen Wirtschaftsminister Habeck und dem Energiekonzern RWE. Dieser beinhaltet zwar den symbolische Kohleausstieg zwar auf 2030 vorgezogen, aber dieser spart kaum CO₂  ein, weil nahezu alle Kraftwerke bis 2030 durchlaufen sollen. Hier zeigt sich wieder, dass die Interessen der Industrie vor den Interessen der Menschen gestellt werden. Diese Entscheidung zeigt eine FDP im grünen Anstrich. Wenn die Kohle unter den Garzweiler Dörfern verbrannt wird, dann sind die Pariser Klimaziele für Deutschland nicht mehr zu erreichen und damit eine 1,5-Grad-Grenze nicht mehr zu halten. Im Angesicht einer dramatischen Verschärfung der Klimakrise, Millionen Klimatoter jährlich und Milliarden-Schäden durch die Erderwärmung ist die Entscheidung einer Partei, die sich dem Kampf gegen die Klimakrise gewidmet hat, eine neue negative Zeitenwende.

Verrat mit Bauchschmerzen

Viele Menschen kämpfen zurzeit mit der steigenden Inflation und haben weniger Geld in der Tasche. Dafür hat die Bundesregierung drei Entlastungspakete in Höhe von 200 Milliarden beschlossen. Trotz dieser immensen Zahlungen bleiben die konkreten Auswirkungen für die einzelnen Personen und Familien sehr gering. Die Entlastungspakete begünstigen im Schnitt reiche Familien und Haushalte mehr als Familien mit weniger Geld. Sinnvolle Maßnahmen, wie das 9-Euro-Ticket, wurden nicht weitergeführt, obwohl es  die breiten Masse entlastet, CO₂ einspart und das Recht auf Mobilität aller Menschen ermöglicht. Trotz dieses Erfolges dauerte es Monate, eine neue Alternative zu entwickeln, die mit 49 Euro direkt über der Grenze liegt, welche Menschen mit Sozialhilfe für Mobilität zusteht.

Die einzigen Gewinner der Krise sind Reiche und Großunternehmer*innen, die ihre Vermögen während der Corona-Pandemie teilweise verdoppelt haben. Mittlerweile besitzen zwei Männer mehr Vermögen als 41,5 Millionen Menschen in Deutschland. Das Narrativ von fairer Arbeit, Bezahlung und Aufstieg ist Geschichte, wenn man sieht, dass ein Großteil des Reichtums verschenkt oder vererbt wird. Soziale Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn das Vermögen fair verteilt wird. Damit müssen Reiche stärker belastet werden. 2021 haben die Grünen in ihrem Wahlprogramm noch eine Vermögenssteuer gefordert, die dann im Koalitionspapier durch Zugeständnisse in der FDP verschwunden ist. Kurz vor dem Bundesparteitag forderte ein Zusammenschluss von Abgeordneten erneut eine Vermögenssteuer, um die Krisengewinne umzuverteilen. Als Die Linke einen Antrag zur Vermögensabgabe im Bundestag stellte, stimmte die Fraktion der Grünen geschlossen dagegen. Die Grünen werben vor jedem Wahlkampf mit neunen tollen sozialen Versprechungen und werfen sie direkt nach Amtseinführung über Bord.​

Alles bleibt, wie es war

Wenn man ein Resümee über das erste Jahr der Grünen in der Bundesregierung zieht, sieht man keine großen Veränderungen zu der Politik der Große Koalition in den Jahren zuvor. Die großen Hoffnungen, die man durch die großen Versprechungen beim Regierungswechsel vielleicht hatte, sind schon längst verschwunden. Weder in einer ernst zu nehmenden Sozialpolitik noch einer Außenpolitik mit Prinzipien oder den lächerlichen Klimaschutzambitionen gibt es die notwendigen und mutigen Entscheidungen, die eine Gesellschaft mit all den heutigen Herausforderungen bräuchte. Am Ende ist es wieder eine Politik für die Reichen und Großunternehmer*innen und gegen die Menschen, die das System in all den Krisen am Laufen halten. Die Grünen haben die jüngsten Mitglieder aller Parteien und damit auch den Anspruch erhoben, neue Ideen und Ideale der jungen Generation zu vertreten. Sie hatten den Anspruch, das System der letzten Jahrzehnte zu verändern. Stattdessen hat das System sie verändert.

Text & Titelbild: Emin Aiche
<h3>Emin Aiche</h3>

Emin Aiche

ist 25 Jahre alt und studiert Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Er engagiert sich seit dem dem Sommersemester 2023 im Team Technik.