Der Raum erleuchtet durch Kerzenschein. Ihr Duft tränkt die warme Luft. Prickelnder Sekt untermalt die raschelnden Geräusche der Bettdecke, unter der sich das Liebesspiel anbahnt. Die wohl schönste Nebensache der Welt: Sex. Die Realität sieht aber nicht immer so romantisch aus.
Laut einer Studie der Deutschen AIDS-Hilfe haben 61 Prozent aller HIV Infizierten Angst, sexuell zurückgewiesen zu werden. „Erst seitdem ich durch die erfolgreiche Therapie unter der Nachweisgrenze bin, hat sich bei mir im Kopf ein Knoten gelöst, sodass ich wieder eine freie Sexualität leben kann“, so Denis Leutloff im Interview. Leutloff ist seit zehn Jahren HIV positiv. Er arbeitet bei der AIDS-Hilfe in Halle, engagiert sich ehrenamtlich bei einer Vielzahl von Projekten, die HIV-Infizierten beratend zur Hilfe stehen und ist darüber hinaus HIV-Aktivist.
Zwei Drittel aller HIV-Infizierten sind laut Bundesgesundheitsministerium in Deutschland Männer, die Sex mit Männern haben. Dennoch ist diese Gruppe nicht die Einzige, die das Risiko hat, sich mit dem HI-Virus zu infizieren. Da es sich um eine sexuell übertragbare Krankheit handelt, kann sie auch heterosexuelle Menschen erreichen. Um erfolgreiche Therapien beginnen zu können, muss die dazu notwendige Testbereitschaft vorhanden sein. Dem stehen Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-Infizierten im Weg. Sie führen dazu, dass sich potenzielle Risikogruppen nicht testen lassen und somit eine Verbreitung des Virus voranschreitet. Sei es im eigenen Körper oder zu anderen Personen.
Habe Ich es Vielleicht?
Das Bundesgesundheitsministerium beschreibt HIV auf seiner Website als „eine Infektion mit dem Immunschwäche-Virus. Das HI-Virus schädigt oder zerstört bestimmte Zellen der Immunabwehr und macht den Körper anfällig für Erkrankungen, die bei nicht infizierten Menschen in der Regel unproblematisch verlaufen.“ Wird das HI-Virus nicht frühzeitig behandelt, kann sich daraus ein erworbenes Immunschwäche-Syndrom, AIDS, entwickeln. Das Immunsystem ist durch das HI-Virus zerstört und so treten verschiedene, meist kombinierte Symptome auf, die der Körper nicht mehr bewältigen kann und die so zum Tode führen.
Weltweit lebten laut der letzten Veröffentlichung von UNAIDS 36,9 Millionen Menschen im Jahr 2017 mit HIV. 940.000 Todesfälle durch AIDS waren in dem besagten Jahr zu verzeichnen. Das entspricht in etwa allen Sterbefällen in Deutschland in dem Jahr. Schätzungen des Robert Koch-Instituts zufolge lebten in Deutschland im selben Jahr rund 86.000 Menschen mit HIV. 13 Prozent von ihnen wussten nicht über ihre Infektion Bescheid. Weltweit wissen rund 30 Prozent nichts davon.
„Das Problem ist, dass man bei gewissen Gruppen erst einmal eine Sensibilität herstellen muss, dass sie überhaupt ein HIV Risiko haben“, so Leutloff. Er habe seine Diagnose 2009 bekommen. Sie wäre eher ein Zufalls-Befund gewesen, weil sein damaliger Freund sich zu der Zeit testen lassen wollte. Er selbst ging davon aus, dass sie kein Risiko für eine Infektion hätten. „Damals dachte ich, dass mich das nichts angeht, dass es HIV nur in Großstädten gibt und außerdem waren wir zu dem Zeitpunkt auch schon ein Jahr zusammen.“ In Deutschland gab es laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts 2017 rund 2600 Neuinfektionen mit HIV. Eine langsame Zunahme ist dabei im Feld der auf heterosexuellem Weg übertragenen Infektionen zu erkennen. Die Betroffenen schätzten das eigene HIV-Risiko sehr gering ein und somit sei auch die Testbereitschaft niedrig, sagt Denis Leutloff. Jedoch ist es sehr wichtig, HIV so früh wie möglich zu diagnostizieren, um schwere Folgeerkrankungen oder eine zu starke Ausbreitung des Virus zu verhindern. Eine Möglichkeit der frühen Diagnose bieten die, seit 21. September 2018, frei verkäuflichen Heimtests. „Durch den Heimtest kann man Leute erreichen, die man sonst nicht erreichen würde“, stimmt Denis Leutloff zu. Erhältlich sind diese Tests im Online-Handel, in Drogerien oder auch Apotheken. Denis ist der Meinung, dass sie den Vorteil hätten, Hürden abzubauen, da man sich anonym Zuhause testen könne.
Therapieren, um vorzubeugen
Wurde HIV diagnostiziert, soll laut einer Studie des HIV Prevention Trial Networks so schnell wie möglich mit einer antiretroviralen Therapie (ART) begonnen werden. Diese medikamentöse Therapie ist derzeit die einzige Möglichkeit, um die Vermehrung von HIV zu stoppen. Seit 2015 wird empfohlen, bei jeder HIV-Diagnose eine, gegen das Virus gerichtete, Therapie anzubieten. „Ich habe meine Therapie erst 2010 begonnen, also rund anderthalb Jahre nach meiner Infektion. Damals gab es die Therapieempfehlungen noch nicht, deshalb auch der späte Beginn“, erzählt Leutloff. Die ART hat das Ziel, die Viruslast im Blut zu senken und die Verbreitung zu verhindern. Eine Heilung ist nicht möglich.
Diese Ziele können allerdings nur erreicht werden, indem die Medikamente zuverlässig eingenommen werden und im Blut mindestens ein halbes Jahr lang keine Viren nachgewiesen werden können. „Ich habe zwei Medikamente, die ich jeden Abend nehme. Das ist auch noch meine Ursprungstherapie“, sagt Denis Leutloff über seine Behandlung. Zu Beginn seiner Therapie hatte er circa zwei Monate lang Probleme mit Übelkeit, Erbrechen und Hautausschlägen. Das sind typische Nebenwirkungen, wie Professor Jan Fehr, HIV-Spezialist aus Zürich, in einer Broschüre über die ART schreibt. „Doch mittlerweile verläuft die Therapie stabil, sodass sie mich nicht im Alltag beeinflusst. Vor allem das Wissen darüber, dass ich durch die Therapie nicht mehr infektiös bin, ist sehr positiv“, führt Leutloff weiter aus. Das spiegelt sich in den zahlreichen Tätigkeiten, denen er nachgeht, wider. Durch eine erfolgreiche Therapie können selbst Kinder auf natürlichem Wege gezeugt werden, wobei ein Infektionsrisiko nahezu ausgeschlossen werden kann.
„Wenn ich weiß, dass ich stigmatisiert werde, teste ich mich nicht“
Die Vereinten Nationen haben das Ziel verabschiedet, dass bis 2030 die AIDS Epidemie beendet werden soll. Diesem Ziel hat sich Deutschland angeschlossen. Dazu wurde das Zwischenziel „90-90-90“ bis 2020 verabschiedet. Danach sollen 90 Prozent aller Infizierten von ihrer Infektion wissen. 90 Prozent davon sollen Zugang zu einer Therapie haben, welche bei 90 Prozent erfolgreich sein soll. Laut Zahlen von UNAIDS für das Jahr 2017 wissen derzeit nur 70 Prozent aller Infizierten von ihrer Infektion. 77 Prozent davon werden therapiert, wovon 82 Prozent erfolgreich verlaufen.
Zu den Positiven Begegnungen 2018 hat „positHIVe Gesichter“, ein Verbandsorgan der Deutschen AIDS-Hilfe, sich zu den Zielen der Vereinten Nationen geäußert. Diese seien nur erreichbar, wenn es keine Diskriminierung gegen Menschen mit HIV gäbe. Null Diskriminierung sei die Voraussetzung dafür, dass sich Menschen testen lassen und somit erfolgreiche Therapien stattfinden. Das Ziel müsse also „0-90-90-90“ heißen. „Wenn ich von vornherein weiß, dass ich diskriminiert und stigmatisiert werde, wenn ich mein Testergebnis bekomme, dann lasse ich mich erst gar nicht testen“, sagt auch Denis, der sich ehrenamtlich bei positHIVe Gesichter engagiert. In einem Gespräch erzählt er, dass die Probleme, mit denen er bei seiner Arbeit konfrontiert wird, überwiegend gesellschaftlicher Art sind. „HIV wird gesellschaftlich nicht akzeptiert. Betroffene werden immer wieder in eine Schmuddel-Schublade gesteckt, nach dem Motto: ‚Wer weiß, was die gemacht haben‘.“
Auch das Bundesgesundheitsministerium äußert sich in einer Publikation über die Strategie zum Erreichen des Ziels „BIS_2030“ zu diesem Thema. Angst vor Ansteckung und Stigmatisierung im Kontext von HIV würden häufig über Vorbehalte zu anderen Lebensweisen verstärkt werden. Auch Denis meint, dass es weniger ein Problem der Bildung, als eher der Haltung sei: „Viele Menschen sind einfach sehr verklemmt und konservativ und schauen deshalb nicht über ihren Tellerrand.“ Dabei können Diskriminierung und Stigmatisierung weitreichende Folgen für die erfolgreiche Eindämmung der Infektion haben. „Durch die Angst vor Stigmatisierung können Menschen davon abgehalten werden, Test- oder Beratungsangebote wahrzunehmen“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium. Darüber hinaus wirkt es sich negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus, sodass sie sich ihrem Umfeld weniger anvertrauen und auch die eigene Gesundheit vernachlässigen, was zu Abbrüchen der Therapie führen kann.
„Nur wenn ich weiß, dass ich mit einem positiven Testergebnis vernünftig leben kann, alt werden kann, keine Probleme im sozialen Umfeld und im Alltag habe, dann wird sich da etwas bewegen. Deswegen gilt: ‚Null Diskriminierung‘ in Bezug auf HIV“, sagt Denis entschlossen. In Deutschland ist ein normales Leben mit HIV möglich. Unter entsprechender Therapie können die Infizierten ihrem Alltag wie gewohnt nachgehen. Sie können arbeiten, haben eine normale Lebenserwartung und gleichzeitig sind sie nicht ansteckend für andere Personen. Dieses Wissen zu verbreiten und somit die Diskriminierung und Stigmatisierung zu verhindern, wird die Herausforderung sein, um die AIDS Epidemie zu beenden.
Text: Alexander Grau, Titelbild: Hannah Narçin