HSMW-Nostalgie

Erzähl‘ mal, Opa…

von | 30. Januar 2021

Kaffee, Kippe, Lernen. Heute Standard bei Studierenden. Doch wie war das Hochschulleben vor 60 Jahren?

Videokonferenzen, Social Media und Google Drive – heutzutage findet vieles im digitalen Raum statt. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, entwickeln sich immer weiter. Aufgrund der Corona-Pandemie sind die Studierenden der Hochschule Mittweida besonders auf die Online-Lehre angewiesen. Doch in den 1960er Jahren war es noch unvorstellbar, sich in „Zoom-Meetings“ auszutauschen oder in „Slack-Gruppen“ zu organisieren. Der ehemalige Student Heiner Wemme erzählt mir, seiner Enkelin, wie seine Zeit in Mittweida während des Studiums damals aussah.

Die Hochschule Mittweida (HSMW) hat bereits eine lange Geschichte. Im Jahr 1867 wurde die private Bildungseinrichtung „Technikum Mittweida“ von Carl Georg Weitzel gegründet. Ab 1900 entwickelte sich das Technikum zu einer der größten und bedeutendsten privaten technischen Ingenieur-Ausbildungsstätten in ganz Deutschland. 1935 kam es zur Umwandlung in die „Ingenieurschule Mittweida“ und 1969 in die „Ingenieurhochschule Mittweida“. Hinzu kamen über die Jahre viele neue Einrichtungen, Fakultäten und Studiengänge. 2009 erfolgte dann die finale Umbenennung in „Hochschule Mittweida University of Applied Sciences“. Heute präsentiert sich die Hochschule als leistungsstarke Hochschule der Angewandten Wissenschaften und hat mittlerweile fünf Fakultäten, vier Forschungsschwerpunkte und circa 7.000 Studierende.

Seit 2019 bin auch ich eine der vielen Studierenden der Hochschule Mittweida. Allerdings bin ich nicht die erste in meiner Familie, die an der HSMW studiert: neben meinem Bruder hat schon mein Großvater sein Studium hier absolviert. In einem Gespräch mit ihm möchte ich herausfinden, wie das Leben als Studierender in den 60er Jahren aussah und was sich seitdem verändert hat.

Wann hast du damals in Mittweida studiert und was überhaupt?

Mein Studium ging drei Jahre, von 1963 bis 1966. Damals hieß es allerdings noch Ingenieurschule Mittweida. Die Fachrichtung, die ich belegte, war Elektronik. Danach durfte ich mich „Ingenieur“ und seit 2016 durch ein Ehrendiplom nun „Diplom-Ingenieur“ nennen.

Ehrendiplom von Heiner Wemme. Foto: privat.

Ich studiere, weil meine Ausbildung mich nicht wirklich erfüllt hat und ich meinen Horizont erweitern möchte. Warum hast du studiert?

Nach meiner Ausbildung als Elektromonteur und der folgenden praktischen Arbeit verstärkte sich mein Wunsch nach einem höher qualifizierten, nicht-handwerklichen Beruf. Das Studium hatte für mich einen entscheidenden Stellenwert, obwohl es für mich ehrlicherweise ein „notwendiges Übel“ war, da ich eher ein Anwender oder Umsetzer von Ideen bin.

Wie waren die Professoren und ihre Lehrmethoden zu deiner Zeit?

Es gab damals noch keine Professoren, sondern Dozenten. Zur Hochschule wurde die Ingenieurschule Mittweida, nach meiner Erinnerung, erst ein oder zwei Jahre später. Von den Dozenten ist mir Herr Lindner besonders in Erinnerung geblieben. Er verfasste zum Beispiel ein kleines Buch namens „Physikalische Aufgaben“. Es besitzt ein sehr hohes Niveau, fordert das logische Denkvermögen und ist nach meiner Auffassung ein Synonym für Mittweidaer Philosophie. Der normale Tag an der Ingenieurschule gliederte sich bei mir in Vorlesungen, Seminare und Labortätigkeiten. Sogar Sportunterricht war bei uns ein normales Schulfach. Entweder waren wir in der Turnhalle oder auf dem Sportplatz. Als Sonderprogramm joggten wir auch mal drei Kilometer um den Schwanenteich.

Mittlerweile sind meine Kommilitonen und ich eng vernetzt und wir helfen uns gegenseitig. Sogar gute Freundschaften sind entstanden. Wie viele Studierende waren in deinem Studiengang und wie war euer Verhältnis untereinander?

Im Jahr 1966 absolvierten 305 Studierende erfolgreich das Studium. Es gab darunter die verschiedensten Mentalitäten. Manche waren einfach mehr auf das Studium fixiert und mit manchen konnte man auch gut die freie Zeit verbringen. Meistens verbrachten wir in einer festen Truppe Zeit im Wohnheim. Wir waren gute Freunde, haben viel Spaß gehabt, aber auch zusammen gelernt.

Studierende vor der Ingenieurschule in den 60er Jahren. Foto: Hochschularchiv Mittweida, Bildarchiv, G_00104_005.

Heute sind die Studierenden ja sehr verstreut: einige wohnen im Wohnheim, manche in WGs in Mittweida und andere wiederum im Umkreis oder über 50 Kilometer weit weg. Zur Verfügung steht uns allen aber zum Beispiel der Studentenclub. Wie hast du gelebt und was hast du in deiner Freizeit gemacht?

In meiner Freizeit habe ich anfangs abgeschieden, in einer privaten Unterkunft gewohnt. Danach habe ich einen Platz im Internat gesucht – und bekommen. In dieser Umgebung ergeben sich vielseitige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. So war ich mit einem leidenschaftlichen Bergsteiger und einem hochintelligenten Bastler im Zimmer. Zweiter hatte auch immer ein Unterhaltungsprogramm aufgelegt oder irgendwelche technischen Konstruktionen entworfen. Zum Beispiel hatte er einmal eine Tasse mit Wasser über der Tür angebracht, wodurch man natürlich nass wurde, wenn man hereinkam (lacht). Durch solche Sachen wurden wir öfter mal vom Lernen abgehalten und schnitten in Prüfungen nicht optimal ab. Aber es wurde nie langweilig!
Wir hatten auch einen Kommilitonen bei uns im Semester, der Gitarre spielen konnte. Die Lieder, die er sang, kann ich heute noch mitsingen (lacht). So hatten wir mitunter herrliche Abende. Ab und zu sind wir mal in einer Kneipe gewesen und auf dem Schützenplatz beim Rummel haben wir gesessen und gesungen. Das war Studentenzeit pur, das möchte ich nicht missen.

Was sind deine positiven und was deine negativen Erinnerung an die Zeit im Studium?

Die positiven Erfahrungen sind, dass man seine Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie seinen Horizont entscheidend erweitert hat. Das ist ein unbedingtes Muss für höherwertige Tätigkeiten. Die Laborarbeit hat mir besonders Spaß gemacht, da das alles sehr praxisbezogen war. Auch die Zeit mit meiner „Truppe” werde ich niemals vergessen.
Negativ für mich war, dass ich eigentlich kein Studientyp bin, weil Faktenwissen nicht meine Stärke ist und es somit sehr aufwendig war, das Studium zu absolvieren.

Die HSMW ist bekannt für ihre praktische Orientierung und die Vielfalt in der Fakultät Medien – ein Grund, weshalb ich mich damals hier beworben habe. Wie kamst du überhaupt zur Hochschule Mittweida?

Die damalige Ingenieurschule Mittweida hatte schon als „Technikum Mittweida“ einen sehr guten Ruf. Das hat sich auch während des Studiums bestätigt, da man ständig einen sehr hohen Wert auf die Fähigkeit eines anwendungsbezogenen Denkens gelegt und das auch regelmäßig trainiert hat. Das entspricht dann auch dem Alltag in der beruflichen Tätigkeit.

Klinkerstein von Heiner Wemme auf dem Ehrenweg. Foto: Anton Hangschlitt.

Zur Zeit gibt es einen festen Semesterbeitrag. Was hat dich das Studium gekostet?

Da ich in der DDR kein förderfähiges „Arbeiter- und Bauernkind“ war, habe ich unter anderem finanziell nur eine geringe Studienbeihilfe von 60 Mark monatlich bekommen. Allerdings hat das Studium an sich nichts gekostet. Ausgaben hatte ich lediglich für das Wohnheim, Lebensmittel und Bücher.

Es ist mittlerweile lange her, dass du in Mittweida studiert hast und nun gibt es viele neue Gebäude und eine enorme Vergrößerung des Campus’. Warst du nach deinem Studium nochmal hier und wenn ja, was hat sich alles verändert, was waren deine Eindrücke?

Anlässlich des Jubiläums der Bildungseinrichtung war ich in Mittweida. Zu meiner Zeit standen im Prinzip nur drei Gebäude für das Studium zur Verfügung. Das Hauptgebäude, ein Laborgebäude und ein Vorlesungsgebäude. Hinzu kam die Mensa als Baracke.
Bei meinem Besuch hat mich die Dimension überwältigt. Es ist sagenhaft, was nun alles neu dazugekommen ist. Sogar die ehemalige Brauerei ist nun ein Hochschulgebäude!

Heiner Wemme zum 150-jährigen Jubiläum vor der HSMW. Foto: privat.

Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran und mein Studium kann ich derzeit bequem von Zuhause aus absolvieren. Wo siehst du den größten Unterschied von damals zu heute?

Digitalisierung ist sicherlich nicht einfach, aber sinnvoll. Dies ähnelt, meiner Auffassung nach, dem früheren Fernstudium. Man ist gezwungen seine Arbeit selbstständig zu organisieren. Das kann schwierig sein, fordert und fördert aber die eigene Disziplin und das ist durchaus positiv.

Wenn du entscheiden könntest, hättest du dann lieber heute studiert?

Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es war damals generell übersichtlicher, ähnlich einer normalen Schule. Es war viel kleiner und näher am gewohnten Schulbetrieb. Auch wurde viel mehr auf die Anwesenheit geachtet, als es heute wohl üblich ist.
Andererseits habe ich damals noch mit einem relativ primitiven EDV-Programm ohne Schaltkreise gearbeitet. Also wenn ich die Wahl diesbezüglich treffen müsste, würde ich wohl lieber mit der heutigen Technik arbeiten. Wenn man aber die technische Entwicklung nicht direkt miterlebt hat, weiß man gar nicht, welchen Aufwand und Ursprung manche Dinge haben. Möglicherweise entsteht so eine Abhängigkeit von der digitalen Welt. Also wenn ich es mir aussuchen dürfte, hätte ich wohl am liebsten Anfang des Jahrhunderts studiert. Die Zeiträume für dramatische Veränderungen auf vielen Gebieten werden jetzt immer kürzer – was heute noch hochaktuell ist, kann morgen schon wieder Geschichte sein.

Text: Nancy Richter, Titelbild: Hochschularchiv Mittweida, Bildarchiv, K_0166.
<h3>Nancy Richter</h3>

Nancy Richter

ist 22 Jahre alt und in der Oberlausitz aufgewachsen. Sie studiert seit 2019 Medienmanagement mit der Vertiefung eSports und Games Marketing in Mittweida. Bei medienMITTWEIDA ist sie die Assistenz von Team Technik.