Lara ist 27 Jahre alt und arbeitet aktuell in einem Krankenhaus. Sie möchte anonym bleiben. Nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand, ausgelöst durch eine schwere Erkrankung, musste sie lernen, sich an ihr früheres Leben zu erinnern und alltägliche Herausforderungen zu meistern.
Wie kam es dazu, dass du einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hast?
Da ich damals im siebten Monat als Frühchen auf die Welt kam, waren meine Kindheitstage schon immer von Krankheiten geprägt. Aufgrund von Atemwegserkrankungen war ich sehr schwach und oft in Krankenhäusern. Im Alter von zwölf Jahren verschlimmerte sich mein Gesundheitszustand. Ich hatte ständig Bronchitis und leichte Lungenentzündungen. Diese verliefen jedoch bis dahin glimpflich.
Der Tag, der mein Leben nachhaltig veränderte, begann wie viele andere. Ich hatte erneut eine Bronchitis, was für mich nichts Ungewöhnliches mehr war. Zu der Zeit waren wir schon seit zwei Tagen im Urlaub an der Ostsee — einem Ort, der schon immer etwas besonderes für mich war, aufgrund der vielen schönen Kindheitserinnerungen, die ich an ihn hatte.
Wegen meines Gesundheitszustandes sind wir vor jedem Ostsee-Besuch noch einmal zum Kinderarzt gegangen. Meine Eltern wollten immer abklären, ob es mir gut genug gehen würde, um weg zu fahren. Was das angeht, hatte ich nie Bedenken. Da ich praktisch ständig krank war, hatte der Arzt in der Regel nichts dagegen, wenn wir in den Urlaub fuhren. Er hatte auch nie erwähnt, dass etwas Schlimmes passieren könnte, aufgrund meiner Erkrankungen.
Doch dann kam alles anders. Ohne Vorwarnung brach ich zusammen und wurde von einer extremen körperlichen Schwäche überwältigt. Hinzu kamen schwere Hustenanfälle und Atemnot, bei denen ich regelrecht nach Luft rang. Daraufhin wurde ich direkt in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde eine Röntgenaufnahme gemacht, die zeigte, dass ich eine schwere beidseitige Lungenentzündung entwickelt habe. Ich hatte zu dem Zeitpunkt panische Angst vor der Diagnose und dachte, ich müsse sterben.
Kurz darauf erhielt ich starke Antibiotika, woraufhin sich mein Zustand zum Glück allmählich verbesserte. Nach einer Woche stationären Aufenthaltes sollte ich entlassen und in ein Krankenhaus in meiner damaligen Heimat Lichtenstein verlegt werden.
Obwohl ich die Ostsee über alles liebte, war ich einfach nur froh, wieder nach Hause kommen zu können und packte meine Sachen. Es sollte allerdings wieder einmal anders kommen.
In der Nacht vor der geplanten Verlegung erlitt ich unerwartet einen Rückfall und hatte wieder Luftnot und Husten. Plötzlich wurde alles schwarz vor meinen Augen und ich verlor das Bewusstsein. Tief in mir spürte ich, dass diesmal etwas Furchtbares passieren würde — ich hatte Todesangst. Zu diesem Zeitpunkt erlitt ich einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Da es mir zuvor besser ging, war ich nicht an Geräte angeschlossen. Es war reiner Zufall, dass in diesem Moment eine Krankenschwester mein Zimmer betrat. Wäre die Person an diesem Abend nicht genau in dem Moment gekommen, wäre ich vermutlich gestorben.
Ich wurde daraufhin erfolgreich reanimiert und an ein Beatmungsgerät gehängt. Währenddessen wurde ich in ein künstliches Koma versetzt, welches die Abheilung meiner Lungenentzündung fördern sollte. So konnte sich mein Zustand langsam verbessern und nach drei Wochen wurde ich aus dem Koma zurückgeholt. Meine geplante Verlegung wurde aufgrund des Vorfalls abgesagt und ich verblieb in einem Krankenhaus an der Ostsee.
Wie hat es sich für dich angefühlt zu sterben?
Es war ein friedliches Gefühl. Ich hatte immer wahnsinnige Angst vor dem Tod, doch als ich ihm schließlich begegnete, war ich komplett ruhig. Ich sah keine Bilder, wie viele andere Personen mit Nahtoderfahrungen berichten, beispielsweise in Himmelstor oder Ähnliches. Es war vielmehr ein tiefes Empfinden. Mein Körper vermittelte mir in diesem Moment, dass es jetzt zu Ende ist. Man spürt, dass man jetzt geht und empfindet auch keine Furcht. Im Gegenteil, ich erinnerte mich in diesem Moment an alle schönen Momente in meinem Leben und langsam wurde alles still. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, beeindruckt es mich, wie friedlich alles in diesem Moment war und wie jegliche Angst einfach verschwand.
Es ist schon fast gespenstisch, wie leicht es ist zu sterben. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, wenn Personen sagen, man bräuchte keine Angst vor dem Tod zu haben, aber so ist es. Sterben selbst ist friedlich. Vielmehr sind es die Erinnerungen an all unsere Liebsten, die wir zurücklassen müssen, die den Tod beängstigend machen. Wenn man mich fragen würde, ob ich immer noch Angst vor dem Tod habe, würde ich mit „nein“ antworten, aber der Gedanke daran, die Menschen, welche mir am Herzen liegen, nie wieder sehen zu können, ist schrecklich.
Hast du in der Zeit, in der du im Koma lagst, mitbekommen, was um dich herum passiert ist?
Nein, nicht wirklich. Ich weiß nur, dass ich dachte, ich würde sterben und war dabei mich allmählich dem Tod hinzugeben. Dann wurde ich plötzlich aus dieser Art Trance-Zustand herausgerissen. An weitere Dinge erinnere ich mich nicht. Später erzählten mir Krankenschwestern, dass ich einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hatte. Meine Eltern müssen in den drei Wochen meines Komas ebenfalls oft zu Besuch gewesen und fürchterlich geweint haben.
Was geschah, nachdem du aus dem Koma aufgewacht bist?
Das Aufwachen war sehr befremdlich für mich. Ich hatte das Gefühl, in eine neue Welt einzutauchen. Ich wusste weder, wo ich war, noch wer ich war. Es war, als ob ich noch nie zuvor gelebt hätte — alles war weg. Jegliche Erinnerung an mein Leben davor, auch grundlegende körperliche Fähigkeiten, hatte ich verlernt. Ich konnte weder sprechen noch laufen — es war sehr beängstigend.
Eine Krankenschwester kam damals jeden Tag zu Besuch und half mir, nach und nach all die Dinge, die ich vergessen hatte, wieder zu erlernen. Es war unglaublich schwer für mich, weil ich im Krankenhaus Kinder in meinem Alter sah, die spielten und lachten, während ich, wie ein Kleinkind, völlig hilflos war. Zu dieser Zeit dachte ich außerdem, dass die Krankenschwester, die mir jeden Tag alles neu beibrachte, meine Mutter sei, weil sie so oft bei mir war.
Erst acht Wochen später erfuhr ich, dass diese Frau die Krankenschwester war, die mir das Leben gerettet hatte, und nicht meine Mutter. Meine leiblichen Eltern konnten während meiner Rehabilitation an der Ostsee nicht bei mir sein, weil sie sich daheim um meine kranke Großmutter kümmern mussten. Auch die damalige berufliche Situation der beiden ließ keine längeren Arbeitsausfälle zu, so sehr sie es auch wollten.
Zwei Wochen nach dieser Information traf ich dann zum ersten Mal auf meine Eltern. Es war ein Schock, da ich die Personen vor mir nicht erkannte — ich fühlte mich total fremd ihnen gegenüber. Es tat mir auch leid für sie, dass ich sie nicht erkannte und ihre Freude über das Wiedersehen dadurch trübte.
In der folgenden Zeit bemühte sich das Krankenhaus, uns wieder miteinander vertraut zu machen. Nach und nach kehrten die Erinnerungen an mein früheres Leben zurück und damit auch meine körperlichen Fähigkeiten, die ich verlernt hatte. Es fühlte sich jedes Mal an wie ein kleiner Aha-Effekt. Man erinnert sich plötzlich daran, wie man laufen oder sprechen kann. Auch Erinnerungen an Momente kehrten auf diese Art stückweise zurück.
Nach etwa drei Monaten konnte ich aus dem Krankenhaus entlassen werden. Alles wie früher konnte ich zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht, jedoch erlernte ich den Rest mit meinen Eltern allmählich zu Hause.
Welche Auswirkungen hatte der Schicksalsschlag auf dein Leben nach dem Krankenhausaufenthalt?
Ich habe in der Zeit sehr viel Schulstoff verpasst, den ich nachholen musste. Ich hatte jedoch das Glück, sehr hilfsbereite Lehrer zu haben, die mir außerhalb der Schulzeit Nachhilfe gaben. So konnte ich den Stoff relativ schnell aufholen und wieder aktiv am Unterricht teilnehmen. Der Schicksalsschlag passierte außerdem in den Sommerferien, wodurch ich zumindest keine Klausuren etc. verpasst hatte. In dieser Zeit waren meine Freunde ebenfalls eine enorme Unterstützung für mich. Trotzdem war es nicht leicht für mich — ich musste erst lernen, mit dem Erlebten umzugehen. Die Erlebnisse der Vergangenheit holten mich manchmal ein, was zu psychischen Schwierigkeiten führte. Doch durch eine längerfristige Gesprächstherapie konnte ich bedeutende Fortschritte machen und letztendlich meinen Schulalltag wieder bewältigen.
Für meine Familie war die Situation natürlich nicht leicht. Sie mussten ebenfalls lernen, mit dem Schicksalsschlag umzugehen. Insbesondere meine Mutter hatte noch lange Schwierigkeiten, nicht in einem dunklen Loch aus Angst und Schuldgefühlen zu versinken. Sie sorgte sich oft um mich und hatte Angst, dass etwas Ähnliches erneut passieren könnte. Außerdem war sie unfassbar traurig darüber, nicht an meiner Seite gewesen zu sein, während meines Heilungsprozesses im Krankenhaus. Auch der Schock darüber, dass ich sie anfangs nicht wieder erkannte, saß tief. Wir mussten als Familie lange daran arbeiten, mithilfe von Familientherapie und vielen intensiven Gesprächen, wieder ein normales Zusammenleben führen zu können und das Erlebte nicht unsere Zukunft überschatten zu lassen.
Ich persönlich habe mehr Achtung gegenüber dem Leben entwickelt und bin dankbar für jeden einzelnen Tag, an dem ich aufwache.
Was hat dir in dieser Zeit geholfen weiterzumachen?
Es war tatsächlich der pure Wille zu leben. Da ich mich an nichts erinnern konnte, hatte ich auch nichts, für das ich kämpfen konnte. Also beschloss ich für mich selbst weiterzumachen und das alles durchzustehen. Ich glaubte, dass es einen Grund geben musste, warum ich überlebt hatte, und wollte diese Chance nutzen. An den Tagen, an denen ich aufgeben wollte, erinnerte ich mich daran, dass ich aus einem bestimmten Grund hier auf der Welt sein musste. Das gab mir die Kraft, nicht aufzugeben. Natürlich hatte ich auch mit Rückschlägen zu kämpfen und dachte an manchen Tagen, wieso ausgerechnet mir so etwas passieren musste, aber dank der Unterstützung des Klinikpersonals und der professionellen Betreuung lernte ich, mit diesen Gedanken umzugehen.
Hast du Ratschläge für andere Betroffene?
Man sollte nicht aufgeben und sich immer wieder motivieren, weiterzumachen.
Natürlich ist es unheimlich schwierig, nach so einem Erlebnis zurück ins Leben zu finden, aber man sollte es dennoch immer für sich selbst versuchen und kämpfen. Es ist ein Geschenk leben zu können und auch wenn man im Moment vielleicht den Sinn des Lebens nicht sieht, wird sich dieser finden, wenn man nur weiter macht. Außerdem gibt es immer Menschen, die einen lieben, auch wenn es nicht immer so wirkt. Jeder Mensch ist wertvoll und wird geliebt, auch wenn wir das nicht immer sofort erkennen und genau aus diesem Grund sollten wir versuchen weiterzuleben.
*Name geändert