Immer wieder dieselben Lieder… – Eine Weihnachtsliedgeschichte (Teil 1)

von | 20. Dezember 2013

Heutzutage braucht es keinen Schnee oder festlich geschmückte Schaufenster, um die nahende Weihnachtszeit zu erahnen. Egal ob im Radio, in überfüllten Kaufhäusern oder auf den gut besuchten Weihnachtsmärkten um die […]

Heutzutage braucht es keinen Schnee oder festlich geschmückte Schaufenster, um die nahende Weihnachtszeit zu erahnen. Egal ob im Radio, in überfüllten Kaufhäusern oder auf den gut besuchten Weihnachtsmärkten um die Ecke – von überall her drängen sich die über die Sommerzeit fast vergessenen, von manchem vielleicht auch verdrängten Weihnachtslieder wieder in das Bewusstsein.

Der entfernte Klang der Kirchenglocke aus der Stadt, der vereinnahmende Chorgesang, sanfte Streichereinlagen und natürlich die für Weihnachtsmusik zur Pflicht gewordenen Geschirrglöckchen − besser bekannt als „Jingle Bells“: Alles Elemente, die sich in zahlreichen Weihnachtsliedern wiederfinden und viele Menschen wohl sofort in Weihnachtsstimmung verfallen lassen.

Doch Auskunft darüber, was als Weihnachtslied gezählt werden kann, gibt nicht das musikalische Arrangement oder die Art und Weise der Komposition, sondern nur die Tatsache, ob das Lied typischerweise in der Weihnachtszeit gesungen wird oder nicht. Der „Duden“ definiert das Weihnachtslied als „Lied, das traditionsgemäß zur Weihnachtszeit gesungen wird und dessen Text sich auf Weihnachten bezieht“. Diese Definition hätte zur Folge, dass manche Titel im eigentlichen gar keine Weihnachtslieder sind, auch wenn sie jedes Jahr hartnäckig zu Weihnachten gespielt werden. Doch muss erst ein inhaltlicher Bezug zu Weihnachten hergestellt werden, damit ein Lied als Weihnachtslied gewertet werden kann?

So handelt beispielsweise der populäre moderne Weihnachtsklassiker „Last Christmas“ nicht von Weihnachten oder einem seiner Sitten und Bräuche, sondern dreht sich vielmehr um eine gescheiterte Liebesbeziehung. Nichtsdestotrotz ist er fester Bestandteil des jährlichen Vorweihnachtsradioprogramms und wird fest mit der Zeit um Weihnachten assoziiert. Doch warum sind es eigentlich immer wieder die gleichen Lieder, die Weihnachten über gespielt werden? Verliert keiner dieser etlichen Weihnachtssongs je an Beliebtheit, wenn er jedes Jahr wieder und wieder gespielt wird? Und welches ist überhaupt das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten?

Das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten

Trotz des großen Erfolgs ist „Last Christmas“ nicht das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten. Dieser Titel gebührt einem Weihnachtssong, der schon einige Jahrzehnte früher – im Jahre 1940 – verfasst und von seinem Komponisten selbst als „das beste Lied, das jemals jemand geschrieben hat“ bezeichnet wurde. „White Christmas“, geschrieben von Irving Berlin und gesungen von Bing Crosby, ist nicht nur das erfolgreichste Weihnachtslied, sondern laut dem Guinness-Buch der Rekorde auch die am meisten gekaufte Single aller Zeiten. Bisher wurden geschätzte 50 Millionen Tonträger des Songs verkauft.

Kein Interpret, der sich an einer Coverversion des Songs versuchte, erlangte so großen Erfolg, wie es Crosby mit seiner Version schaffte. Und Künstler, die den Song coverten, gab es dabei etliche: Die amerikanische Musikverwertungsgesellschaft ASCAP gab 1998 bekannt, „White Christmas“ existiere weltweit in über 500 Versionen verschiedener Künstler und Musiker – und gehört damit auch zu den am meisten gecoverten Weihnachtssongs aller Zeiten.

Das bekannteste Weihnachtslied der Welt

Damit mag „White Christmas“ das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten sein, gleichwohl muss es aber nicht auch das bekannteste darstellen. Auch lässt sich die Beliebtheit von alten Weihnachtsliedern wie „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ oder „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ aufgrund eines mangelnden charakteristischen Interpreten nur schwer an CD-Verkäufen oder Chartplatzierungen festmachen.

Trotzdem lässt sich sagen, welches das bekannteste und am weitesten verbreitete Weihnachtslied der Welt ist. Mit Übersetzungen und Versionen in über 300 Sprachen und Dialekten nimmt „Stille Nacht, heilige Nacht“ von Komponist Franz Xaver Gruber und Texter Joseph Mohr diesen Platz ein. Der Entstehung des Liedes wurden gleich mehrere Spielfilme gewidmet und in Österreich ist es sogar zum Immateriellen UNESCO-Kulturerbe erklärt worden.

Das erfolgreichste Weihnachtslied in Deutschland

Doch keines dieser beiden Weihnachtslieder gilt auch speziell in Deutschland als das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten. Laut den Media-Control-Charts, in denen die wöchentlichen Musik-Charts durch das Marktforschungsunternehmen „Media Control“ für Deutschland ermittelt werden, ist tatsächlich „Last Christmas“ von Wham! das erfolgreichste Weihnachtslied in Deutschland. Und das, obwohl es in Deutschland nie auf Platz 1 der Singlecharts kam. Tatsächlich blieb dem Lied auch in allen anderen Ländern (mit der Ausnahme von Irland) die Spitze der Charts bis heute verwehrt. Als Grund dafür wird die zeitnahe Veröffentlichung des Weihnachtsliedes „Do They Know It’s Christmas?“ des Hungerhilfeprojekts „Band Aid“ angesehen, mit welchem die Komponisten Bob Geldof und Midge Ure für mehrere Wochen die Spitze der Charts für sich beanspruchen konnten.

„Last Christmas“ …

Doch können sich auch derart erfolgreiche Weihnachtslieder für unbegrenzte Zeit halten? „Last Christmas“ jedenfalls scheint langsam seinen Beliebtheitsstatus einbüßen zu müssen. „Eigentlich war es viele Jahre so, dass ‚Last Christmas‘ das Non-Plus-Ultra war. Der bestgetestete Weihnachtssong auf allen Märkten. Aber vor zwei Jahren drehte sich das ganz, ganz langsam.“, äußert sich der europaweit tätige Radioberater Frank Wilkat zu der momentanen Beliebtheit des Songs. „Der Song wurde immer schwächer und schwächer.“ Immer positivere Reaktionen riefe zudem der aus der Coca-Cola-Werbekampagne begleitete Weihnachtstitel „Wonderful Dream (Holidays are coming)“ von Melanie Thornton hervor. „Das hat ‚Last Christmas‘ in vielen Märkten deutlich überholt. Das wird zwar nicht offen propagiert, weil viele Menschen noch an ihrem ‚Last Christmas‘ hängen, aber in den meisten Märkten, in denen man eine Zielgruppe zwischen 30 und 49 Jahren befragt, wird man feststellen, dass Melanie Thorntons Song momentan deutlich beliebter ist als „Last Christmas‘“, so Wilkat.

Das könnte auch der Grund dafür sein, warum sich der nordrhein-westfälische Radiosender „1LIVE“ 2011 dazu entschlossen hatte, in seinem Musikprogramm gänzlich auf „Last Christmas“ zu verzichten. Die Reaktionen auf diese Entscheidung fielen jedoch nicht überwiegend positiv aus, da der Song immer noch viele Anhänger findet. Dem Weihnachtsdauerbrenner mehr oder weniger auf ironischer Weise zugetaner Radiomoderator bei „baden.fm“ trieb es dabei im vergangenen Dezember sogar soweit, dass er sich allein in seinem Sendestudio einschloss und für fast zwei Stunden ohne Unterbrechung „Last Christmas“ in der Dauerschleife spielte. Als Einstimmung auf den angeblich drohenden Weltuntergang wollte er so das ebenfalls auszufallen-drohende Weihnachtsfest „vorfeiern“. Eine für den Song gar nicht zu übertriebene Symbolhandlung, wenn man bedenkt, dass das Lied in der Vorweihnachtszeit zusammengerechnet normalerweise sicherlich auch weit über zwei Stunden im Radio zu hören ist. „baden.fm“ hat auch einen offiziellen Zusammenschnitt der kompletten Sendung veröffentlicht, mitsamt der Besänftigungsversuche der ausgesperrten Comoderatorin, den notgedrungermaßen über Telefon eingesprochenen Live-Nachrichten und 14 Wiederholungen von „Last Christmas“:

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Ob sich der Weihnachtspopklassiker von Wham! zeitnahe oder überhaupt irgendwann von Titeln wie von Melanie Thorntons „Wonderful Dream (Holidays are coming)“ verdrängen lassen wird, ist im Moment noch nicht abzusehen. Schließlich lässt sich der Song in der Weihnachtszeit seit über einem Jahrzehnt regelmäßig in den höheren Plätzen der deutschen Charts wiederfinden. Doch warum ist es von allen Weihnachtsliedern gerade „Last Christmas“, das sich in Deutschland am besten behaupten kann?

Einen essentiellen Grund sieht Radioberater Frank Wilkat in dem bisherigen großen Erfolg des Liedes in Deutschland nicht: „Es gibt ja immer wieder Lieder, die nur in Deutschland gut laufen, aber in anderen Ländern nicht beliebt sind. Und ich vermute, es gehört auch einfach zu den Liedern, die es damals geschafft haben, sich in einer guten Winterstimmung zu etablieren, sich dann rumgesprochen haben und jedes Jahr wieder rausgekramt worden sind. Ich glaube aber, das könnte auch mit jedem anderen Lied passieren.“

Und immer wieder sind es dieselben Lieder

Und tatsächlich ist es in gewisser Weise so auch den Weihnachtsliedern von vielen anderen Künstlern ergangen. Denn die Weihnachtstitel, die jedes Jahr wieder überall zu hören sind, sind in den seltensten Fällen neu verfasste Titel agierender Künstler und Interpreten. Und selbst bei der enorm großen Anzahl von Weihnachtsliedern wird immer nur ein Bruchteil davon gespielt. Radioberater Wilkat erklärt: „Jedes dieser Lieder hat seine spezielle Zielgruppe, wo es sehr gut ankommt. Nur wenige dieser Weihnachtslieder sind zielgruppenübergreifend sehr populär. Und diese wenigen Lieder, das sind dann die, die die Radiosender eben immer wieder rausholen.“ Und dazu gehören eben die immer wiederkehrenden Titel wie „Last Christmas“ von Wham! oder auch „Driving Home for Christmas“ von Chris Rea. Laut Wilkat gibt es dabei nur etwa zehn Weihnachtslieder, die in allen Zielgruppen sehr gut ankommen. Alle anderen Weihnachtstitel hätten zwar immer gute Testergebnisse bei jeweils einer speziellen Zielgruppe, aber nie bei allen. Dass es manche der vielen Weihnachtslieder überhaupt schaffen konnten, sich über mehrere Jahre und Jahrzehnte hinweg in ihrer Beliebtheit und Verwertbarkeit erfolgreich zu halten, schreibt Wilkat unter anderem dem Traditionsgehalt zu: „Bestimmte Weihnachtslieder sind zeitlos. Sie treffen den Zeitgeist der Weihnachtsstimmung, das Gefühl von Weihnachten. Die Menschen assoziieren damit schöne Erinnerungen, schöne Weihnachtstage.“

Der Erfolg von Weihnachtsliedern hat also viel mit Tradition zu tun. Doch es gibt auch Beispiele von modernen Poptiteln der letzten Jahre, die es in das Weihnachtsmusikrepertoire vieler Medien geschafft haben. Melanie Thornton mit „Wonderful Dream (Holidays are coming)“ ist hier wohl die populärste Vertreterin. Doch nach deutschsprachigen Weihnachtstiteln sucht man in der modernen Popmusik vergeblich. Selbst deutsche Künstler wie Sarah Connor oder Max Mutzke schrieben ihre Weihnachtssongs allesamt auf Englisch. Zwar verfassten Die Fantastischen Vier ihr Weihnachtslied „Frohes Fest“ in deutscher Sprache, aufgrund der darin enthaltenen harsch formulierten Gesellschaftskritik und Anstößigkeit wurde die Single jedoch von der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien indiziert.

Aber warum gibt es in der deutschen Poplandschaft so wenig erfolgreiche neue Weihnachtslieder? Können es die deutschen Songschreiber nicht mit den zur Weihnachtszeit fest gehörenden englischen Weihnachtsliedern aufnehmen? Oder sind es die Radiosender, die in ihrem Programm deutschsprachige Weihnachtspopmusik bisher weitgehend unterbunden haben, aus Angst, die Hörerschaft würde dies nicht unterstützen?

Die Antworten auf diese und weitere Fragen gibt es nächsten Montag im nächsten Teil der Weihnachtsliedgeschichte zum Thema „Musik – Winter-launisch in Deutschland“.

Text: Tim Bergelt, Grafik: Kristin Jacob

<h3>Tim Bergelt</h3>

Tim Bergelt

Redakteur