Bilder von traumhaften Sandstränden, Stories vom Besuch im Lieblingsrestaurant und Reels, in denen Vierbeiner ihre Besitzer in den Wahnsinn treiben. Zugegeben, eine klischeebehaftete Betrachtung, die Instagram sicher nicht gerecht wird. Denn es gibt sie: Die inspirierende, informative und emotionale Seite, die Nutzer weltweit an diese App fesselt. Geschichten und Eindrücke, die in Bild- und Videoformat für immer irgendwo in diesem Kosmos existieren werden. Auch wo die nächste Reise hingeht und welche Orte unbedingt auf die Bucket List gehören, haben wir dank Instagram längst geplant. Gerade weil Nutzer jeden Tag im Durchschnitt eine halbe Stunde mit dieser App verbringen, muss weiterhin hinterfragt werden: Welche individuelle Bedeutung und welches Ausmaß darf diese Mensch-Medium-Beziehung einnehmen? Ein Essay.
Instagram öffnet uns die Augen – im wahrsten Sinne. Mit dem ersten Griff zum Handy am Morgen beweist es: Du kannst nicht ohne. Wie sonst lässt sich erklären, dass uns diese App in den intimsten Momenten begleitet? Nicht nur in Bett und Bad wird fleißig gescrollt, auf der anderen Seite des Displays findet sich auch allerhand Persönliches: Hochzeitsanträge, Neugeborene, Urlaubsszenen vom Pool. Was man früher für sich selbst ins Fotoalbum geklebt hat, kann heute die ganze Welt sehen. Zumindest dann, wenn der Beitrag in die jeweilige Filterblase passt. Wie bei einem Mosaik lernt der Algorithmus dazu und kreiert maßgeschneiderte Feeds. Was gefällt, wird gelikt und was gelikt wird, gefällt. Ein Konzept so simpel, dass wir oft gar nicht merken, wie es uns vereinnahmt und gleichzeitig vereinsamt.
Über eine Milliarde Menschen nutzen Instagram – die Hälfte davon jeden Tag. 2020 feierte die App seinen zehnten Geburtstag. Auch wenn sich der Zauber des Anfangs mittlerweile etwas gelegt haben dürfte, flacht die Beliebtheit nicht ab. Im Gegenteil, die Corona-Pandemie hat die Nutzer förmlich in die Arme der sozialen Netzwerke getrieben: „Social Distancing wird mit Social Media erträglicher”, so Bitkom-CEO Bernhard Rohleder. Dabei zeigt uns Instagram besonders in dieser Zeit, was wir alles nicht haben können. Wir betrachten weiterhin das Leben anderer. Und wir vergleichen es mit unserem. Niemals darf dabei vergessen werden, dass Instagram selbst schon ein Filter ist: Es zeigt Personen nicht komplett. Es zeigt sie so, wie, wann und wo sie gesehen werden wollen. „Capture and share the world’s moments” passt als Claim, denn es geht um Momentaufnahmen. Besonders um solche, die das eigene Leben in ein vorteilhaftes Licht rücken. Augenscheinliche „Schnappschüsse” vor einem menschenleeren Bergpanorama entsprechen längst nicht mehr der Wirklichkeit.
Hallstatt, wie man es von Bildern kennt. Quelle: Instagram, suzzzzie33
Hallstatt, was die Touristen daraus machen. Quelle: Instagram, suzzzzie33
Instagram versus Realität
Jeden Winkel der Welt für alle – zumindest visuell – zugänglich zu machen, das hat Instagram geschafft. Eine Suche entfernt lauern das große Abenteuer und einsame Spots. Solche Geheimtipps gibt es jedoch immer seltener. Instagram hat vielen Orten innerhalb kürzester Zeit Touristenscharen beschert und die Idylle genommen. Diese Online-Realität drängt zunehmend in die Offline-Welt und Konsequenzen werden auch ungefiltert und ohne Hashtags sichtbar.
Mittlerweile gibt es geführte und kostenpflichtige Touren, die Interessenten direkt zu den „most instagrammable places” bringen. Eine innovative und fortschrittliche Businessidee – bestimmt. Eine Entwicklung, welche die Welt in Zeiten von Massentourismus bereichert – sicher nicht. Es geht hierbei doch nicht mehr darum, zu reisen und wirklich die Kultur eines Landes, die Kulinarik oder die Menschen kennenzulernen. Es geht darum, ebenfalls nach einem Stück Insta-Ruhm zu greifen. Zu zeigen: „Mein Leben ist auch besonders. Ich erlebe etwas.” Wenn wir auf dem Weg zu einem Motiv primär daran denken, es später auf Instagram zu posten, sollten wir besser umkehren. Denn mit diesem Gedanken hackt sich Instagram in unseren Alltag und in jeden einzelnen Moment. Dadurch verlernen wir, einfach nur zu genießen und Augenblicke wertzuschätzen. Jeder strebt auf Instagram nach einem Stück Einzigartigkeit, aber genau das haben alle gemeinsam. Die Besonderheit eines Motivs summiert sich nicht, nur weil es millionenfach in ähnlicher Ausführung auftaucht. Doch haben möchte man es trotzdem, wenn man schon mal dort ist. Schließlich haben bereits andere etliche Likes dafür bekommen.
Beliebte Motive werden tausendfach nachgestellt. Quelle: Instagram, insta_repeat
Apropos dort sein: Instagram schafft es auch, die Erwartungen an die Realität zu übertreffen. Hashtags wie „instagramvsreality” haben mehrere hunderttausend Einträge. Hier zeigt sich, wie weit das wirkliche Leben und die Insta-Blase auseinanderklaffen. Bestes Beispiel: der Pura Lempuyang Luhur Tempel auf Bali. Wer vor Ort das berühmte Insta-Motiv nachstellen will, muss feststellen – es ist reine Illusion.
Zweifellos ein wundervoller Ort, von dem sich einige jedoch mehr erwartet haben. Denn die perfekte Spiegelung, die es tausendfach auf Instagram zu sehen gibt, existiert nicht. Stattdessen warten Touristen stundenlang, um letztlich für kleines Geld von den Einheimischen fotografiert zu werden – mit einem Glas unter der Linse. Manchmal zeigt Instagram eben Eindrücke, die zu schön sind, um wahr zu sein.
Die berühmte Spiegelung ist ein Fake. Quelle: Instagram, renzcepres
In Wahrheit sieht es dort so aus. Quelle: Instagram, bumchikkibumbum
#Instagramworthy
Früher hat der Nutzer das Medium gefüllt, nun füllt es immer öfter unseren Kopf. Mit Vorgaben, Vorstellungen und Erwartungen. Wann ist es ein Moment des eigenen Lebens wert, auf Instagram veröffentlicht zu werden, wann ist er „instagramworthy”? Eine Frage, die Menschen im 21. Jahrhundert bewegt. Mittlerweile sollen nicht mehr nur Urlaube und Restaurantbesuche dieses Kriterium erfüllen. Auch die eigenen vier Wände sollen Social-Media-tauglich gestaltet sein. Und nicht zuletzt – der Körper. Social Media ist ein Grund, weshalb sich Nutzer in ihren Selbstzweifeln bestätigt fühlen. Instagram setzt Normen, wie man auszusehen hat und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, den „Fortschritt” festzuhalten. Wer dann Zuspruch und Herzchen für seine #thighgap und #gymselfies bekommt, droht in eine gefährliche Spirale zu geraten.
Doch zum Glück bietet Social Media auch stets die Möglichkeit für Veränderung. Solange echte Menschen die App nutzen, bleibt die Tür für realistischen Inhalt immer ein Stück weit geöffnet. Wenn Instagram unsere Wahrnehmung formen kann, dann muss das auch andersrum möglich sein. Allein sechseinhalb Millionen Einträge finden sich unter dem Hashtag „bodypositivity”. Selbstdarstellung trifft auf Realität und herauskommt ein positives Körpergefühl. Im „Schwäche-Zeigen” eine Stärke finden – so einfach ist es nicht immer, doch ist es ein Anfang.
Was man sieht und was man nicht sieht. Quelle: Instagram, danaemercer
Auch die nicht perfekt ausgeleuchteten, hergerichteten und inszenierten Momente haben ihren Wert. Es braucht nur noch zwei Dinge: Einerseits den Mut vieler, auch diese Seite zu zeigen. Andererseits eine Gelassenheit, nicht mit anderen wetteifern zu müssen – nicht fremdes Dasein auf sich zu projizieren. Öffnen wir die Augen und realisieren: Das eigene Leben und der eigene Körper sind weder die Kulisse noch das Requisitenlager für Instagram.