Internet schafft keine besseren Menschen

von | 22. März 2011

Sich im Internet als Wohltäter auszugeben, ist nicht schwer, es gibt viel zu viele vermeintliche gutmütige Helfer im Netz. Craig Newmark zum Beispiel, seit mehr als einem Jahrzehnt mit der Anzeigenseite craigslist im Internet aktiv, hat plötzlich das Bedürfnis entwickelt, einfach mehr für die Gesellschaft zu unternehmen. Jedoch sollten leeren Worthülsen auch Taten folgen.

Craigslist ist eine weltweite Anzeigenseite mit lokalem Bezug, die mit Gebühren auf bestimmte Anzeigen Gewinn erzielt. Trotzdem führt die Website immer noch die gemeinnützige Domain-Endung .org. Vor etwa zwei Wochen rief Gründer Craig Newmark eine neue Initiative ins Leben, um gemeinnützigen Projekten zu helfen. Newmarks neues Vorhaben craigconnects, dem er ganze 20 Jahre widmen will, besteht bislang eigentlich nur aus einer Liste fördernswerter Projekte. Was zusätzlich getan werden kann wird noch beraten. Ob craigconnects mehr als nur eine Linksammlung wird, steht noch in den Sternen.

Mitfühlen ist „In“

Also noch einer, der glaubt das Internet benutzen zu können, um die Welt zu verbessern. Ohne die Möglichkeiten, die das Internet bietet, schlecht zu reden, ein Heilsbringer ist es nicht. Mitgefühl und Unterstützung werden heutzutage zu oft ausschließlich über Facebook, Twitter und ähnliche Kanäle kundgetan. Doch die Diskrepanz zwischen Realität und einem bequemen, schnellen „Like“ ist groß. Leider sind nur wenige bereit, mehr als nur ein paar Sekunden für ein Thema zu opfern. Aktives Engagement sieht anders aus, genau wie echte Trauer. Zwar ist es gut, dass Menschen noch durch das Leid anderer berührt werden, aber durch ein „Like“ ändert sich nichts. Vielleicht soll es das auch gar nicht. Vielleicht funktioniert das öffentliche Kundtun von Mitgefühl eher als Ablasshandel. Als spontane Reaktion auf plötztlich wahrgenommenes Leid. Ein Klick, ein paar kurze Worte und schon muss der User nicht mehr daran denken, nicht nach weiteren Ursachen und Folgen fragen, sich nicht weiter damit belästigen. Es ist mitunter anwidernd, wie einige Personen online Mitgefühl heucheln und als Moralapostel auftreten. Während sie doch jeden Tag an einem Computer sitzen, für dessen Herstellung möglicherweise hunderte Menschen in unwürdigen Verhältnissen unter Aufsicht eines Regimes schuften mussten.

Weltverbesserer Newmark

Doch es gibt auch Menschen, die aktiv etwas tun wollen, sich engagieren. Dazu braucht es kein Internet. Das kann maximal dabei helfen, Gruppen zu vernetzen und zur Mitarbeit zu motivieren – wie craigconnects im Grunde. Die Frage ist aber, ob Newmark sich wirklich aus altruistischen Gründen engagiert. Ein solches Projekt verbessert nämlich vor allem eines: das Image des Initiators. Ob er sich vorrangig aus PR-Gründen seinem neuen Wohltäterprojekt widmen möchte, ist natürlich pure Spekulation. Ohnehin bleibt offen, wie erfolgreich craigconnects am Ende sein wird. Das Interesse der Öffentlichkeit ist ohnehin gering und droht, weiter nach zu lassen und das Projekt sang- und klanglos zu verschwinden zu lassen. Ohne konkrete Ziele ist es einfach zu schwer, genügend Menschen zur Mitarbeit zu gewinnen. Noch intensiver gilt dies für das bisher nicht vorhandene Medienecho.

Fast schon kindisch und naiv schreibt Newmark in seinem Blog: „Das ist die größte Sache in meinem Leben und ich hätte gern ein wenig Hilfe von euch.“ Vermutlich oder leider braucht es aber eine gewisse Naivität und Gutmütigkeit, um sich überhaupt auf ein gemeinnütziges Projekt einzulassen oder sogar eines zu gründen. Letztendlich muss aber alles irgendwo einen Anfang finden, auch eine bessere Welt.

<h3>Jörg Lehmann</h3>

Jörg Lehmann