Der Duden definiert den Fehler als „etwas, was falsch ist” oder „vom Richtigen abweicht”. Doch dahinter steckt noch viel mehr. Oftmals ist es Menschen unangenehm einen Fehler zu machen und manchmal sogar auch peinlich. Fehler nagen an unserem Selbstbewusstsein und kosten uns in manchen Fällen auch zusätzliche Kraft. Man kann Fehler nicht immer vermeiden und das ist auch gut so, denn sie haben manchmal mehr Vorteile als man im ersten Augenblick denken mag.
Warum scheitern wir so ungern?
„Weil Menschen das Scheitern als Ego-bedrohlich empfinden […]”
Viele Menschen kennen das ungute Gefühl, das sich breitmacht, wenn man einen Fehler begangen hat. Die drei Psychologen Dieter Zapf, Michael Frese und Felix C. Brodbeck schreiben im Buch „Arbeits- und Organisationspsychologie”, dass ein Fehler nur bei zielorientiertem Verhalten auftritt. Also nur dann, wenn wir mit unserem Handeln ein bestimmtes Ziel verfolgen. Allerdings ist nicht jedes Nichterreichen eines Ziels auch gleichzeitig ein Fehler. Wenn durch eine undichte Stelle an einer Trinkflasche die Notizen für einen wichtigen Vortrag durchnässt werden, dann würden Zapf, Frese und Brodbeck nicht von einem Fehler, sondern viel mehr von einem „ungewöhnlichen” oder „unvermeidbaren Ereignis” sprechen. Man kann also nur dann von einem Fehler sprechen, wenn die Umstände, die zu diesem führten, vorhersehbar oder vermeidbar waren.
In einer Studie der University of Chicago wird nun deutlich, warum wir Menschen so ungern scheitern. Bereits im Titel „Not Learning From Failure—the Greatest Failure of All” wird deutlich, dass die Kunst des Scheiterns gelernt sein muss.
Die Teilnehmer:innen der Studie absolvierten für die Ergebnisse verschiedene Wissenstests, die im Anschluss direkt ausgewertet wurden. Die Teilnehmer, die in ihren Tests richtige Antworten lieferten, waren erfolgreich und schnitten in den folgenden Versuchen ebenfalls hervorragend ab. Machten sie aber Fehler, konnten die Forscher genau das Gegenteil feststellen: Die Teilnehmer:innen brachen den Durchgang vorzeitig ab oder absolvierten die folgenden Tests ebenso mit einer Menge von Fehlern.
Durchschnittlicher Prozentsatz richtiger/falscher Antworten in den Testphasen der Studien 1, 2, 4 und 5 in Abhängigkeit von den Erfolgs- und Misserfolgsrückmeldungen.
Misserfolge hemmen das Lernen, weil Fehler negative Gefühle auslösen. Menschen reagieren stärker – physiologisch, kognitiv und emotional – auf negative als auf positive Ereignisse. Unser Selbstwertgefühl wird nach dem Scheitern in dem Maße bedroht, dass wir die Fehler nicht mehr wahrhaben wollen.
„Weil Menschen das Scheitern als Ego-bedrohlich empfinden, werden sie sich von der Erfahrung lösen, was bedeutet, dass sie aufhören, aufmerksam zu sein. Ein solches Abschalten hat direkte Konsequenzen für das Lernen, weil Menschen Informationen, die sie nicht beachtet haben, nicht lernen können.“,sagen die Forscher als Fazit ihrer Studie.
Fehler lassen uns glauben, eine vorliegende Aufgabe sei zu schwer und wir hätten nicht die nötige Cleverness, um diese bewältigen zu können. Viele Menschen deuten Misserfolge daher als mangelnde Eignung.
Anders als bei unseren eigenen Misserfolgen verhält es sich mit dem Scheitern Anderer. Eskreis-Winkler und Fishbach belegen in ihrer Studie, dass wir durch die Fehler unserer Mitmenschen klüger werden. Wir reagieren auf die Fehler von Anderen wie auf ein Erfolgserlebnis. Das liegt daran, dass wir in einer solchen Situation den nötigen Abstand haben, um den Fehler zu erkennen, ihn zu verarbeiten und aus ihm zu lernen.
„Wenn also Ego-Sorgen gedämpft werden, schalten sich die Menschen ein und lernen aus dem Scheitern.”, ziehen Eskreis-Winkler und Fishbach als Fazit ihrer Forschung.
Viele andere Psychologen beschäftigen sich mit unserer Fehlerkultur und der Kunst des Scheiterns. So wie Michael Frese, er ist Psychologe an der Universität in Lüneburg und hat ein Weltranking der Fehlertoleranzen erstellt. Dabei hat er 61 Länder unter die Lupe genommen und miteinander verglichen. Deutschland landet auf dieser weltweiten Liste auf dem vorletzten Platz. Woran liegt das?
Die Deutschen haben Angst zu Scheitern, denn jeder Fehler ist unangenehm. „Und Versagen am Ende einer Fehlerkette ist auch kein Zuckerschlecken. Das wahre Problem aber entsteht, wenn wir scheitern, weil wir mit Fehlern nicht umgehen.”, so Frese im Interview mit Land der Gesundheit.
„The sweet spot“
Was also können wir aus Fehlern lernen und wie können wir besser mit ihnen umgehen?
Tatsächlich tragen Fehler in einem erheblichen Maß zu unserem Lernerfolg bei. Stellt die Fehlersituation eine Herausforderung dar, mit der sich auseinandergesetzt werden muss, ist dies fast untrennbar mit einem Lernvorgang verbunden. Doch in welchem Verhältnis dürfen Erfolg und Misserfolg zueinander stehen, damit man aus einem Fehler lernen kann?
Assistenzprofessor für Psychologie und Kognitionswissenschaft Robert Wilson hat gemeinsam mit seinem Team herausgefunden, wo der optimale Bereich – der “sweet spot” – zum Lernen liegt. Wenn eine Aufgabe zu leicht ist und wir sie auf Anhieb mit Bravour lösen, dann können wir nichts lernen. Ist die Aufgabe allerdings zu schwer, versagen wir oder geben auf. Wir lernen demnach nur dann, wenn wir herausgefordert werden, etwas außerhalb der Grenzen unseres vorhandenen Wissens zu erfassen.
In ihrer Studie „The Eighty Five Percent Rule for Optimal Learning” stellen sie die 85-Prozent-Regel auf. Der Regel zufolge lernt man am besten, wenn 85 Prozent der Aufgaben richtig beantwortet werden können. Den „sweet spot”, die sogenannte süße Stelle, erreichen wir nur dann, wenn 15 Prozent unserer Aufgaben falsch sind.
Shit happens!
Wenn also wieder mal ein Fehler passiert: Take it easy and save it for later. Später kann man vielleicht darauf zurückgreifen und aus ihm lernen.
„Wer unbedingt Fehler vermeiden will, läuft Gefahr, Fehler nicht zu managen. Wenn sie doch auftreten, wird das Handtuch geworfen – und dieses Scheitern bleibt hängen, nicht der Fehler“, so Michael Frese.
Auf jeden Fall sollte man also über den Fehler sprechen oder ihn zumindest mit sich selbst auswerten. Woran lag es, dass dieser Fehler passiert ist? Was hat der Fehler für Konsequenzen? Welches Fazit zieht man für die Zukunft?
Über eigene Fehler zu sprechen kann Menschen auch verbinden, wie bei der Fuckup-Night. Dabei stehen vor allem Misserfolge von Unternehmen im Fokus, aber auch Einzelpersonen sprechen über ihre Fehler und deren Konsequenzen. Ziel der Veranstaltungen ist es, die Kultur des Scheiterns zu normalisieren, Schande zu enttabuisieren. Vor allem aber vermitteln die Events, dass Fehler der Schlüssel zum Erfolg sein können und niemand fehlerfrei ist.
Einen Fehler zu machen ist also perse nichts Schlimmes. Er wird erst dann schlimm, wenn wir nicht über ihn sprechen, ihn nicht reflektieren und ihn vergessen wollen. Oder wie Seneca sagt: „Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum” – Irren ist menschlich, aber auf Irrtümer zu bestehen, ist teuflisch.