„Jo, ich bin daheme.“

von | 22. Januar 2017

„Jo, ich bin daheme.“

Sonntagmorgen. Ich bin zeitig aufgestanden, wie immer, habe mir in Ruhe mein Frühstück gemacht und einen Blick auf meine To-Do-Liste geworfen. Artikel schreiben steht darauf und Schrank abbauen. Bald geht es fürs Praktikum nach Berlin, eine Wohnung habe ich schon seit Dezember. Alles bezahlt von meinen Eltern. Ich will raus aus der Kleinstadt, was erleben. Langsam reicht es mir mit Idylle und geschlossenen Bäckern am Sonntagmorgen. Mittweida, diese kleine Stadt in Sachsen von der kaum einer weiß wo sie denn überhaupt liegt.

Ein Beitrag von
Anna Graß

Salim steht auf dem Klingelschild – handschriftlich. Vor ein paar Tagen stand ich vor einer Tür, bei dem Wetter gefühlt am anderen Ende der Stadt. Mir ist kalt, schließlich bin ich 20 Minuten durch den Schnee gelaufen, mal wieder mit den falschen Schuhen. Man, Mittweida! Du brauchst dringend bessere öffentliche Verkehrsmittel, am besten im fünf Minuten-Takt.

„Hallo?“ „Hi, ich bins – Anna“ „Jo!“ 

Der junge Mann am anderen Ende der Gegensprechanlage ist Mohanad Salim. Wir haben uns letzten Sommer im Freibad kennengelernt, er hat mit meinen Freunden aus der Hochschule und mir Beach-Soccer gespielt. Und… man war der gut. Na ja, wen wundert es? Als Profi-Fußballer.
Mohanad empfängt mich und meinen Begleiter herzlich. Eigentlich haben wir uns seit dem Tag im Sommer kaum noch gesehen. Aber er war mein erster Gedanke für diesen Artikel.
Auf dem Tisch stehen bereits Gläser, darunter Bierdeckel des SV Germania Mittweida. Ich fange an, das Aufnahmegerät aufzubauen. Ich will Mohanad interviewen, seine Geschichte hören. Am Ende habe ich 30 Minuten Tonaufnahme, aber erzählt hat er mir seine Geschichte in nicht mal fünf Minuten. Und ganz ehrlich, das was er mir erzählte, hätte man leicht zu einem dramatischen Artikel im Stil der „Bild – Zeitung“ machen können: Vom Profi-Fußballer im Irak zum Geflüchteten in SACHSEN!

Aber genau das möchte er nicht. Mohanad ist glücklich, in Mittweida, in Sachsen.
Trotzdem — Fakt ist, dass Mohanad seine ganze Familie verloren hat, getötet durch den IS. Er wollte weg von dem ganzen Leid, er wollte keine Bomben mehr fallen hören. Ihn hat einfach nichts mehr im Irak gehalten.

Immer wieder höre ich mir seine Worte an. Jedes Mal wieder dasselbe Gefühl wie vor ein paar Tagen. Am liebsten würde ich heulen, als ich an diesem Donnerstagnachmittag bei Mohanad auf dem Sofa sitze. Es steht mir doch gar nicht zu, deswegen zu weinen, er tut es doch auch nicht. Ich weiß nicht wie er sich fühlt, als er darüber erzählt und ich habe auch nicht den Mut ihn danach zu fragen.

Über die Westbalkanroute kam der 26 Jährige vor etwas über einem Jahr nach Deutschland. Eigentlich war sein Ziel Luxemburg, dort hatte sein ehemaliger Trainer aus dem Irak einen Verein für ihn gefunden. Doch in München wird Mohanad von der Polizei angesprochen – er hat zwar einen Ausweis, aber kein Visum. Er landet in einer Notunterkunft, von dort aus wird er nach Chemnitz geschickt und landet schlussendlich in der Turnhalle in Mittweida. Drei Monate lebt er dort und trainiert. Jeden Tag.
Über den irakischen Besitzer eines Dönerladens entsteht der Kontakt zum SV Germania Mittweida. Der Vorstandsvorsitzende Harald Keahs lädt Mohanad zu einem Probetraining ein. Kurz darauf unterschreibt er einen Vertrag beim SV Germania. Der Verein bringt ihn in einer Pension unter und kümmert sich um eine Wohnung. Eigentlich hatte Mohanad noch Angebote von anderen Vereinen, unter anderem aus Dortmund und Berlin. Aber er hat sich dagegen entschieden. Im Irak, so sagt er, gibt man den Menschen etwas zurück, wenn sie so viel für einen getan haben. Geld ist ihm nicht mehr wichtig. Er ist hier sicher, kann Fußball spielen und hat Arbeit gefunden. Und das reicht ihm.

„Harald Keahs, mein Trainer Uwe Schneider, und mein Chef jetzt Andreas Mende. Die haben alles für mich gemacht.“

Unser Gespräch ist schon lange kein Interview mehr. Wir haben alle vergessen, dass dieses Aufnahmegerät auf dem Tisch steht. Die Atmosphäre ist entspannter. Mein Gefühl im Bauch wird langsam besser – vielleicht auch, weil ich mittlerweile weiß, dass Mohanad bleiben darf. Erstmal nur für drei Jahre aber er macht eine Ausbildung und hat keine Schulden. Außerdem will er nicht zurück. Und niemand der sich nur fünf Minuten mit diesem jungen Mann unterhält möchte, dass er wieder geht. Der Irak mag zwar sein Herkunftsland sein, Mittweida aber ist mittlerweile seine Heimat.

Mohanads Deutsch ist erstaunlich gut. Er erzählt uns, wie sehr ihm die Vereinsmitglieder beim Ausfüllen der ganzen Formulare geholfen haben. Der Begriff Asylantrag fällt ihm nicht ein. Wer kann es ihm bei dem ganzen Bürokraten-Deutsch auch übel nehmen. Aber es ist wichtig, dass er im Deutschunterricht Fachwörter wie Komposita und Modalverben lernt.
Wirklich Deutsch lernt Mohanad im Alltag, wenn er mit seiner Fußball-Mannschaft unterwegs ist oder in den WhatsApp-Gruppen alles auf Deutsch lesen und schreiben muss. Da hat er auch schon etwas sächsisch gelernt.

Sein Telefon klingelt. Mohanad geht ran. „Jo, ich bin daheme.“ 

Angerufen hat sein „Bruder“. Neben dem Verein hat Mohanad hier in Mittweida auch eine neue Familie gefunden. Er zeigt uns Bilder von Weihnachten und Silvester. Die Eltern auf den Bildern nennt er Mama und Papa. Ein breites Lächeln zeichnet sein Gesicht.

Und meins.

<h3>Anna Grass</h3>

Anna Grass