Journalistische Objektivität

von | 16. August 2016

Objektivität: Sueddeutsche vs. Bild - zwei zweite Plätze...

Journalistische Objektivität

Die Berichterstattung über die Flüchtlingssituation in Deutschland 2016

Bachelorarbeit von Christoph Niehaus, Juni 2016

Gemäß geltender wissenschaftlicher Standards und aus Gründen publikationsethischer Richtlinien, ist es nicht gestattet diese Informationen außerhalb des Untersuchungskontextes zu verwenden.

Die Arbeit analysierte die Berichterstattung der deutschen Nachrichtenmedien Bild.de und Sueddeutsche.de vor dem Hintergrund des sinkenden Vertrauens in den Journalismus im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation 2016.
Niehaus widmete sich der Frage, wie objektiv die genannten Redaktionen über die Flüchtlingssituation im Frühjahr 2016 berichteten. Für die Untersuchung definierte der Autor den Begriff Objektivität und konnte so Indikatoren zur Messbarmachung dieses KonstruktsObjektivität ist ein begriffliches, vom Menschen geschaffenes Gedanken-Konstrukt, das je nach Forschungsinteresse unterschiedliche Merkmale in sich vereint. herausarbeiten.
Die Texte der beiden Nachrichtenredaktionen wurden unter anderem auf Kennzeichnung subjektiver Wertungen, Komplexität der Argumentation und dem VermittlungskontextVermittlungskontext betrifft die Angabe der Quelle einer Nachricht. Diese Angabe ist für den Rezipienten relevant, um die Glaubwürdigkeit und den Wahrheitsgehalt von Informationen beurteilen und um diese in einen größeren Kontext einordnen zu können. innerhalb einzelner Artikel untersucht.

Der Vergleich zwischen Bild.de und Sueddeutsche.de zeigt, dass Bild vor allem die Kennzeichnung von Wertungen missachtet, während die Süddeutsche zu unausgewogener Argumentation neigt. Bei Verstößen gegen die Objektivitätskriterien – bspw. bei der Bezugnahme auf die Quelle einer Nachricht – konnten keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Bild und Sueddeutscher festgestellt werden. Beide Medien berichteten über die Flüchtlingsthematik nur bedingt objektiv.

Vermittlungskontext

Vermittlungskontext bezieht sich auf die Quellen der Informationen, die einem journalistischen Beitrag zugrunde liegen. Unterschieden wurde für diese Untersuchung zwischen Nachrichten-Quelle und Primärquelle. Die Nachrichten-Quelle gilt dann als benannt, wenn ersichtlich wird, von wem die Journalisten ihre Information direkt beziehen. Die Primärquelle ist dann benannt, wenn die Redaktion offenlegt wer (Person, Institution) eine Information generiert hat. Gelegentlich überschneiden sich diese Kategorien mit der „Beantwortung“ auf die Wer-­Frage oder mit dem Benennen der Nachrichten-Quelle.

In nahezu allen Beiträgen wurde von den Redaktionen die Primärquelle aufgeführt. Ein Artikel der Sueddeutschen erfüllte dieses Objektivitätskriterium nicht.
Die Nachrichten-Quellen wurden überwiegend – jedoch nicht immer – benannt. Abbildung 1

Methode

  • Inhaltsanalyse
  • Untersuchungszeitraum:
    01. Jan. 2016 – 25. Feb. 2016
  • 1497 Artikel
  • Zufallsstichprobe: je 40 Artikel der Sueddeutschen Zeitung (SZ.de) & Bild.de
  • Zuordnung in die Kategorie Informierende Darstellungsformen:
  • Bild 37 Artikel
  • Sueddeutsche 29 Artikel

Bei Verstößen gegen die Objektivitätskriterien – bspw. bei der Bezugnahme auf die Quelle einer Nachricht – konnten mit χ2=0,092; df=1; p=0,762; ω2=0,002 keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Bild und Sueddeutscher festgestellt werden. Beide erfüllen bzw. erfüllen nicht in demselben Maße die Objektivitätskriterien.

Kennzeichnung von Meinung

Die Bild-Stichprobe enthielt 37 Artikel, die der Kategorie „informierende Darstellungsformen“ zugeordnet wurden, die Stichprobe der Sueddeutschen weist 29 solcher Beiträge auf. Innerhalb dieser Darstellungsformen fand der Autor 12 Bild-Artikel (32,4%) die Meinungen enthielten – jedoch nicht als solche gekennzeichnet wurden, bei der Sueddeutschen fand der Autor einen Artikel (3,4%) mit diesem Merkmal. Das Ergebnis dieses Vergleichs kann mit χ2=8,635, p=0,003 als überzufällig bezeichnet werden, ω2=0,13 verweist auf einen mittleren Effekt.

Güte der Argumentation

Diese Analyse bewegt sich auf drei Ebenen: (a) Pro/Contra Migration Asylsuchender in großer Zahl; (b) Pro/Contra Handeln der Bundesregierung in Bezug auf Migration Asylsuchender in großer Zahl sowie (c) Pro/Contra Handeln der Kritiker von Migration Asylsuchender in großer Zahl.
In die folgende Auswertung wurden ebenfalls allein informierende Darstellungsformen einbezogen.

(a) Argumentation Pro/Contra Migration Asylsuchender in großer Zahl

Die vorliegenden Daten verweisen zwar auf geringfügige Unterschiede bei der Ausgewogenheit der Argumentation in informierenden Darstellungsformen, allerdings wird das Ergebnis mit χ2=1,635; df=4; p=1; ω2=0,025 (exakter Test nach Fisher) nicht signifikant. Es scheint sich um ein allgemeines, vom Medium unabhängiges Phänomen zu handeln. Beide Redaktionen tendieren überwiegend zu ausgewogener BerichterstattungBild: In 28 von 37 Artikeln konnte ausgewogene Berichterstattung festgestellt werden (75,7%)
Sueddeutsche: In 23 von 29 Artikeln konnte ausgewogene Berichterstattung festgestellt werden (79,3%)
. Die Analyse zeigte weiter, dass wenn unausgewogen argumentiert wird, dann überwiegend gegen (Contra) die Migration Asylsuchender in großer Zahl, dieses Phänomen konnte für beide Medien festgestellt werden. (Abbildung 3)

(b) Argumentation Pro/Contra Handeln der Bundesregierung in Bezug auf Migration Asylsuchender

Auch für diese Daten können nur geringfügige Unterschiede zwischen Bild und Sueddeutsche festgestellt werden. Das Ergebnis ist mit χ2=0,748; df=2; p=0,843; ω2=0,01 (exakter Test nach Fischer) nicht signifikant. Die Berichterstattung folgt überwiegend den festgelegten ObjektivitätskriterienBild: In 34 von 37 relevanten Artikeln erfolgte eine ausgewogene Argumentation
Sueddeutsche: In 25 von 29 relevanten Artikeln erfolgte eine ausgewogene Argumentation
.

(c) Pro/Contra Handeln der Kritiker von Migration Asylsuchender in großer Zahl

Die Argumentation in Bezug auf die sog. Asylkritiker kann ebenfalls als überwiegend ausgewogen bezeichnet werden. Die wenigen unausgewogenen Artikel tendieren zu einer kritischen Einstellung, wobei das hier dargestellte Ergebnis ein Produkt aus Pro- und Contra-Argumenten ist. Es fanden sich in beiden Medien mehrere erörternde Artikel, mit Pros und Contras, wobei – wie aus Abbildung 5 ersichtlich – die Contras überwogen. Auch für diesen Vergleich konnten mit χ2=1,316; df=2; p=0,804 keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden, der Effekt ist mit ω2=0,02 als schwach einzuschätzen.

Fazit Komplexität der Argumentation

Abbildung 6 fasst die Komplexität der Argumentation zusammen. Zwar berichteten sowohl Bild als auch Sueddeutsche überwiegend ausgewogen, die Analyse zeigt jedoch auch, dass die Tendenz unausgewogener Berichterstattung bei der Redaktion der Sueddeutschen mit 34,5 Prozent etwas größer ist, als bei der Redaktion der Bild mit 24,3 Prozent. Zwar wird dieses Ergebnis mit χ2=6,11; df=4; p=0,208 nicht signifikant, allerdings verweist ω2=0,093 auf einen mittleren Effekt. Es zeigte sich weiter, dass – wenn die Argumentation zu unausgewogener Berichterstattung tendierte – Contra-Argumente stets überwogen.

Fazit

Der Vorwurf, dass die Medien überwiegend positiv über den Flüchtlingszuzug berichten, kann nicht bestätigt werden. Das Gleiche gilt für die Sorge, dass die Medien nur im Sinne der Bundesregierung berichten oder sogar möglicherweise Vorgaben von ihr erhalten. Dies lässt sich daran erkennen, dass die Anzahl der Contra-Argumente bei beiden Kategorien deutlich gegenüber den Pro­Argumenten überwiegt. Der Vorwurf, dass Asylkritiker eher negativ dargestellt werden, stimmt insofern, als dass es auch hier mehr Argumente gegen als für ihr Handeln gibt. Allerdings hängt dies wahrscheinlich damit zusammen, dass die Presse eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber Themen einnimmt. Die Befürchtungen der Bürger, die Medien seien einseitig und nicht-­objektiv, können also nicht bestätigt werden, da sie nicht vermehrt eine Ansicht verstärken, sondern versuchen, alle Themen kritisch zu reflektieren. Durch diese kritische Haltung erfüllen sie auch ihren demokratischen Auftrag.

„Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe, indem sie in Angelegenheiten von öffentli-­
chem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder
auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.“

(SächsPresseG, 2009: § 3 Abs. 2)

Literaturempfehlung zum Thema Objektivität im Journalismus:

Mothes, Cornelia (2014): Objektivität als professionelles Abgrenzungskriterium im Journalismus. Eine dissonanztheoretische Studie zum Informationsverhalten von Journalisten und Nicht-Journalisten. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft (Aktuell. Studien zum Journalismus, v.7).

Neuberger, Christoph; Kapern, Peter (2013): Objektivität im Journalismus – Was bedeutet „Objektivität“? Und können Journalisten objektiv berichten? In: Christoph Neuberger und Peter Kapern (Hg.): Grundlagen des Journalismus. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 146–168.

Schwiesau, Dietz; Ohler, Josef (2003): Die Nachricht. In Presse, Radio, Fernsehen, Nachrichtenagentur und Internet : ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. München: List (List Journalistische Praxis).
Kapitel: Objektivität der Nachricht. S. 27-46.

Hinweise zur Grafik: Die in der Titelgrafik verwendeten Textpassagen stammen aus dem, im Literaturverzeichnis aufgeführten, Buch von Schwiesau & Ohler 2003 (Kapitel: Objektivität der Nachricht. S. 27-46).

<h3>DiSc</h3>

DiSc

Dr. phil. Dirk Schultze, Jahrgang 1968, wiss. Mitarbeiter an der HS Mittweida, ist seit ca. 25 Jahren als Journalist tätig.