Kaufsucht

Kauf dich frei? Konsum, Klicks und #KlarnaSchulden

von | 7. Februar 2025

Influencer und soziale Medien verstärken den Konsumdruck auf Jugendliche. Wenn Konsum zur Sucht wird, drohen Schulden, psychische Belastungen und Isolation.

Die Weihnachtszeit war erneut der umsatzstärkste Zeitraum des letzten Jahres, in dem deutlich mehr konsumiert wurde als in den übrigen Monaten. Hauptsächlich Jugendliche stehen im Fokus von Werbekampagnen, Influencern und sozialen Medien. Doch was passiert, wenn aus normalem Konsumverhalten eine Sucht wird? 

Kaufsucht: Eine wachsende Herausforderung bei Jugendlichen

Etwa fünf Prozent der deutschen Bevölkerung sind von Kaufsucht betroffen. Darunter versteht man ein psychologisches Phänomen, das durch einen unkontrollierbaren Drang zum Kaufen gekennzeichnet ist. Die Forschung in diesem Bereich steckt noch in den Anfängen, da die Erkrankung bislang nicht als offizielle Diagnose anerkannt ist. Bei Jugendlichen äußert sich diese oft in der ständigen Suche nach dem neuesten Trend, sei es in der Mode, Technik oder Lifestyle-Produkten.

Kaufsucht beschreibt ein wiederholtes und übermäßiges Kaufverhalten, das häufig dazu dient, negative Gefühle zu verdrängen. Dabei erwerben Betroffene Produkte, die sie weder benötigen noch verwenden. Ihre Gedanken kreisen ständig um Konsum, oft verbunden mit stundenlanger Recherche zu Produkten. Obwohl Betroffene ihr Verhalten als problematisch erkennen, fällt es ihnen schwer, dem Kaufzwang zu widerstehen. Im Fokus steht weniger der Besitz der Waren, sondern vielmehr das Erlebnis des Einkaufens und das damit verbundene kurzfristige Glücksgefühl. Jüngere Frauen bis 45 Jahre zählen zur besonders gefährdeten Gruppe, doch auch bei Männern wird das Problem zunehmend sichtbar, so der Psychologe Renato Poespodihardjo in einem Interview gegenüber ARD Alpha.

Die Psychologie des Konsums: Was steckt hinter der Kaufsucht

Kaufsucht entsteht oft durch eine Kombination aus psychologischen und sozialen Faktoren. Jugendliche, die unter niedrigem Selbstwertgefühl oder Einsamkeit leiden, suchen im Konsum nach Bestätigung. Der soziale Druck, „dazuzugehören“, verstärkt diesen Effekt. Influencer und Werbung tragen dazu bei, indem sie unrealistische Ideale schaffen, die Jugendliche erreichen wollen. Das Ergebnis: eine endlose Spirale aus Kaufimpulsen und Schuldgefühlen.

Die Folgen: Schulden und psychische Belastungen

In der heutigen Zeit sind Konsumdrang und der Zugang zu einfachen Zahlungsmethoden, insbesondere unter Jugendlichen, weit verbreitet. Möglicherweise ist das der Grund, weshalb die Überschuldung bei den unter 30-Jährigen nun zum zweiten Mal hintereinander anstieg, nachdem sie von 2013 bis 2022 kontinuierlich zurückgegangen war.

Viele nutzen Zahlungsmodelle, die es ihnen ermöglichen, sofort zu konsumieren, obwohl sie das nötige Geld nicht haben. Dies kann schnell zu Schulden führen, da der Überblick über die Ausgaben verloren geht. Viele Jugendliche schämen sich für ihre Schulden, empfinden sie als persönliches Versagen und finden erst durch Verständnis und Gespräche Erleichterung. Gleichzeitig zeigt sich ein anderer Trend: Auf Plattformen wie TikTok präsentieren einige ihre Schulden unter dem Hashtag #KlarnaSchulden als Teil ihrer Selbstdarstellung. Klarna bietet mit der Website klarnaschulden.de eine Plattform zur Aufklärung über Schulden, speziell für die Generation Z.

Was ist Klarna?

Klarna ist ein schwedischer Zahlungsdienstleister, der 2005 von Sebastian Siemiatkowski und Niklas Adalberth in Stockholm gegründet wurde. Das Unternehmen bietet flexible Bezahlmöglichkeiten wie Ratenzahlung, Kauf auf Rechnung und Sofortüberweisung an. Besonders bekannt ist Klarna für das „Buy Now, Pay Later“-Modell (BNPL), das es Kunden ermöglicht, Einkäufe sofort zu tätigen, aber erst später bezahlen. Über die Klarna-App können Nutzer ihre Zahlungen verwalten und Angebote einsehen. Während das Unternehmen für die einfache und flexible Nutzung geschätzt wird, steht es auch in der Kritik, da das Modell zu unüberlegtem Konsum und potenzieller Verschuldung führen kann.

Doch auch der praktische Umgang mit Schulden zeigt Schwächen. Fast jeder Zweite Jugendliche hat schon einmal eine Zahlungsfrist vergessen, und etwa jeder Zehnte war von einer unerwarteten Kontoabbuchung nach Ablauf einer BNPL-Bezahlfrist überrascht. Dies deutet darauf hin, dass viele Jugendliche den Überblick über ihre Ratenkäufe verlieren und die Risiken digitaler Kreditangebote unterschätzen.

Schulden verursachen nicht nur Stress, sondern belasten auch Beziehungen. Kaufsüchtige verlieren den Überblick über ihre Ausgaben und sammeln Schulden an, was oft zu Konflikten mit Familie und Freunden führt. Die Sucht kann soziale Isolation und berufliche Probleme verursachen. Fehlen die Mittel, kann dies in kriminelles Verhalten wie Diebstahl oder Betrug münden.

Ein Selbsttest von klarnaschulden.de zur Einschätzung, wie gut die Gen Z ihre Finanzen verwaltet.

Die Rolle der sozialen Medien

Soziale Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung von Kaufsucht. Plattformen wie Instagram und TikTok überfluten Jugendliche mit perfekt inszenierten Bildern von Influencern. Algorithmen verstärken diese Dynamik, indem sie personalisierte Inhalte liefern, die den Nutzer zum Kauf animieren. Studien zeigen, dass Likes und Kommentare eine Belohnungsstruktur schaffen, die das Kaufverhalten verstärken kann.

Influencer-Marketing prägt das Kaufverhalten von Jugendlichen stärker als je zuvor. Eine neue Studie vom Fraunhofer Institut zeigt, dass mehr als die Hälfte der befragten 1.000 Jugendlichen innerhalb der letzten sechs Monate bis zu 50 Euro für Produkte ausgegeben haben, die von Influencern beworben wurden. Dabei spielen „Lieblingsvorbilder“ eine besondere Rolle: 15,5 Prozent der Jugendlichen gaben mehr als 100 Euro für deren empfohlene Produkte aus, verglichen mit 7,4 Prozent bei anderen Influencern.

Der Einfluss von Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube zeigt sich vor allem bei Jugendlichen im Alter von 13 und 14 Jahren, wenn sie neu in die Welt der sozialen Medien eintauchen. Fast elf Prozent der Befragten berichteten von regelmäßigen Kaufimpulsen oder wiederkehrenden Gedanken an bestimmte Produkte. Besonders alarmierend ist, dass 10,3 Prozent häufig den unwiderstehlichen Drang verspüren, ein Produkt zu besitzen, das sie bei ihrem Lieblingsinfluencer gesehen haben. Vier Prozent geben sogar an, diesen Impuls immer zu verspüren.

Mathilda Djerf: Vom Vorbild zur kontroversen Persönlichkeit

Die Ergebnisse verdeutlichen, wie stark das konsumorientierte Verhalten durch Influencer-Marketing gefördert wird. Junge Menschen sind anfällig für die emotional aufgeladene und oft idealisierte Darstellung von Produkten durch ihre Vorbilder. 

Mathilda Djerf, eine bekannte Influencerin, steht exemplarisch für diese Darstellungsform. Mit ihrer ästhetischen Bildsprache und einer authentischen Präsentation ihrer Marke hat sie eine treue Fangemeinde aufgebaut. Ihre Zielgruppe besteht überwiegend aus modebewussten jungen Frauen im Alter von 18-35 Jahren, die Wert auf Nachhaltigkeit, Qualität und zeitloses Design legen. Auf ihrem Instagram-Kanal mit circa drei Millionen Followern präsentiert sich die Schwedin als nahbare Persönlichkeit. Sie ist für viele ihrer Follower ein Vorbild und eine Persönlichkeit, zu der viele aufsehen. Das Magazin Forbes nahm sie außerdem in die Liste der 30 einflussreichsten Jungunternehmerinnen Europas auf.

Eine kompakte Vorstellung des Unternehmens Djerf Avenue.

Umso größer war der Schock, als die Zeitung Aftonbladet von schweren Vorwürfen gegenüber Mathilda berichtete. Elf aktuelle und ehemalige Mitarbeiter ihrer Firma „Djerf Avenue“ erhoben schwere Vorwürfe gegen sie. Es gibt Beschwerden über Mobbing, Bodyshaming und eine angespannte Arbeitsatmosphäre. Eine Mitarbeiterin berichtet von einer Panikattacke nach Beschimpfungen, eine andere beschreibt den schlechten Zustand vieler Kollegen.

Collage mit Tik-Tok Kommentaren zum  Enthüllungs-Video

Die Kontroverse um Mathilda Djerf zeigt eindrücklich, wie schnell der öffentliche Glanz einer Influencer-Karriere durch interne Konflikte und Anschuldigungen ins Wanken geraten kann. Sie wirft Fragen über die Verantwortung von Vorbildern gegenüber ihren Followern auf. Dieser Fall zeigt, wie Konsumideale gezielt gefördert werden, unabhängig von möglichen internen Missständen. Mit wachsender Bedeutung sozialer Medien bleibt es eine Herausforderung, Jugendlichen eine kritische Haltung gegenüber digitaler Werbung zu vermitteln.

Authentische Vorbilder statt Marketing-Maschinerie

Die Verantwortung von Influencern im Umgang mit jugendlichen Zielgruppen ist erheblich. Sie tragen dazu bei, wie Konsum und Werte in sozialen Medien vermittelt werden. Transparente und ethisch verantwortungsvolle Werbepraktiken können dazu beitragen, negativen Auswirkungen wie Kaufsucht vorzubeugen. Gleichzeitig ist es wichtig, Jugendliche darin zu schulen, Inhalte kritisch zu hinterfragen und zwischen authentischen Vorbildern und Marketingstrategien zu unterscheiden. Die Förderung von Medienkompetenz spielt dabei eine zentrale Rolle. Influencer und Unternehmen, die gezielt junge Zielgruppen ansprechen, tragen eine besondere Verantwortung. Sie sollten auf transparente Werbeformen setzen und dabei langfristige gesellschaftliche Verantwortung über kurzfristige Profite stellen.

Ein bewussterer Umgang mit Konsum

Die Bekämpfung der Kaufsucht erfordert ein gemeinsames Engagement. Schulen können durch Workshops und Aufklärung dazu beitragen, Jugendliche für die Gefahren von Konsumdruck zu sensibilisieren. Wie beispielsweise das Kurzzeit-Experiment mit der Mittelschule Schleißheimer Straße in München gezeigt hat. Im September 2018 organisierte die Mittelschule eine viertägige Projektwoche zum nachhaltigen Konsum.

Auch gibt es bereits erste Ansätze, Aufklärung über Influencer und deren Einfluss in den Unterricht zu integrieren. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie Influencer arbeiten und welche Strategien sie anwenden. Zudem sollten Eltern als Vorbilder agieren und Gespräche über finanzielle Verantwortung führen. Gleichzeitig ist die Politik gefordert, strengere Regeln für Werbung und Influencer-Marketing einzuführen, insbesondere wenn diese auf junge Zielgruppen abzielen.

Das Bundesjugendministerium unterstützt bereits Eltern und Fachkräfte bei der Medienerziehung von Kindern durch zahlreiche Angebote. Allgemein gilt es festzuhalten, dass je früher eine Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose, erläutert Julia Reutermann-Kämmerer, eine Suchtmedizinerin, gegenüber dem NDR. Allerdings suchen Betroffene mit einer Suchterkrankung häufig erst spät Hilfe auf – mitunter vergehen sogar Jahrzehnte. Eine Therapie führt jedoch oft zu einer Verbesserung des Suchtverhaltens.

Das neue Jahr bietet eine Gelegenheit, über Konsumgewohnheiten nachzudenken. Ein bewusster Umgang mit Werbung und sozialen Medien sowie die Förderung von Medienkompetenz können helfen, den Einfluss von Konsum-Idealen auf Jugendliche zu reduzieren. Nachhaltigkeit und reflektiertes Handeln sollten dabei im Vordergrund stehen.

Text, Titelbild Foto: Emma Walther

<h3>Emma Walther</h3>

Emma Walther

ist 23 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Teil des Social Media Teams.