Vegane Kinderernährung

Ist das gesund?

von | 15. Januar 2021

Veganismus wird heiß diskutiert – gerade, wenn es dabei um Kinder geht. Wie gefährlich ist das wirklich?

„Wollen wir das nicht mal versuchen?“, fragt Daniela Ackermann ihren Mann Frank kurz vor dem Aschermittwoch. Die Fastenzeit steht vor der Tür und die beiden überlegen, auf was sie in den etwa sechs Wochen verzichten könnten. In den letzten Wochen hat sich die dreifache junge Mutter viel mit dem Thema Tierwohl beschäftigt und stieß dabei auf den Veganismus. Ihr kam die Idee, im Sinne des Fastens eine Ernährung ohne Fleisch und andere tierische Produkte auszuprobieren. Sie und ihr Mann beratschlagen sich. Nach einer kurzen Unterhaltung steht fest, dass die Familie in der nächsten Zeit vegan leben würde. Daraus wird ein Lebensstil, den sie auch nach dem Ostersonntag weiterhin verfolgen.

Vegan, Vegetarisch und Omnivor

Vegan bezeichnet den Verzicht auf tierische Produkte in allen Lebensbereichen, zum Beispiel bei der Nahrung, Kleidung, Kosmetik etc.

Vegetarisch lebende Menschen verzichten auf Fleisch in ihrer Ernährung.

Omnivore beziehungsweise Mischköstler ernähren sich sowohl von tierischen als auch von pflanzlichen Produkten.

Immer mehr Menschen entscheiden sich, wie Daniela und Frank Ackermann, aus verschiedenen Gründen für eine vegane Ernährung. 2016 lebten etwa 1,3 Millionen Veganer in Deutschland. In der 2020 durchgeführten Ernährungsstudie der Veganz Group AG wurde ermittelt, dass mittlerweile 2,6 Millionen Menschen – also circa 3,2 Prozent der deutschen Bevölkerung – auf tierische Produkte verzichten. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Anzahl der Veganer somit verdoppelt. 27,2 Prozent der Omnivoren können sich außerdem vorstellen, künftig nur noch Veggie-Alternativen zu kaufen und immerhin 3,5 Prozent würden sogar probieren, vegan zu leben. „Viele Eltern haben auch den Wunsch, dass sie diese Ernährung und ihre eigenen Werte an ihre Kinder weitergeben“, so Carolin Wiedmann, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit Zusatzbezeichnung Ernährungsmedizin, in einem Interview mit medienMITTWEIDA.

Heiß diskutiert

Die Meinungen gehen beim Thema Veganismus stark auseinander. Wenn es dann auch noch um die Ernährung des Nachwuchses geht, sind die Bedenken vieler Kritiker besonders stark. Aber ist eine vegane Ernährung wirklich gefährlich für Säuglinge und Kleinkinder?

In Interviews für Fernsehbeiträge und Zeitungsartikel werden häufig Kinderärzte befragt, die dem eine sehr negative Einstellung entgegenbringen. Carolin Wiedmann sagt, sie bekomme viele Rückmeldungen von Eltern, die von ihren Ärzten harsch auf das Thema angesprochen worden wären. „Wenn man aber genauer nachfragt, ist es häufig einfach Unwissen und eine reelle Sorge um die Kinder.“ Die Ernährungslehre spiele im klassischen Medizinstudium kaum eine Rolle und somit kennen sich die meisten Kinderärzte nicht genauer mit der Ernährungsweise aus. Die Fachärztin vertritt folgende Meinung: „Man kann eine omnivore Ernährung und man kann eine vegane Ernährung sehr gesund gestalten. Genauso kann man eine omnivore Ernährung und auch eine vegane Ernährung ungesund gestalten.“

Auch die Ernährungsfachgesellschaften verschiedener Länder vertreten dazu unterschiedliche Positionen. Während beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) von einer veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter abrät, erklärt die Academy of Nutrition and Dietetics (AND) aus den USA, dass eine gut geplante pflanzliche Ernährung in allen Lebensabschnitten gesund und bedarfsdeckend sein könne. Das beinhaltet zum Beispiel die Schwangerschaft, die Stillzeit sowie das Kleinkindalter. Die DGE begründet ihren Standpunkt mit einer unzureichenden Beurteilungsgrundlage. In Deutschland gibt es bislang wenige Studien zum Thema der veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter. Erste Ergebnisse konnte allerdings die Vegetarian and Vegan Children Study (VeChi-Youth-Studie) liefern. Diese werden im 14. Ernährungsbericht der DGE einbezogen. Insgesamt gab es bei der Nährstoffversorgung beim Vergleich der veganen, vegetarischen und omnivoren Ernährung wenig Unterschiede. Aus Sicht der DGE seien die Studienteilnehmer allerdings nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung und die Studienergebnisse daher nur eingeschränkt aussagekräftig. Die amerikanische Gesellschaft schätzt die Datenlage anders ein und empfindet den Wissensstand ausreichend, um einer veganen Ernährung bei Kindern zuzustimmen. „Dem würde ich mich anschließen“, sagt Carolin Wiedmann und fügt hinzu, dass sich aber zumindest die Ablehnung der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahren etwas verringert habe. In ihrer Position von 2016 schreibt die DGE, dass, wer sich trotz des Abratens für eine vegane Ernährung entscheide, dauerhaft Vitamin-B12-Präparate zu sich nehmen und auf eine ausreichende Nährstoffzufuhr achten solle. Weiterhin seien eine Beratung von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft sowie eine regelmäßige ärztliche Überprüfung der Nährstoffversorgung ratsam.

Kinder gesund ernähren

Kinder haben in der Wachstumsphase einen erhöhten Nährstoffbedarf, sodass eine ausgewogene und durchdachte Ernährung für die Entwicklung besonders wichtig ist. Auf dem Speiseplan sollten viele pflanzliche Lebensmittel stehen, während tierische Produkte sowie Fertiggerichte, Weißmehlprodukte und Zucker einen geringeren Anteil einnehmen sollten. Den größten Teil der Nährstoffe nehmen also auch omnivor lebende Kinder bereits über pflanzliche Nahrung zu sich. Laut Carolin Wiedmann sei das vielen nicht bewusst. Auch eine vegane Ernährung kann bedarfsdeckend sein. Die oft in Diskussionen genannten kritischen Nährstoffe können Veganer durch eine gute Zusammenstellung in ausreichenden Mengen über pflanzliche Lebensmittel sowie Nährstoffpräparate zu sich nehmen.

Potentiell kritische Nährstoffe für Veganer

Kritische Nährstoffe sind solche, die in der Ernährung häufig unzureichend aufgenommen werden. Daher ist es wichtig, besonders auf deren Bedarfsdeckung zu achten.

Die DGE stuft folgende Nährstoffe als kritisch ein:

  • Vitamin B12
  • Protein
  • Omega-3-Fettsäuren
  • Eisen
  • Jod
  • Zink
  • Calcium
  • Selen
  • Vitamin D
  • Vitamin B2

„Da haben natürlich auch die deutschen Gesellschaften recht – es ist eine gewisse Herausforderung und man muss einfach genug wissen. Und mit dem ganz normalen Standardwissen, ohne die Bereitschaft, sich näher damit zu beschäftigen, wird es einfach schwierig“, meint Carolin Wiedmann und empfiehlt, wenigstens einmal eine Ernährungsberatung in Anspruch zu nehmen. Das Eine sei das theoretische Wissen, welches man sich im Internet sowie durch Fachliteratur aneignen könne, das Andere aber die Frage nach der praktischen Umsetzung im Alltag, die es zu beantworten gelte.

Dr. Volker Schmiedel, Arzt im ganzheitlichen Ambulatorium Paramed in der Schweiz, sagt in einem Interview mit Carmen Hercegfi, dass die vegane Ernährung eine absolute Mangelernährung und hochgefährlich sei, wenn man nicht auf die kritischen Nährstoffe achte. Er ergänzt: „Wenn man das aber tut, dann glaube ich, dass die vegane Ernährung die gesündeste der Welt sein kann.“ Entscheidend ist also nicht die vegane Ernährung per se, sondern die vollwertige, gut geplante und durch Nahrungsergänzungsmittel unterstützte vegane Ernährung.

Nährstoffmangel: Auch bei Nicht-Veganern ein Problem

Die 2008 veröffentlichte Nationale Verzehrsstudie II des Max Rubner-Instituts über die Ernährung der Verbraucher in Deutschland zeigt, dass die deutsche Durchschnittsernährung eine Mangelernährung ist. Nicht nur Veganer sind also dem Risiko einer Unterversorgung mit bestimmten Nährstoffen ausgesetzt. Beispielsweise verzehren die Menschen weniger pflanzliche Lebensmittel als von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. empfohlen werde, wodurch Mängel auftreten können. Schließlich sollen circa 75 Prozent der Lebensmittelauswahl aus pflanzlicher Nahrung stammen. Vor allem Männer füllen jedoch einen großen Teil ihres Speiseplans mit Fleisch, Wurstwaren und Fleischerzeugnissen.

Calcium gehört bei der veganen Ernährung zu den kritischen Nährstoffen, allerdings unterschritten laut der Studie in Deutschland insgesamt etwa 46 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen die empfohlene Calciumzufuhr. Auch die VeChi-Youth-Studie untersuchte unter anderem die Zufuhr dieses Minerals und kam zu folgenden Ergebnissen:

Vegane-Kinderernährung-Beitragsbild-Lisa-Kwahs

Vergleich der Calcium-Zufuhr bei Vgenaern, Vegetariern und Omnivoren, Grafik: Lisa Kwahs, Informationen von https://www.dge.de/presse/pm/vegan-vegetarisch-mischkost-nur-geringe-unterschiede-in-der-naehrstoffversorgung-bei-kindern-und-jugendlichen/

Die empfohlene Menge von Folat erreichen gemäß des Ergebnisberichts der Nationalen Verzehrsstudie circa 79 Prozent der Männer sowie 86 Prozent der Frauen nicht. Den Richtwert für Fett, dessen Hauptlieferanten zum Beispiel Fleisch, Wurstwaren und Milchprodukte sind, überschreiten 80 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen. Das sei ein Grund dafür, dass über die Hälfte der deutschen Bevölkerung übergewichtig sei und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehe.

Es ist also für jeden Menschen, egal welche Ernährungsweise er für sich in Betracht zieht, wichtig, sich mit einer ausreichenden Nährstoffversorgung auseinanderzusetzen. Bei Kindern spielt das durch den erhöhten Bedarf eine besondere Rolle.

(Blut-)Kontrolle bringt Sicherheit

Daniela und Frank Ackermann lassen bei sich sowie ihren Kindern einmal jährlich Blutuntersuchungen durchführen. So haben sie ihre Nährstoffversorgung immer im Blick und können gegebenenfalls ihre Ernährung anpassen. Bisher habe es keine gesundheitsgefährdenden Mängel gegeben. Einen einmalig geringeren Eisenwert bei Daniela Ackermanns Tochter konnte die Familie wieder ausgleichen, indem sie mehr eisenhaltige Lebensmittel zu sich nahm. „Das war auch so eine Phase, wo sie allgemein wenig gegessen hat und einfach nichts haben wollte.“

Carolin Wiedmann höre öfter von ihren Patienten, dass Ärzte oft keine Notwendigkeit für Blutabnahmen zur Überprüfung sähen. Grundlegend sei das erst einmal positiv, da die Kinder scheinbar gesund und gut entwickelt wirkten und keine Bedenken bestünden. Sie selbst behauptet jedoch von sich, sie sei ein großer Fan von maximaler Sicherheit – gerade wegen des hohen Nährstoffbedarfs bei Heranwachsenden. „Dadurch, dass die Eltern ja auch häufig so verunsichert werden, brauchen sie teilweise einfach diese Bestätigung, um zu sehen: ‚Mein Kind ist gut versorgt.‘“ Außerdem können durch die Untersuchungen weitere Daten gesammelt werden, um die Wissenslage auf dem Gebiet weiter auszubauen. Bisher habe die Kinderärztin sehr positive Ergebnisse bei den Blutwerten ihrer jungen veganen Patienten gesehen.

Ein weiteres Problem sei, dass sich Ärzte teilweise nicht ausreichend mit der Diagnostik auskennen. Laut Carolin Wiedmann werde sicherlich oft nur das Vitamin B12 im Blutserum untersucht, welches keine große Aussagekraft hat. „Was uns eigentlich interessiert ist, wie die B12-Speicher sind.“ Vielen sei auch unbekannt, dass die Jod-Versorgung durch eine Urin-Untersuchung überprüft werde und die Schilddrüsenwerte nicht ausreichen. Zu wissen, welche Werte für die Diagnostik entscheidend sind, ist also auch bei der Kommunikation mit den Ärzten von Vorteil.

Offene Kommunikation, Beratung und ein gutes Buch

Trotz der Tatsache, dass einige Ärzte eine ablehnende Haltung zum Veganismus vertreten, befürwortet Carolin Wiedmann, ihnen gegenüber ehrlich zu sein. „Ich plädiere immer dafür, dass so ein Vertrauensverhältnis bestehen sollte, dass es der Kinderarzt weiß – spätestens dann, wenn man eine Blutabnahme machen möchte.“ Neben dem Besuch bei einem Ernährungsberater rät sie weiterhin, mindestens ein Fachbuch zum Thema „vegane Ernährung“ zu lesen, um ein Grundverständnis dafür zu bekommen.

Daniela Ackermann und ihre Familie leben seit über sechs Jahren vegan. Sie ist mittlerweile Mutter von fünf Kindern mit einer Altersspanne von fünf bis 13 Jahren, erwartet ihr sechstes und ist glücklich mit ihrer Entscheidung. „Die zwei Jüngsten haben noch nie etwas Nicht-Veganes gegessen.“ Sie sagt, eine vegane Ernährung sei absolut kein Problem, wenn man gut informiert sei und man solle sich nicht davor scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Inzwischen gebe es viele Berater sowie gute Lektüre und auch das Sortiment an veganen Alternativen habe sich in Deutschland vergrößert. Momentan steht Daniela Ackermann kurz vor der Abschlussprüfung ihrer Ausbildung zur veganen Ernährungsberaterin. Während dieser begann sie bereits, Online-Sprechstunden für Schwangere, Stillende und Familien mit kleinen Kindern anzubieten. „Ich bekomme mit, wie unsicher manche Mütter sind. Da will ich helfen, dass Klarheit reinkommt.“

Der vegane Speiseplan von Daniela Ackermann

In einer Woche gibt es bei der Familie Ackermann beispielsweise folgende Gerichte:

  • Frühstück:
    • Porridge
    • Mango-Sojajoghurt-Bowl
    • Milchreis mit Haferdrink
    • Haferflocken-Bananen-Shake
    • Hirsebrei
  • Warme Mahlzeiten:
    • Kartoffeln, warmer Chicorée und Gemüsebällchen
    • Vollkornnudeln mit veganem Pilzrahm
    • Reis mit Auberginen-Zucchini-Hackpfanne (mit veganem Hack)
    • Vollkornpfannkuchen mit Karottensoße
    • Gemüse Frittata
Text und Grafik: Lisa Kwahs, Titelbild: Josy Schreier
<h3>Lisa Kwahs</h3>

Lisa Kwahs

ist 21 Jahre alt und kommt aus Chemnitz. Sie studiert Medienmanagement im 5. Semester und ist Teil des Technik-Teams von medienMITTWEIDA.