Ein Geburtstag, der erste Schultag oder doch der verschmierte Bolognese-Mund: All diese Momente werden auf Social Media geteilt. Ist doch kein Problem, denn das ausgedruckte Fotoalbum zeigt man doch auch gerne mal der Freundin. Oder? Der Knackpunkt im Netz: Die Sicherheit des Kindes.
Digitale Bühne der Kindheit
Im Durchschnitt existieren bereits rund 1300 Bilder von jedem Kind im Netz, bevor dieses 13 Jahre alt ist. Das Phänomen „Sharenting“ ist ein Zusammenschluss aus den Worten „share“ (teilen) und „parenting“ (erziehen). Es beschreibt den erschreckenden Trend, in dem Eltern dazu neigen, das Leben ihrer Kinder auf Social Media zu teilen. „Letztlich geht es ganz oft um Anerkennung, etwa über Mechanismen wie Likes oder Herzen“, erklärt Sophie Pohle das Phänomen gegenüber Deutsche Welle. Dabei ist es egal, ob es nun auf Instagram oder in der WhatsApp-Story gepostet wird. Das Problem: Die Kinder werden vorgeführt und intime Einblicke veröffentlicht.
„Die Mama braucht dich aber“
Als erwachsene Person kann man selbst die Entscheidung treffen, ob man sich von Social-Media zurückzieht, wenn einem alles zu viel wird. Als Kind nicht, denn bei Kindern bis zu acht Jahren entscheiden die Eltern, ob das Bild ihres Kindes ins Internet gelangen darf oder nicht. Das Recht am eigenen Bild von Kindern ist wie das Recht am eigenen Bild von Erwachsenen im Kunsturhebergesetz (KUG) geregelt. Gemäß § 22 S. 1 KUG dürfen Fotos grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.
Momfluencer und Dadfluencer nutzen Plattformen wie Instagram, um ihre Erfahrungen, Herausforderungen im Alltag wie zum Beispiel Eifersucht zwischen Geschwistern oder das Trockenwerden und Erfolge der Kinder zu teilen, um sich so eine Community aufzubauen. In sozialen Medien gibt es oft Trends und Hashtags, die sich um Kinderthemen drehen. Natürlich müssen dann die Kinder auch Teil des Videos werden. So baut sich die Community weiter aus und die Influencereltern nehmen an der Online-Kultur teil. Influencer-Eltern, die ihre Kinder nicht zeigen, beweisen aber, dass man diesen Trends auch ganz ohne das Zeigen der Kinder folgen kann. Sie arrangieren einfach die Szenen, indem sie die Kinder verkörpern, ohne diese als Marketinginstrument zu nutzen.
„Aber ich zwinge mein Kind doch nicht, es macht das freiwillig und hat Spaß daran” – eine häufig vorgebrachte Verteidigung seitens der Influencer*innen. Für Hannah Lichtenthäler, Fachreferentin für Medien und Digitales des Kinderschutzbundes Bundesverbandes, wirkt diese Ausrede sehr schwammig. Gegenüber medienMITTWEIDA erklärt sie, warum sie dieser Ansicht ist. „Kinder sind sowohl in einer klassischen Abhängigkeit zum Beispiel der Fürsorge oder auch finanziell, aber auch auf psychologischer und emotionaler Ebene.“ Natürlich wollen Kinder, dass die Eltern sie lieben und dass sie sich freuen. „Wenn sie mitbekommen ‚meine Mama hat Erfolg, wenn ich auf diesem Foto mit der Handtasche posiere‘, dann ist das Kind natürlich gewillt und macht freiwillig für das Foto mit.“ Wie viel Freiwilligkeit in Anbetracht der emotionalen Abhängigkeit da aber wirklich dahinter steckt, bleibt zweifelhaft. Stellt sich die Frage, ob sich Kinder später wirklich darüber freuen, dass die Welt Zeuge davon wurde, wie die Mama ihnen ein Ei auf den Kopf, oder eine Käsescheibe gegen die Stirn geschlagen hat.
Wenn Paw Patrol zum Verhängnis wird
Einmal im Netz, immer im Netz. Aber auch in der Realität. Mediencoach Dr. Iren Schulz erzählte gegenüber Brisant, dass die digitale Problematik bis ins analoge Privatleben hineinreiche. Es kommt nicht selten vor, dass Follower*innen eine Kirche oder eine bekannte Sehenswürdigkeit im Hintergrund der Instagram-Story erkennen. Dann möchte man natürlich seinen Lieblingsinfluencer*innen mal sehen – wenn die in der Nähe wohnen, noch besser. Mithilfe der Standortinformationen, die auf Posts oder in Storys eingestellt werden können, muss sich nun gar nicht mehr angestrengt werden, um den aktuellen Aufenthaltsort herauszufinden. Nicht zu vergessen: die Geburstagspostings oder das Veröffentlichen von Informationen, wie die neue Lieblingsserie oder der Name des Kuscheltieres. Ein Puzzleteil wird mit dem nächsten kombiniert und heraus kommt die genaue Adresse des Kindergartens oder der Schule des Kindes. Für manche Influencer*innen mag es sogar erfreulich sein, wenn ihre „Spione“ alias unbekannte Follower*innen das Kind auf dem Spielplatz entdecken. Doch was für die Mutter nur eine nette Followerin ist, bleibt für das Kind eine fremde Person. Eigentlich ist es ja fast schon schön, so ein Urvertrauen ins Leben zu haben und naiv durch dieses zu laufen. Wie soll das Kind nun herausfinden, mit welchen Fremden es reden darf und mit welchen nicht?
Leichtes Spiel für Pädokriminelle
Es ist ausreichend belegt, dass Pädokriminelle oft „private“ Aufnahmen aus Social-Media-Kanälen nutzen, um diese dann im Darknet hochzuladen oder für ihre eigenen Taten zu missbrauchen. Das zeigen auch die Ergebnisse einer ausführlichen Recherche von Panorama und STRG F aus dem Jahr 2021. Mindestens jedes vierte Bild, das in diesem Kontext auftaucht, kommt ursprünglich von Facebook oder Instagram. Hierbei handele es sich laut Frau Lichtenthäler um scheinbar „normale“ Momentaufnahmen aus dem Urlaub oder Alltagssituationen. Was als harmloses Bild beim Puppenspielen erscheint, wird für Täter*innen zur Gelegenheit. Die Fotos werden heruntergeladen, missbraucht und in den pädokriminellen Kreisen verbreitet.
Die schockierende Realität wird deutlich, wenn das eigene Kind plötzlich im Darknet landet und dort, mit anderen Minderjährigen, nach abscheulichen Kategorien wie „Fuckability“, „Sexyness“ oder „In Shape“ inklusive Hashtags wie #sexykids oder #daddysgirl, gerankt wird. In diesem Moment verliert die Situation jeden Bezug zu den süßen Bildern aus dem Alltag und entlarvt die dunklen Abgründe der digitalen Welt.
Wichtig ist zu betonen, dass die Schuld an der sexualisierten Gewalt stets bei dem Täter*in liegt und nicht beim Elternteil. Das Bundeskriminalamt spricht in Bezug auf die Verantwortung der Eltern von sogenannten Tatgelegenheiten.
Erstelle mir ein Bild von einem Kind am Strand
Die arglose Verbreitung von Kinderfotos im Netz öffnet Tür und Tor für den Missbrauch durch Dritte, die diese Bilder für dubiose Zwecke nutzen können. Durch Deepfakes ist es möglich, Gesichter von Kindern aus Originalaufnahmen zu entfernen und diese in verschiedene Kontexte zu integrieren. Besonders schlimm wird es dann, wenn diese bearbeiteten Bilder in Vorlagen von zum Beispiel H&M-Kinder-Bikini-Models eingefügt werden. Und dieses Mal, nicht nur ohne das Einverständnis der Kinder – was bis zu einem Alter von 8 Jahren irrelevant wäre – sondern auch ohne die der Eltern. An fremde Kinderfotos zu kommen ist heutzutage anscheinend leichter als an einem Netflix-Account.
Ein weiteres beunruhigendes Szenario, das durch die unbedachte Verbreitung von Kinderfotos im Netz entstehen kann, betrifft den Identitätsdiebstahl und Betrug. Kriminelle können die Gesichter von Kindern für die Erstellung gefälschter Profile auf Social-Media-Plattformen oder anderen Online-Diensten verwenden. Besonders leicht ist es bei Influencer*innen, wie den Jindouis, die das neue Passfoto der kleinen Imani als Titelbild ihres neuen YouTube-Videos nutzen. Da Louisa El-Jindoui gerade mit dem zweiten Kind schwanger ist, bleibt es bestimmt auch nicht aus, dass dieses noch ungeborene Kind bald auch schon für Betrugszwecke genutzt werden wird. Durch die Nutzung dieser gefälschten Identitäten könnten die Täter*innen Verbindungen zu arglosen Kontakten knüpfen und die Preisgabe persönlicher Informationen oder schlichten Betrug durchführen. Die Identitätsfälschung tritt natürlich nicht nur bei Kindern auf, hierbei unterscheidet es sich jedoch in dem Punkt, dass die Kinder meist noch nicht in der Lage sind herauszufinden, dass ihre Identität gestohlen wurde. Bis das dann auffällt, können mit der gestohlenen Identität schon viele Aktivitäten durchgeführt worden sein. Wenn dann auch noch Videos im Netz auftauchen, in denen die Stimme des Kindes zu hören ist, ist es natürlich noch leichter, die Identität zu stehlen.
Gefährliches Roulette – Kind oder Community?
Hier und da ein kurzes Bild, Reel oder Video, dann sollte es für die Kinder ja keine Folgen haben. Falsch gedacht! „Wenn Mitschüler*innen beispielsweise Fotos aus dem Internet haben, die die Eltern mal veröffentlicht haben, kann das Grundlage für Cybermobbing sein.“ Hannah Lichtenthäler sei der Ansicht, dass es sich dann meist auch noch um Bilder handele, die den Kindern im Nachhinein peinlich sind. Die Auswirkungen von Cybermobbing sind vielfältig und können schwerwiegende Konsequenzen für die Opfer haben. Dazu gehören Krankheitsgefühle wie Bauchschmerzen, aber auch psychosomatische Beschwerden, wie Schlafstörungen, gestörtes Essverhalten oder Bettnässen. Bei letzterem wären wir wieder beim Thema, was Influencer*innen gerne mal unabhängig vom Cybermobbing zum Thema im Internet machen und private Bettnässe-Geschichten über ihre Jüngsten ausplaudern.
Vor allem den fehlenden Rückzugsort durch Cybermobbing sieht Hannah Lichtenthäler als besorgniserregend an. Denn anders als Mobbing an einem gezielten Ort kann Cybermobbing rund um die Uhr stattfinden – also genauso lange, wie man von den Eltern für Social Media gefilmt werden kann.
„Wenn man einen Schritt zurückgeht, kann man dann auch an das ständige Fotografieren denken“, so Frau Lichtenthäler, die dadurch das vor der Kamera stehen noch einmal hervorhebt. Hierbei solle man vor allem an das Recht auf Freizeit und persönliche Entwicklung denken. Kinder benötigen nicht nur Zeit für schulische Verpflichtungen, sondern auch für Hobbys, soziale Aktivitäten und die Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit. Wenn nun auch die Freizeit für die Videos und Fotos für den Instagram des elterlichen Accounts herhalten muss, kann man dann wohl erst draußen spielen, wenn alle anderen Kinder schon im Bett liegen.
Die meisten Eltern wollen, dass ihre Kinder mal eine große Karriere hinlegen. Blöd nur, wenn sie der Grund sind, warum dies nicht möglich ist. Zukünftige Arbeitgeber könnten bei der Recherche im Internet auf kindheitsbezogene Inhalte stoßen, die das professionelle Image beeinflussen könnten. Aber wer wünscht sich nicht, dass auf dem Arbeitsplatz darüber geredet wird, wann man endlich aufs Töpfchen gegangen ist.
Sharenting ist mehr als nur eine lieb gemeinte Geste der Elternliebe – es ist ein riskantes Spiel mit der Zukunft der eigenen Kinder, die keine Gnade kennt.