Streaming statt großer Leinwand: Spätestens seit der Corona-Pandemie hat sich das Filmverhalten in Deutschland grundlegend verändert. Die Kinos kämpfen mit leeren Sälen, während Streamingdienste Rekorde brechen. Doch welche Faktoren haben diesen Wandel wirklich vorangetrieben – und was bedeutet das für die Zukunft des Kinos?
Seit der Erfindung durch die Brüder Lumière vor über 120 Jahren begeistert das Kino Menschen auf der ganzen Welt. Bis heute zieht es in Deutschland Millionen Besucher an. Im vergangenen Jahr zählten laut der Filmförderungsanstalt (FFA) die Lichtspielhäuser rund 19 Millionen Gäste. Aus den Ticketverkäufen entstand ein Umsatz von 856 Millionen Euro. Auf der ganzen Welt ist mit dem Kino mehr als 30 Milliarden umgesetzt worden.
Trotz dieser Zahlen spielt das Kino in der globalen Unterhaltungsindustrie nur noch eine Nebenrolle. In Deutschland befindet es sich in der Unterhaltungs- und Werbeindustrie mittlerweile hinter Internetvideos und Außenwerbung. Während es im Jahr 2000 nach Zahlen der deutschen FFA noch rund 152 Millionen verkaufte Kinotickets waren, sind es 2024 nur noch etwa 90 Millionen gewesen. In den beiden Pandemiejahren 2020 und 2021 ist die Zahl sogar auf jeweils 38,1 und 42,1 Millionen eingebrochen. Es stellt sich daher die Frage, warum die Menschen weniger ins Kino gehen.
Darstellung verkaufter Tickets von 2000 bis 2024, Grafik: Nils Süchting, Quelle: FFA
Warum wir ins Kino gehen
Obwohl die Deutschen heute weniger ins Kino gehen, ist es für viele Menschen immer noch ein wichtiger Ort für ihre Freizeitgestaltung. Das Filme schauen im Kinosaal ist ein soziales Erlebnis. Man trifft sich mit seinen Freunden, um gemeinsam zu lachen, zu staunen oder zu diskutieren. Oft steht bei den meisten Besuchern nicht einmal ein bestimmter Film im Mittelpunkt, sondern die gemeinsame Erfahrung selbst.
Diese besondere Form der sozialen Interaktion macht das Kino zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens. Während jüngere Zuschauer häufig auf große Blockbuster aus der Traumschmiede Hollywood setzen, bevorzugen ältere Besucher Dramen oder Komödien aus deutscher Produktion. Im Gegensatz zu anderen Freizeitaktivitäten wie Freizeitparks oder Bars findet das Kino also in jeder Altersklasse Anklang.
Auffällig ist auch, dass das Kino nach wie vor eine soziale Attraktion bleibt. Die meisten Menschen gehen nicht allein, sondern in Begleitung – im Durchschnitt mit 1,7 weiteren Personen. Nur etwa jeder zehnte Kinobesuch findet allein statt. Besonders beliebt sind Familienfilme: In den vergangenen Jahren konnten deutsche Kinderfilme wie „Die Schule der magischen Tiere“ebenso überzeugen wie internationale Produktionen beispielsweise mit „Alles steht Kopf 2“. Diese ziehen vor allem Kinder mit ihren Eltern ins Kino
Dennoch zeigt sich über nahezu alle Altersgruppen hinweg ein rückläufiges Interesse am Kinobesuch – lediglich bei den über 50-Jährigen ist ein leichter Anstieg zu beobachten. Gleichzeitig steigen die Ticketpreise. Während eine eine Kinokarte 2013 im Schnitt noch rund acht Euro kostete, liegt der Preis mittlerweile bei über neun Euro Das Publikum wird weniger, aber die Ausgaben pro Besuch steigen.
Des Weiteren zeigen Marktforschungsstudien der Gemeinschaft für Konsumforschung (GfK), dass die meisten Kinobesucher vor allem das große Bild und den besseren Ton als zu Hause schätzen. Auch auf emotionaler Ebene, löst die Leinwand im Kino bei den Befragten mehr Gefühle aus als der Flatscreen im Wohnzimmer. Gleichzeitig wird aus den Studien deutlich, dass viele ihr Freizeitverhalten verändert haben: Das Kino ist vielen Menschen wichtig, dennoch ist es heute eher ein besonderes Ereignis als ein fester Bestandteil der Freizeitgestaltung am Wochenende.
Für Statistikliebhaber – Kino vor Corona: Zahlen, Trends und Zielgruppen
Im Jahr 2019 verzeichneten die Kinos mit 25,7 Millionen Menschen wieder etwas mehr Gäste als in den drei Jahren zuvor, insgesamt sank die Zahl der Kinobesucher zwischen 2010 und 2019 jedoch um rund zehn Prozent. Trotzdem ist die Anzahl der Kinos in diesem Zeitraum leicht gestiegen: von 1.714 auf 1.734 Spielstätten. Die Zahl der Leinwände nahm ebenfalls zu von knapp 4.700 auf fast 5.000. Das liegt vor allem an der zunehmenden Verbreitung von Kinos mit vielen Leinwänden, sogenannte Multiplex.
Über eine Milliarde Euro wurden 2019 in den deutschen Kinos erwirtschaftet. Besonders profitabel waren die bereits genannten Multiplex-Kinos mit sieben bis neun Leinwänden, welche fast 40 Prozent der Gesamteinnahmen in diesem Jahr erzielten. Wobei den größten Umsatzanteil auf der Leinwand amerikanische Produktionen einbrachten.
Doch auch deutsche Filme können sich in den Sälen behaupten: Rund 20 Prozent der Einnahmen stammten 2019 aus heimischen Produktionen. „Der Schuh des Manitu“ (2001) ist bis heute mit über zehn Millionen verkauften Tickets der erfolgreichste Film in der deutschen Kinolandschaft.
Wie die Corona-Pandemie die Kinolandschaft veränderte
Als im Frühjahr 2020 das Infektionsschutzgesetz in Kraft trat, schlossen sich in Deutschland die Kinovorhänge für mehrere Wochen. Nach der Wiedereröffnung galten strenge Auflagen: Maskenpflicht, Abstandsregeln und der Nachweis über Impfung, Genesung oder Test gehörten zum Alltag der Kinobetreiber und der Besucher. Dennoch sank die Zahl der mitgebrachten Begleitpersonen nur geringfügig – das Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Erleben ist geblieben, doch die Bedingungen dafür waren schwierig.
Nicht nur die Kinos litten unter den Einschränkungen, sondern auch die Filmproduktionen kamen weltweit zum Erliegen. Drehs wurden gestoppt, Premieren verschoben. Große Studios wie WarnerBros. oder Disney reagierten, indem sie ihre bereits produzierten Filme im Kino und parallel auf den hauseigenen Streamingdiensten veröffentlichten. Ein Wendepunkt, der unser Sehverhalten dauerhaft verändern sollte und im Nachhinein sogar den Studios schadete.
Die daraus entstandenen wirtschaftlichen Folgen für die Kinobranche waren sehr gravierend. Der Umsatz fiel im ersten Pandemiejahr nur auf einen Bruchteil der üblichen Einnahmen. Selbst unter optimistischen Bedingungen rechnete die Branche nur noch mit etwa der Hälfte der sonst üblichen Einnahmen. Während ein normales Kinojahr vor der Pandemie rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz einbrachte, lagen die Schätzungen für 2020 bei etwa 650 bis 800 Millionen Euro.
Auch wenn sich der Wirtschaftszweig wieder langsam erholt, sind die Spuren bis heute sichtbar. Nach Angaben der FFA kann es noch mehrere Jahre dauern, bis Kinos wieder an frühere Zeiten mit ihren Umsätzen anknüpfen. Positiv ist immerhin, dass die Zahl der Spielstätten und Leinwände weitgehend stabil geblieben ist. Nur wenige Kinos mussten endgültig schließen. Das ist ein Zeichen für die Widerstandskraft der Branche und dass die Förderung des Staates während Corona geholfen hat.
Dennoch hat sich das Verhalten des Publikums grundlegend verändert. Die meisten Gelegenheitsbesucher, die vor der Pandemie höchstens ein- oder zweimal im Jahr ins Kino gingen, blieben seither fern. Dabei ist das die größte Besuchergruppe im Kino. Während der Lockdowns haben sich die Menschen an das bequeme Filmvergnügen zu Hause gewöhnt. Die neuesten Filme sind plötzlich nur noch einen Klick entfernt im Wohnzimmer. Streamingdienste haben die neuen Umstände für sich genutzt. Hinzu kommt, dass vielen potenziellen Besuchern der Überblick über das aktuelle Kinoprogramm fehlt. Die Werbung als Filmtrailer, die einst im Kino selbst stattfand, erreicht das Publikum seltener.
Auch wenn die Kinos heute wieder geöffnet sind, hat die Pandemie eine Zäsur geschaffen. Sie hat gezeigt, wie fragil das klassische Kinomodell in unserer jetzigen Gesellschaft ist – und wie stark sich Mediennutzung in kürzester Zeit verändern kann. Das Publikum hat gelernt, ohne Kino auszukommen. Nun muss die Branche beweisen, dass es sich lohnt, wieder in den Kinosaal zurückzukehren.
Streaming statt Kinosaal – die neue Konkurrenz der Leinwand
Streamingplattformen erleben seitdem einen nie dagewesenen Boom. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Ausgaben für Streamingdienste bei den deutschen Konsumenten nahezu verdoppelt, während Kino und physische Datenträger wie DVDs oder Blu-Rays ihre damalige Bedeutung verloren haben.
Dieser Wandel im Konsumverhalten lässt sich klar an den Umsatzzahlen ablesen. Mitte der 2010er-Jahre dominierten noch physische Datenträger den Heimkinomarkt, während Streaming damals kaum etabliert war. Stand heute hat sich dieser Umstand komplett gedreht: Streamingdienste erwirtschaften Milliarden jährlich, während der Umsatz der Kinos auf weniger als ein Drittel davon geschrumpft ist.
Doch warum zieht es die Menschen selbst nach dem Ende der Pandemie nicht mehr in den Kinosaal? Ein Grund ist die immer kürzeren Laufzeit neuer Filme auf der großen Leinwand. Viele Zuschauer warten heutzutage lieber einige Wochen, um dieselben Filme bequem und günstiger im Stream zu sehen.
Hinzu kommen psychologische Faktoren: Streaming passt perfekt in unsere Gesellschaft, die von Flexibilität und ständiger Verfügbarkeit geprägt ist. Nutzer können spontan entscheiden, was sie sehen, den Film pausieren oder parallel andere Dinge erledigen. Dieses Modell spricht das Bedürfnis nach Kontrolle und Bequemlichkeit an. Das Kino hingegen verlangt Planung, Zeit und Aufmerksamkeit – und genau das wirkt im hektischen Alltag oft abschreckend.
Streaming wird bei den Deutschen immer beliebter, Foto: Cottonbro
Gleichzeitig besitzt der Kinobesuch einen Wert, den Streaming nicht ersetzen kann. Die große Leinwand, der Sound, das kollektive Miterleben – all das macht den Kinobesuch zu einem bewussten Erlebnis. Filme, die im Kino gesehen werden, bleiben länger im Gedächtnis.
Auch Serien haben zur Popularität des Streamings beigetragen. Durch längere Laufzeiten und wiederkehrende Figuren entsteht eine engere Bindung zum Geschehen. Zuschauer tauchen tiefer in die Geschichten ein und entwickeln Gewohnheiten, die Streamingdienste geschickt mit neuen Formaten, wie zum Beispiel wöchentliche Folgenveröffentlichungen, bedienen.
Am Ende zeigt sich: Streaming ist heute die dominierende Form des Filmkonsums. Es erfüllt zentrale Bedürfnisse nach Spontanität und Unabhängigkeit und lässt sich mühelos in den Alltag integrieren. Das Kino dagegen bleibt ein besonderes, kulturell bedeutsames Erlebnis – aber eines, das sich seinen Platz in einer zunehmend digitalen Freizeitkultur neu erkämpfen muss.
Umsatz von PayTV, Streaming, Kino und Blu-Ray/DVDs im Vergleich, Grafik: Nils Süchting, Quelle: FFA
Der Weg zurück ins Kino
Das Kino hat in den vergangenen Jahren also viele seiner Gelegenheitsbesucher verloren. Streamingdienste und veränderte Freizeitgewohnheiten durch die Pandemie haben dafür gesorgt, dass viele Menschen den Weg zurück in den Kinosaal noch nicht wiedergefunden haben. Doch es gibt Möglichkeiten, wie Betreiber ihr Publikum neu begeistern können.
Um das Kino wieder zu einem festen Bestandteil der Freizeitgestaltung zu machen, bräuchte es laut der GfK mehr als ein gutes Filmprogramm. Entscheidend seien Erlebnisse, die das Gemeinschaftsgefühl stärken. Zum Beispiel etwa After-Work-Vorstellungen oder Live-Übertragungen von Sportereignissen und Konzerten. Seriennächte oder Filmgespräche mit Filmschaffenden würden ebenfalls die Attraktivität eines Kinobesuches erhöhen. Solche Formate schaffen Exklusivität und heben das Kino von Streamingdiensten ab. Auch kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen oder Poetry Slams hätten das Potenzial neues Publikum einzubinden und das Kino insbesondere im lokalen Kulturleben stärker zu verankern.
Ebenso beliebt sind thematische Reihen, in denen Klassiker oder Kultfilme vorgestellt werden. Sie bieten Nostalgie und sprechen zugleich jüngere Zuschauer an, die diese Filme erstmals auf der großen Leinwand erleben könnten. Familienfreundliche Angebote – etwa Kinderwagen-Kino oder Vorstellungen mit reduzierter Lautstärke – senken ebenfalls Hürden für neue Zielgruppen.
Mit passenden Marketing kann man das Publikum wieder zurück ins Kino bringen, Foto: Pavel Danilyuk
Doch nicht nur das Angebot, auch die Kommunikation spielt eine zentrale Rolle. Viele Potenzielle Besucher wissen schlicht nicht, welche Filme gerade laufen. Sichtbarkeit ist deshalb entscheidend: durch gezielte Social-Media-Kampagnen, Trailer, Newsletter oder Kooperationen mit lokalen Medien. Dabei sollten verschiedene Altersgruppen individuell angesprochen werden – Jüngere reagieren stärker auf digitale Kanäle, während ältere Generationen auf klassische Medien achten.
Aktionen wie vergünstigte Kinotage, Rabatte auf Online-Tickets oder Kombi-Angebote mit dem öffentlichen Nahverkehr könnten finanzielle Barrieren senken. Einige Kinoketten experimentieren bereits mit Kino-Flatrates, die sich an Streaming-Abos orientieren. Auch Kooperationen mit lokalen Partnern, etwa Restaurants oder Bars, können zusätzliche Anreize schaffen und den Kinobesuch zu einem ganzheitlichen Erlebnis machen. Das Ziel muss sein, das Kino wieder als Ort des Zusammenkommens, der Emotion und der kulturellen Vielfalt zu positionieren. Nur so kann es gelingen, das Publikum dauerhaft zurückzugewinnen und die Magie der großen Leinwand lebendig zu halten.
Das Kino in der Zukunft
Das Kino steht an einem Wendepunkt. Für eine lange Zeit war es die einzige Lokalität, um die neuesten Filme zu erleben. Jedoch haben in den letzten Jahren technische Entwicklungen und die Corona-Pandemie die Film- und Kinolandschaft zu Veränderungen gezwungen. Hinzu haben Streamingdienste neue Sehgewohnheiten geschaffen, die nie dagewesene Flexibilität und Komfort bieten – Werte, die in unserer schnelllebigen Gesellschaft immer wichtiger werden.
Die Zukunft des Kinos wird davon abhängen, wie gut es gelingt, seine Einzigartigkeit zu betonen und sich zugleich an neue Lebensrealitäten des Publikums anzupassen. Wenn Kinobetreiber innovative Angebote schaffen und das Gemeinschaftsgefühl in den Mittelpunkt rücken, kann das Kino an neuer Relevanz gewinnen. Die große Leinwand mag in letzter Zeit an Glanz verloren haben, doch ihre Magie ist nicht verschwunden – sie wartet nur darauf, wiederentdeckt zu werden.
Text: Nils Süchting, Titelbild: Pavel Danilyuk, Foto: Pavel Danilyuk, Cottonbro, Grafiken: Nils Süchting nach FFA
Alle im Artikel genannten Daten und Zahlen basieren auf Marktforschungsstudien der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) Filmförderungsanstalt (FFA), die das Zuschauerverhalten und die Entwicklung der deutschen Kinolandschaft jährlich untersuchen. Diese sind für jeden öffentlich einsehbar.
