Aktivisten in großer Gefahr

von | 1. November 2011

China ist das gefährlichste Land für Blogger. In keinem anderen Staat sitzen so viele Internetaktivisten im Gefängnis. Das schreckt viele Menschen ab, sich im Netz frei zu äußern.

China ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land. Mit 420 Millionen im World Wide Web aktiven Menschen ist es auch das Land mit den meisten Internetnutzern. „Bloggen ist sehr beliebt in China, viele Menschen haben Blogs und berichten darin über ihr tägliches Leben“, erklärt der chinesische Blogger Peter Wang. Er betreibt den Blog „China Whisper“, in dem er sich – wie in China üblich – mit einer großen Bandbreite unterschiedlichster Themen beschäftigt. So schreibt Wang über Demonstrationen gegen korrupte Bankmanager und über Fahrradausflüge amerikanischer Botschafter.

Nach Angaben des „China Internet Network Information Center“ betreiben 231 Millionen Chinesen einen Blog. „Das Internet bietet die Möglichkeit, sich direkt zu äußern und auszutauschen und auch so etwas wie einen ‚Bürgerjournalismus‘ zu entwickeln“, erklärt Anja Viohl von „Reporter ohne Grenzen“. Allerdings beschäftige sich nur eine geringe Zahl von Bloggern mit sozialkritischen oder politischen Themen. „Journalisten schreiben oft in ihren Blogs, was sie nicht in den offiziellen Medien veröffentlichen können“, sagt auch Maja Linnemann, Redakteurin der Kulturaustausch-Plattform „Deutsch-Chinesisches Kulturnetz“ in Peking. „Die User wissen, dass sie dort Informationen und Positionen finden, die sie in offiziellen Medien nicht finden können.“ Dabei gehen die Blogger ein hohes Risiko ein. In China ist „die Verbreitung von Nachrichten und Informationen, die der Staatssicherheit und dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen explizit“ verboten.

Hundert Angestellte zur rund-um-die-Uhr-Überwachung

„Blogger können alles sagen, was sie wollen, so lange es nicht gegen das Gesetz verstößt“, glaubt Wang. In der Theorie mag das stimmen, doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit. China besitzt weltweit das fortschrittlichste System der Internetzensur. „Die ‚Great Firewall‘ kombiniert das URL-Filtern mit der Zensur nach Stichworten, die vom Regime als ’sensibel‘ betrachtet werden“, erklärt Anja Viohl von „Reporter ohne Grenzen“. Zu den sogenannten sensiblen Begriffen gehören unter anderem „Dalai Lama“, „Menschenrechte“ oder „Tiananmen„, was für die brutale Beendigung des Volksaufstandes auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ steht. Websites wie „Twitter“ sind bereits komplett gesperrt worden. An ihre Stelle treten chinesische Ersatzangebote wie der Micro-Blogging-Dienst „Weibo“, der laut Forbes Asia mindestens 100 Angestellte dafür verwendet, gepostete Inhalte rund um die Uhr zu überwachen. Seit August 2010 muss jeder chinesische Micro-Blogging-Dienst einen Beauftragten für „Selbstdisziplin“ benennen.

Eine Meinung haben ist kein Kavaliersdelikt

„So weit ich weiß, gibt es keine Strafen für Blogger, aber dein Blog wird gesperrt, wenn der Inhalt als unangemessen angesehen wird“, sagt Peter Wang über die Maßnahmen seiner Regierung. Dirk Pleiter von „Amnesty International“ stellt dagegen klar: „Blogger laufen sogar Gefahr, wegen ihrer Meinungsäußerung via Blogs oder Micro-Blogs inhaftiert zu werden.“ Die Organisation macht schon lange auf die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Reich der Mitte aufmerksam. Meinungen sind ortsunabhängig – Blogger aber nicht. Viele werden unter Hausarrest gestellt, inhaftiert oder in Arbeitslager gebracht. Andere „verschwinden“ ganz einfach, so wie der chinesische Anwalt Jiang Tianyong im Februar 2011, der erst nach zwei Monaten wieder auftauchte. Im selben Monat wurden 135 weitere Aktivisten festgenommen. In den meisten Fällen gab es nicht einmal eine Anklage. Auch kranke Menschen macht das Regime zu seinen Gefangenen. Erst im Dezember 2010 starb der Blogger Zhang Jianhong nachdem er krankheitsbedingt freigelassen wurde. Während seiner dreijähriger Haftstrafe wurde er jedoch nie behandelt.

Nach Informationen von „Reporter ohne Grenzen“ befinden sich derzeit 70 Blogger in chinesischen Gefängnissen. „Die Behörden nutzen aber auch andere Mittel zur Einschüchterung, wie eine ständige Überwachung durch die Polizei, den Entzug der Bürgerrechte oder Druck auf die Familien oder den Vermieter“, erklärt Viohl. Schon die Androhung solcher Strafen führt oft zu Selbstzensur. „Das bedeutet, kritische Themen werden erst gar nicht aufgegriffen.“

Blogger erfüllen wichtige gesellschaftliche Aufgaben

Trotz der Zensurmaßnahmen hat die rasante Zunahme der Internetanschlüsse dazu geführt, dass heute wesentlich mehr Menschen Zugang zu unabhängigen Informationen haben als früher. Auch wenn auf systemkritisches Bloggen in China hohe Strafen stehen – Blogger können vieles verbessern. Der Meinung ist auch Anja Viohl: „Bloggen kann dazu beitragen, Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen. Erst wenn auf diese Weise Missstände öffentlich gemacht werden, können sich Bürger mit Demonstrationen dagegen wehren. Zudem können Blogger mit ihren Berichten und Beiträgen einen gewissen Druck auf konventionelle Medien ausüben.“

Regierung zittert auch ohne chinesischen Frühling

Seit den arabischen Revolutionen hat sich die Lage allerdings verschärft. „Seit Februar 2011 müssen wir eine deutliche Zunahme der Repressionen feststellen“, erklärt Dirk Pleiter von „Amnesty International“. Anja Viohl von „Reporter ohne Grenzen“ bestätigt das: „Die Regierung in China ist nervöser als jemals zuvor. Mit Maßnahmen wie der Störung und Sperrung von Webseiten versuchen die Behörden Online-Diskussionen über die Unruhen und Umbrüche in der arabischen Welt zu verhindern. Mittlerweile gehören auch ‚Jasmin-Revolution‘, ‚Tunesien‘ und ‚Ägypten‘ zu den zensierten Begriffen.“

Der Widerspruch zwischen den Beanstandungen internationaler Organisationen und der Meinung chinesischer Durchschnitts-Blogger wie Peter Wang zeigen vor allem eines: Viele Chinesen wissen nichts von den Ausmaßen der menschenverachtenden Methoden ihrer Regierung. Oder sie wollen es nicht wissen und trauen sich nicht, darüber zu reden.

<h3>Jörg Lehmann</h3>

Jörg Lehmann