Kommentar

Kannst DU bitte den Klimawandel stoppen?

von | 12. Januar 2024

Wie Öl-Propaganda uns reingelegt hat und was wir wirklich tun können.

Welche Rolle spielt Eigenverantwortung zur Bekämpfung des Klimawandels? Zwei Autor*innen, zwei Meinungen – dieser Kommentar ist Teil einer Pro-Kontra-Diskussion. Zu seinem Gegenstück „Auch du bist mitverantwortlich“ von Ingmar Heide kommst du hier!

Unser Planet ist in Gefahr und nur wir können ihn retten. Dieses Narrativ dürfte jedem, der das hier liest, klar sein. Die Menschheit ist so reich und mächtig wie noch nie und trotzdem tun wir nichts gegen die Krise, die uns alle vernichten wird. Wir müssen alle anpacken, um dieses Problem zu lösen. Warum kaufst du dir kein neues Elektroauto und tauschst deinen Gasherd gegen einen Elektroherd aus? Wie wäre es, deine Fenster doppelt zu verglasen und kein Fleisch mehr zu essen? Bonuspunkte gibt es, wenn du beim Kampf gegen das Klima noch ein neues, klimafreundliches Produkt kaufst, um so die Welt zu verbessern. Liegt dir denn unser Planet nicht am Herzen?

Die Message, dass wir alle für den Klimawandel verantwortlich sind, ist seit fast zwei Jahrzehnten im Mainstream angekommen. Von Umweltschutzorganisationen über Politiker, bis hin zu unseren ach so lieben Großkonzernen. Alle sind sich einig. Jeder muss seinen kleinen Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise leisten. Unser täglicher Konsum, Transport und Energiebedarf sind der Grund, dass sich die Erde weiter erwärmt.

Warum es sich im öffentlichen Diskurs aber so viel um die individuelle Eigenverantwortung dreht, hat viele Gründe. Zum Einen werden oft nur wenige Schlüsselaspekte, wie Autofahren, Flugreisen und rülpsende Kühe betrachtet. Das wahre Ausmaß von CO2-Emissionen ist den meisten Menschen allerdings gar nicht bewusst. Zudem ist es bei großen Unternehmen Tradition, ihre eigene Verantwortung auf die Bevölkerung abzuwälzen und so von den eigenen Schandtaten abzulenken. Eine fiese Taktik, die schon seit den Siebzigern bei verschiedenen Problemen, wie zum Beispiel der Abfallentsorgung angewandt wurde. Die Keep America Beautiful” Kampagne war damals ein Propagandamittel der größten US-Firmen, um die Menschen für die Verschmutzung der Städte mit Müll verantwortlich zu machen, während die Großkonzerne gerade mit der Produktion von Plastikflaschen und Tüten begannen. 

Der milliardenschwere Ölkonzern BP war 2005 der erste, der das Konzept vom individuellen CO2-Fußabdruck populär machte. Seitdem bewerben sie mit Millionenbeträgen kontinuierlich das Narrativ, dass wir alle unsere persönlichen Emissionen zurückfahren müssen – nur so könnten wir den Planeten retten. Nun sind auch viele andere Unternehmen und auch politische Parteien auf diesen Zug aufgesprungen. Warum auch nicht, es funktioniert ja prächtig.

Außerdem ist die Klimakrise eine existentielle Bedrohung und somit ein sehr emotionales Thema. Viele, gerade junge Menschen leiden an Klimaangst. Im Internet findet man zuhauf gut geklickte Ratgeber, mit denen wir das Klima retten und unseren eigenen Beitrag leisten können. Es hat natürlich auch etwas Heroisches und gibt vielen Menschen eine Aufgabe und ein Ziel, was höher ist als sie selbst. Betrachtet man allerdings die Realität des Klimawandels, fällt auf, dass individuelle Bemühungen zur CO2-Einsparung so gut wie nichtig sind und am eigentlichen Problem vorbei steuern.

Emissionen oder Sterben?

Viele Klimaaktivisten sprechen davon, dass wir unsere Wirtschaft und unseren Konsum zurückfahren müssen. Der sogenannte „Degrowth“. Sie sind der Meinung, dass wir nur durch Verzicht und wirtschaftliche Schrumpfung den Klimawandel stoppen können. Dieser einfache Gedanke ist allerdings in der Praxis nicht nur unmöglich, sondern meiner Meinung nach unethisch.

Denn Degrowth setzt zuallererst Wohlstand voraus. Das Problem ist allerdings, dass 63 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen stammen. Dort leben die Menschen nicht im Luxus, sondern versuchen tagtäglich der Armut zu entgehen. Bestenfalls können sie ein einigermaßen komfortables Leben erreichen. Die Realität ist nun mal, dass für den Schritt aus der Armut, CO2-Emissionen notwendig sind. Man braucht günstige Energie, mehr Wohnraum, Infrastruktur und natürlich eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung. In großen Teilen des globalen Südens startet diese Entwicklung gerade erst. In Afrika beginnt zum Beispiel der erste Kohleboom. Für die nächsten Jahre sind dort 25 neue Kohlekraftwerke geplant oder schon im Bau. Außerdem wird prognostiziert, dass die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahren zehn Milliarden Menschen erreicht. Fakt ist, dass der globale Bedarf für Nahrung, Energie und Wohnraum in naher Zukunft weiter steigen wird. Und somit auch die CO2-Emissionen.

Auch Klimaschutz hat seinen Preis

Dazu kommt, dass Klimaschutz teuer ist. Neue Technologien wie zum Beispiel Carbon Capture brauchen extrem viel Geld. Morten Freidel, Politikjournalist, erklärt im Interview mit 3sat.de: „Eine wachsende Wirtschaft ist für den Klimaschutz unerlässlich, denn Klimaschutz kostet nun mal Geld.“ Das Wirtschaftswachstum zu beschränken, ist also der falsche Weg. Außerdem ist auch klar erkennbar, dass die reichsten Länder auch am weitesten in Sachen Klimaschutz sind. Er fügte hinzu: „Deutschland hat nur die Möglichkeit, anderen als Vorbild zu dienen. Wir sind kein Vorbild für die Welt, wenn wir alle in selbst geflickten Kleidern Fahrradfahren und arm sind. Dann sind wir vielleicht klimaneutral, aber das wird niemand nachmachen wollen.“ Für teuren Ökostrom, neue Heizungsanlagen und den Ausbau von Solaranlagen braucht man Geld. Dazu kommt, dass Deutschland nur ca. zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen ausmacht. Selbst wenn wir von heute auf morgen unsere komplette Wirtschaft abschalten, haben wir zwar massive soziale Krisen und trotzdem ist unserem Planeten nicht geholfen.

Carbon Capture

Carbon Capture ist eine Technologie, die darauf abzielt, Kohlendioxid aus industriellen Prozessen oder Abgasen von Kraftwerken abzuscheiden, bevor es in die Atmosphäre gelangt. Der Zweck dieser Technologie besteht darin, die Menge an anthropogenen Treibhausgasemissionen zu reduzieren und somit einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten.

CO2 sparen, das können wir!

Des Weiteren haben wir sogar gerade ein Experiment im Emissionen sparen hinter uns. In der Corona-Krise ist weltweit der Transport und Konsum zum Stillstand gekommen und hat sich nur noch auf das Allernötigste beschränkt. Es wurde nicht mehr zur Arbeit gefahren, Urlaube und Flugreisen sind größtenteils weggefallen und viele Industriezweige kamen zum Stillstand. Die Auswirkungen des Lockdown dauern heute noch an. Global wurden Schätzungen zufolge 150 Millionen Menschen aus der Armut in den Hunger getrieben, da die Lieferketten eingebrochen sind und sich Lebensmittelpreise vervielfachen. Im Vergleich zu insgesamt sieben Millionen Corona-Todesfällen ist davon auszugehen, dass durch die Auswirkungen des globalen Stillstandes mehr Menschen sterben, als durch Covid-19 selbst. Und was hat das alles gebracht? Sieben Prozent CO2-Einsparung und das zur Hoch-Zeit der Corona-Maßnahmen 2020. Selbst wenn wir es also schaffen, mehr CO2 zu sparen, wird es global kaum etwas ausmachen, um den Klimawandel zu stoppen.

Aber kann ich denn wirklich gar nichts tun?

Diese Botschaft, dass wir alle für den Klimawandel verantwortlich sind, hält sich so stark, weil sie wahr ist. Natürlich könnten wir am schnellsten CO2 sparen, wenn sämtliche reiche Gesellschaften ihren Wohlstand aufgeben und alle anderen diesen Wohlstand niemals erreichen dürften. Doch dafür müsste jeder Mensch das Weltklima, über seine eigene Bequemlichkeit und Reichtum stellen. Von Durchschnittsmenschen zu erwarten, den Klimawandel zu stoppen, kann allein anhand des Ausmaßes des Problems gar nicht funktionieren.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die individuellen CO2-Emissionen einen winzigen Teil des Klimaproblems ausmachen und dass im globalen Bild selbst der ambitionierteste „Sparer“ keinen Unterschied machen kann. Denn selbst wenn du für den Rest deines Lebens kein Gramm CO2 mehr verursachst, sparst du so viel, wie global in einer Sekunde ausgestoßen wird. Zwar ist es natürlich nett, kein Fleisch zu essen oder viel mit dem Rad zu fahren, allerdings ist allein der Fakt, dass wir auf diese Dinge verzichten können, ein Merkmal unseres absoluten Wohlstands. Weiterhin muss jedem klar sein, dass wir nur durch technologischen Fortschritt und globale Zusammenarbeit eine Veränderung herbeiführen können. 

Das Ziel sollte sein, eine Blaupause für ökologischen Wohlstand zu schaffen, der auch für andere Menschen erreichbar ist und zum Nachahmen anregt. Das ist die Aufgabe der Regierung und Industrie. Wir können unseren kleinen Teil beitragen, indem wir wählen gehen und mit unserem eigenen Geldbeutel zukunftsweisende Technologien unterstützen. Die Aussage, dass sich jeder individuell zurücknehmen muss, damit wir die Klimakrise bewältigen, ist jedoch eine kurzsichtige Denkweise, die weder dem Planeten, noch uns Menschen hilft.

Text: David Barsch, Titelbild: David Barsch via Midjourney AI

<h3>David Barsch</h3>

David Barsch

ist 21 Jahre alt und studiert Medienmanagement im 5. Semester an der Hochschule Mittweida.