Irgendwie ist es schon merkwürdig, dass eine große Anzahl deutscher Internetseiten von Konzept und Aufmachung sehr den amerikanischen Vorbildern gleichen. Das können keine Zufälle sein und wer von inspirierten Projekten redet, heuchelt der eigenen Branche. TechCrunch, einer der führenden Blogs über die Startupszene witzelte 2008: „Es scheint, als wäre eine Webanwendung erst dann ein voller Erfolg, wenn es auch einen deutschen Klon von ihr gibt“.
Deutsche Ingenieurskunst ist im Ausland hoch angesehen, gerade in der Autoindustrie und im Maschinenbau werden deutsche Köpfe als führend betrachtet. Dass viele Investoren und Startups in Deutschland Internetinnovation mit „Kopieren und Einfügen“ verstehen, ist daher schon recht peinlich. Noch bedenklicher ist es aber, dass sich im vergangenen Jahrzehnt dies als festes Geschäftsmodell entwickelte.
Das Modell „Diebstahl“ ist an Dreistigkeit nicht zu übertreffen
Der Ablauf ist fast immer identisch. Meist stellt ein pfiffiges Unternehmen aus Übersee seine neuen Ideen ins Netz, verpasst aber eine multilinguale Spracherweiterung – das Angebot bleibt auf Englisch beschränkt. Diese Sprachbarriere wird zum Verhängnis – sobald in Deutschland ein Investor das Angebot als lohnend analysiert, finanziert er ein Entwicklerteam, welches das Konzept identisch umsetzt. Solche Unternehmen bezeichnen sich gerne als Startup-Inkubatoren. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine Gruppe verschiedener Analysten mit Finanzierungsmöglichkeiten, die das Gewinnerfolgsversprechen untersuchen und das Konzept für den deutschen Markt transformieren. Nach etwa halbjähriger Entwicklungszeit steht die Kopie im Netz.
U.S. Webseite | Deutsche Webseite |
YouTube | sevenload, MyVideo |
MySpace | wer-kennt-Wen.de |
Flickr | sevenload |
del.icio.us | Mister Wong |
Yelp | Qype |
Groupon | Heimatpreis |
Geni | verwandt.de |
Last.fm | simfy |
studiVZ | |
Digg | YiGG, Webnews |
Blogger, LiveJournal | blog.de, twoday.net |
Etsy | DaWanda |
CafePress | Spreadshirt |
Slide | imageloop |
Flixster | moviepilot |
bleeper | |
Zynga | Plinga |
Unbeachteter deutscher Markt
Sehr oft ist eine Ursache darin zu sehen, dass der deutsche Markt von den Amerikanern unterschätzt wird. Dabei steht Deutschland lautOECD-Studie mit aktuell 24 Millionen Breitbandbenutzern weltweit auf Rang drei der Internetnutzung. Dies ist ein unverzeihlicher Fehler und wird von vielen Großunternehmen mittlerweile berücksichtigt. So sieht der Google-Produktzyklus fast immer Deutschland als eines der ersten Länder während der ersten Internationalisierungswelle vor. Leider ist auch festzustellen, dass viele ausländische Startups schlichtweg die „Klongefahr“ nicht erkennen – viele Neugründer in Jungunternehmen sind in der Marktanalyse noch zu unerfahren.
Innovation unerwünscht – „chinesische Methode“ bevorzugt
Sicher wäre es eine Unterstellung, der gesamten Internetentwicklung in Deutschland solch ein Vorgehehen nachzusagen. Aber es sind definitiv schwarze Schafe vor allem in der Startup-Szene in Berlin auffindbar. Dort scheinen alle moralischen Bedenken abgelegt zu sein – eine Kopie ist rein wirtschaftlich gesehen für Investoren sicherer und weniger aufwendig als eine eigene Lösung.
Ein großer Teil der finanziellen Ausgaben bei der Entwicklung von Webseiten fließt in Designerteams, sogenannte Userinterface- und Userexperience-Analysten. Diese sehr begehrten Arbeitskräfte entwickeln Konzepte wie interaktiver Aufbau und Navigationswege, überprüfen diese und passen sie immer wieder neu den gegeben Umständen an. Solche Designprozesse brauchen Zeit und die Fachkräfte sind nicht billig. Mit einer Kopie wird dieser Aufwand übersprungen.Konzepte, die in Übersee Erfolg haben, seien in Deutschland wiederholbar – warum erst den finanziellen Aufwand für eigene Kreativität betreiben und Bewährtes nicht einfach übernehmen? Solche Gedankengänge haben in den letzten Jahren zu einer weiteren Verknappung von Investitionskapital für völlig neue Produkte gesorgt. Das Konzept der Adaption findet sich auch in anderen Medienbereichen, wie dem Fernsehen wieder. Allerdings zahlen die Sender für Formate Lizenzgebühren, im Internet geschieht das nur sehr selten nach meist gerichtlicher Auseinandersetzung. Nach einer gescheiterten Klage Facebooks gegen studiVZ einigten sich beide Parteien im vergangenen Jahr außergerichtlich auf eine Zahlung in unbekannter Höhe.
Ist von der Aufmachung fast identisch: MyVideo und Original YouTube.
Das geistige Eigentum nicht ganz ernst genommen
In anderen Branchen zählt das Kopieren von Ideen ohne das Einbringen von eigenen als Wettbewerbsverzerrung und wird hart geahndet. Scheinbar erweist es sich für deutsche Gerichte aber als schwieriger, ein Internetprojekt als Kopie zu identifizieren. In den USA regeln das Softwarepatente (Beispiel Facebook), die auf eine bestimmte Anwendung und Geschäftsmodelle ausgeschrieben werden. Solche Patente sind aber nicht ohne Weiteres global anwendbar und werden von vielen Kritikern als Innovationsbremsen oder unsinnig angesehen.
Großartige Leistungen deutscher Startups
Gerade unter diesen schwierigen Umständen erscheinen deutsche Erfolgsinnovationen in einem ganz anderen Licht. Als gutes Beispiel dienen hier Quitera und Blauarbeit.de, eine Auftragsbörse für Handwerker, basierend auf Bewertungen. Leider können solche positiven Beispiele wenig an der Tatsache ändern, dass immer noch das meiste Kapital in Klone fließt und diese immer öfter von großen Medienkonzernen in Deutschland aufgekauft werden – ein Beweis dafür, dass die „Klonpraktik“ immer noch rentabel ist.
Es wird wohl in Zukunft noch mehr auffallend ähnliche Webseiten in Deutschland geben und damit weiterhin das „chinesische Image“ der deutschen Internetszene bestärken. Diese Entwicklung ist nicht nur moralisch verwerflich, sie behindert auch das Potenzial echter Innovationen.
Weitere Quellen:
Die Vergleichstabelle U.S. Webseite zu deutsche Webseite basiert auf der Tabelle von folgendem Artikel und wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors Gregor Hochmuth aktualisiert und erweitert.
Techcrunch Artikel „Web 2.0 in Germany: Copy/Paste Innovation or more?“
Zur Problematik in deutscher Sprache:
Welt.de „Wie deutsche Internetfirmen ihre US Vorbilder kopieren“