Kommentar: Mitmachkrimi als Vorbild

von | 20. Oktober 2010

Vor 43 Jahren startete das ZDF seine Sendung und erntete dafür zunächst Kritik. Immer noch werden im Monatstakt einem Millionenpublikum neue Schicksale vorgeführt. Alles für die Quote? Erst kürzlich erlangte die Sendung wieder mediale Aufmerksamkeit.

Er prüft Beweismittel, vergleicht Fingerabdrücke, begutachtet eine Patronenhülse. Begleitet wird der 52-jährige Anzugträger dabei von Gänsehaut-Musik. Er macht das nicht zum Spaß – nein, er bekämpft das erfahrungsgemäß nie schlafende Verbrechen. „Jetzt bittet die Kriminalpolizei wieder um Ihre Mithilfe“, sagt eine Stimme und schon fährt die Studiokamera auf ihn zu. Das Intro zur ältesten Reality-Sendung Deutschlands ist soeben vorbei und da steht er, bereit für die Show: Rudi Cerne, der „Mann für Sport und Mord“. Früher stand er als Eiskunstläufer für Holiday on Ice auf Schlittschuhen und heute ist er das Gesicht unter der Schlagzeile „Suche nach Mirco: Topquoten für ‚Aktenzeichen'“.

„Polizei-Notrufzentrale Berlin – 9. Februar 2010, Es ist genau 19:52 Uhr“

Mit dieser Art Einstieg erreicht „Aktenzeichen XY … ungelöst“ konstant über 4 Millionen Zuschauer. Am TV kleben lässt die Zuschauer die Vorstellung, dass es echte Schicksale sind, die sich hinter den gespielten Tathehrgängen verbergen. Die Gesuchten spazieren womöglich genau jetzt durch die Nachbarschaft – ein Krimi zum Mitmachen. Es geht aber auch anders: Denn bei manchem Fall macht sich der Zuschauer keine Gedanken mehr über herumlungernde Bösewichte – sondern ist einfach nur bestürzt: Wie zuletzt beim Fall Mirco, der lange Zeit nicht aus den Medien wegzudenken war. Doch leider ist „Aktenzeichen XY … ungelöst“ kein Allheilmittel – denn Mirco wird bedauerlicherweise immer noch vermisst.

Epochenwechsel: Vor 43 Jahren jagte Eduard Zimmermann erstmals in einer eigenständigen Sendung Straftäter im TV. Mit Zielstrebigkeit erfahndete er seine Serie zu Kultstatus. Der Zuschauer aber, der an jenem Freitag um 20 Uhr einschaltete, hat mit diesem Erfolg sicher nicht gerechnet. Zwar honorierte das Publikum die Sendung mit Marktanteilen bis zu 79 Prozent, aber vor allem in den ersten beiden Jahren mangelte es nicht an Kritik: Das Verbrechen werde zu Unterhaltungszwecken instrumentalisiert, sei laut Heinrich Böll ein „muffiges Grusical für Spießer“.

Kritik ausgestanden

„Gegenwind erhöht den Auftrieb“, so fasste unlängst der erste Redakteur Zimmermanns im Rückblick die Reaktionen zusammen. Und gerade weil die ersten Jahre schwierig waren: Klasse, dass XY auch im fünften Jahrzehnt nicht die Puste ausgeht! Denn trotz der Kritik änderte das ZDF nicht das gesamte Konzept oder tauschte die Sendung aus: Mit Seriosität und guter Recherche überzeugte die Redaktion die einstigen Skeptiker. Denn Fahndungen im TV sind möglich – und das sogar mit Niveau. Zum Marktschreier ist Aktenzeichen XY dabei nicht verkommen. Es beeindruckt, was die Fernsehschaffenden geleistet und über sich ergehen lassen haben: Der erste Moderator Zimmermann, auch als „Gauner Ede“ bekannt, stand sogar auf der Todesliste der RAF. Er ließ sich nicht beeindrucken und machte weiter.

Ein guter Vorsatz darf unterstellt werden: Der Wille, auch im neuen Bestehensjahr die Bemühungen von einer guten Quote zu belohnen: Doch damit sind nicht ausschließlich die Marktanteile gemeint. Denn die bei 42 Prozent liegende Aufklärungsquote der Verbrechen ist als eigentlicher Sinn weit wichtiger.

<h3>Marcel Fröbe</h3>

Marcel Fröbe