Kommentar: Sie sind nicht Lena

von | 8. Juni 2010

Die junge Hannoveranerin Lena Meyer-Landrut eroberte Europas Herzen beim Eurovision Song Contest. Dass hinter dem neuen "Fräulein Wunder" eine gelungene Marketingstrategie steht, ist uninteressant.

Vergangenen Sonntag erlebte die 19-jährige Lena den bisherigen Höhepunkt ihrer noch jungen musikalischen Karriere. Am folgenden Montag erklomm sie den Gipfel der medialen Berichterstattung. Bis 14 Uhr war sie das beherrschende Thema eines jeden Mediums. Nicht einmal der Übergriff der israelischen Armee auf ein Schiff mit Hilfslieferungen für Gaza konnte die überschwängliche Berichterstattung über den Grand-Prix-Sieg stoppen. Wichtiger war in diesen Stunden, wie der Star lebt, wer ihre Freunde sind, wo sie zur Schule ging und wie sie nackt aussieht. Themen, die schon seit Wochen von diversen Medien diskutiert wurden.

So schien es fast wie eine Erlösung, als der nun ehemalige Bundespräsident Horst Köhler gegen 14 Uhr mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück trat. Sämtliche Beiträge mit überschwänglichen Ehrungen für die Hannoveranerin mussten zurück in Kisten gesteckt und für die kommenden Tage aufbewahrt werden. Gegen den noch nie da gewesenen Rücktritt eines Bundespräsidenten war selbst die „Lena-Manie“ machtlos. Für den Rest des Tages hieß es: Schloss Bellevue statt Oslo, Politik statt Musik, Horst statt Lena.

Wir sind Oslo

Gelingt es einem Deutschen unserer Nation nach Zeiten des Völkermordes und der Mauertrennung wieder zu Ruhm und Ehre innerhalb der Weltgemeinschaft zu verhelfen, liegt ein unbeschreibliches Wir-Gefühl in der Luft, mit welchem sich viele identifizieren können. Wir sind Weltmeister, wir sind Oslo, vielleicht sind wir auch Raab, vor allem aber sind wir Lena und nicht Merkel.

Ich bin mir sicher, weder eine Stadt, noch eine andere Person zu sein. Mein Nachbar ist sicherlich nicht Lena und Sie, werte Leser, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht. Hat die deutsche Nation keine Persönlichkeit oder weshalb identifizieren wir uns stets mit großen Errungenschaften, die ein Einzelner oder eine kleine Gruppe geschaffen hat? Haben wir nicht genug Stolz, um einfach wir selbst zu sein? Auf der Bühne in Oslo stand immerhin nur ein Mensch, keine 82 Millionen.

Fräulein ohne Wunder

Viele Medien bezeichneten Lena in den vergangenen Wochen als das neue „Fräulein Wunder“, wiesen immer und immer wieder auf ihren einzigartigen Charakter hin, ließen sich bisweilen auch selbst von ihr veräppeln. Singen jedoch mit einem wirklichen Wunder – beispielsweise mit der Heilung eines Todkranken oder der Rettung von Verschütteten nach einem Erdbeben – gleichzusetzen, ist bizarr. Das einzig Grandiose war die überragende Vermarktung der 19-Jährigen, hinter der die klügsten Köpfe von ARD, ProSieben und Brainpool steckten.

Schon mit dem Namen der „raabschen“ Casting-Show „Unser Star für Oslo“ suggerierten die Strategen, wer das nötige Potenzial haben würde, in Norwegen zu gewinnen. Lenas Grand-Prix-Titel „Satellite“ erschien früh genug, um bis über deutsche Grenzen hinaus getragen zu werden. Verstärkt wurde dies durch ihren ungewöhnlichen Akzent, welcher für genügend Diskussionsstoff in den Nachbarländern sorgte. Kurz vor dem musikalischen Ereignis des Jahres fuhren die Sender ihre finalen Geschütze auf: Prognosen, welche die deutsche Bescheidenheit aufzeigen sollte und in Norwegen werbende Reporter jedes Senders. So ist Lena neben einem schwarzen Kleid, rotem Lippenstift und gutem Gesang auch ein Produkt intelligenter Marktstrategen.

<h3>Bianca Schmidl</h3>

Bianca Schmidl