Kommentar: Tragödien der Neuzeit

von | 27. April 2010

Sie dominieren die Mittagsstunden, das Vorabendprogramm und die Prime-Time: "Dokusoaps" in denen sich drehbuchgemäße Alltagsgeschichten abspielen. Klingt nach Gegensatz – ist es auch.

Seit dieser Woche flimmerte zum ersten Mal das neue Kind der Scripted-Reality-Familie über deutsche Mattscheiben. Die Produktionsfirma NORDDEICH TV hat es „Betrugsfälle“ getauft und weckt somit Erinnerungen an das ältere Schwesterformat „Verdachtsfälle“. Entweder ist es ein kluger Schachzug, um die bereits etablierte Marke abzuwandeln oder es mangelt den Autoren an Kreativität, wenn sie den beiden Sendungen zum Verwechseln ähnliche Namen geben. Der Zuschauer bleibt verdutzt mit der Frage zurück, was dieses Schmierentheater eigentlich soll.

Das Prinzip einer solchen „Doku-Serie“, wie beispielsweise RTL das Format beschreibt, ist weitläufig bekannt: Die handelnden Personen werden vermeintlich nur mit der Kamera begleitet und ihr Leben ist Folge für Folge mit Emotionen und Turbulenzen, vor allem aber mit Elend gespickt. Dass diese Ereignisse die Ergebnisse stundenlanger Grübeleien von Autoren sind, wird immer erst am Ende einer solchen Episode mit den Worten „Die handelnden Personen sind frei erfunden“ bekannt gegeben.

„Betrugsfälle – Neu am Nachmittag“ 

Alles andere als neuartig war die erste Folge der jüngsten Nachmittagssendung. Eine „08/15-Handlung“: Der Geliebte fährt zweigleisig und spürt daraufhin die Rache der Ex-Freundinnen. Nach einer halben Stunde wüster Beschimpfungsarien und hysterischem Geheule hat der Spuk ein Ende.

Worin liegen nun die Unterschiede zwischen beiden Sendungen? Welchen Inhalt soll das zwei Stunden später beginnende Schwesterformat überhaupt präsentieren? Oder hat sich der Sender nur nicht getraut die „ältere Schwester“ zwei Mal am Tag zu zeigen? Fakt ist, dass das um 17 Uhr beginnende, von NORDDEICH TV produzierte, Spektakel glücklicherweise nur eine halbe Stunde läuft und auffallend häufig das Wort „Betrug“ vorkommt.

Dummheit als Patentrezept

Es handelt sich um ein schreckliches Quoten-Erfolgsrezept. Mit jeder Sendeminute sterben gefühlt 100 Gehirnzellen ab. Bei einem RTL-Nachmittags-Marathon macht das einen Verlust von 21.000 Zellen. Werden die Vormittagsvorstellungen dazu addiert, so wundert es nicht, wenn der Intellekt des Rezipienten alsbald auf das Niveau der Sendungen fällt.

Es ist eine Schande, dass unsere Fernsehlandschaft so verkommt und der Dummheit in der Flimmerkiste eine derartige Bedeutung beigemessen wird, anstatt auf intelligente Sendungen zu setzten. Andererseits, wer kann es den Sendern übel nehmen? Die Produktionen sind vergleichsweise günstig und die Quoten gigantisch. Die RTL Group konnte bei diesen Formaten immerhin Einschaltquoten von bis zu 28,3 Prozent bei den 14-49-Jährigen verzeichnen. Bis der moralische Zeigefinger jedoch bei den Sendern erhoben wird, werden noch viele Gehirnzellen den Drehbüchern zum Opfer fallen.

<h3>Bianca Schmidl</h3>

Bianca Schmidl