Der Angehörige

„Dies hat kein Mensch in den letzten Tagen seines Lebens verdient”

von | 2. Juli 2019

Kompetentes Arztpersonal, doch Überforderung in der Pflege? Die Erfahrungen eines Angehörigen.

Allgemeine Schwäche im hohen Alter ist kein seltener Grund, mit dem Patienten zur Versorgung in ein Krankenhaus gebracht werden. Schwierig ist es dabei für die Angehörigen, wenn diese einen stetig schlechter werdenden Zustand von außen beobachten müssen und nun das Vertrauen in die Hände der Pflegekräfte legen. Doch was ist, wenn eben diese Hände nicht richtig arbeiten? Im Zuge der Interviewserie zum deutschen Gesundheitssystem haben sich die medienMITTWEIDA-Redakteure entschieden, einen Angehörigen eines Patienten zu verschiedenen Aspekten eines Krankenhausaufenthaltes zu interviewen. Die Person legt Wert auf die Anonymisierung des Interviews.

Welche Hintergründe hatte die Behandlung Ihres Vaters?

Mein Vater wurde im Oktober 2017 in das ehemalige Kreiskrankenhaus unserer Gemeinde eingeliefert. Das Kreiskrankenhaus wurde bereits vor mehreren Jahren von einem privaten Klinikbetreiber übernommen und betrieben. Grund der Einlieferung war eine allgemeine Schwäche und Schwindelgefühle. Mein Vater war zum Zeitpunkt der Einlieferung 82 Jahre alt. Nach den ersten Untersuchungen wurde bei meinem Vater eine atypische Lungenentzündung diagnostiziert, welche wahrscheinlich durch eine Herzinsuffizienz verursacht wurde.

Wie verlief der Krankenhausaufenthalt Ihres Vaters seit diesem Befund?

Anfangs wurde mein Vater in ein Mehrbettzimmer auf die Station für Innere Medizin verlegt, musste aber nach zwei Tagen wegen der Verschlechterung  seines Zustandes auf eine Überwachungsstation in ein Dreibettzimmer und später auf ein Isolierzimmer dieser Station verlegt werden. Insgesamt war mein Vater 14 Tage im Krankenhaus. Sein Zustand verschlechterte sich in dieser Zeit kontinuierlich, bis er schließlich im Krankenhaus verstarb.

 

Welche Auffälligkeiten ergaben sich bei der medizinischen Behandlung Ihres Vaters?

Bezüglich der medizinischen Versorgung habe ich am ersten Wochenende auf der Überwachungsstation folgende negative Erfahrung gemacht: Der für das erste Wochenende zuständige Arzt machte auf mich einen sehr jungen Eindruck, zuerst dachte ich es wäre ein Pfleger in Ausbildung. Nachdem er sich als zuständiger Arzt vorgestellt hatte, konnte er uns den aktuellen Zustand meines Vaters nicht verständlich erklären. Meines Erachtens lag dies an der anscheinend schlechten Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten. Hinzu kamen noch die schlechten Deutschkenntnisse des Arztes. Erst als wir am Montag nach diesem Wochenende mit der leitenden Stationsschwester reden konnten, erhielten wir eine für uns verständliche Auskunft.

 

Gab es weitere Ungereimtheiten?

Die weiteren Kontakte zum medizinischen Personal verliefen zu unserer Zufriedenheit. Wir hatten immer den Eindruck, dass die medizinische Behandlung kompetent durchgeführt wurde. Auch war, bis auf den oben beschriebenen Fall, die behandelnde Fachärztin immer für uns ansprechbar und machte einen kompetenten Eindruck.

 

Wie gestaltete sich die pflegerische Behandlung Ihres Vaters? 

Die pflegerische Betreuung meines Vaters empfand ich als sehr problematisch. Meine Familie und ich hatten jederzeit Zugang zu meinem Vater, weshalb wir ihn täglich besuchen und uns einen genauen Eindruck über dessen Versorgung machen konnten. Erwähnenswert ist auch, dass meine Frau examinierte Krankenschwester ist und lange im ambulanten Pflegedienst gearbeitet hat. In pflegerischer Hinsicht gewannen wir schnell den Eindruck, dass das Personal permanent überfordert war.

Wir stellten eine große Überlastung des Pflegepersonals im Krankenhaus fest. Mit ein Grund für die Überlastung war unserem Empfinden nach die dünne Personalstärke auf der Überwachungsstation, in der mein Vater behandelt wurde. Die Station bestand aus meiner Erinnerung heraus aus vier Überwachungszimmern mit je drei Belegbetten und zwei Isolierzimmern. Bei unseren Besuchen wurden die Station von maximal drei examinierten Pflegekräften und ein bis zwei Pflegern betreut. Die Zimmer waren über den gesamten Zeitraum gut belegt.

Gab es weitere Problematiken in der pflegerischen Behandlung Ihres Vaters?

Mein Vater war durch seinen schlechten Zustand auf eine regelmäßige Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr angewiesen. Nach einigen Tagen auf der Überwachungsstation stellten wir fest, dass das Essen meines Vaters regelmäßig nach einer gewissen Zeit wieder abgeräumt wurde, ohne dass er etwas davon zu sich genommen hatte. Daraus erfolgten aber seitens des Personals keinerlei Konsequenzen. Hätten wir hier nicht interveniert, wäre dies auch so weitergegangen.

Erst auf unsere Nachfrage bei der Stationsleitung wurde hier in der Form eingegriffen, dass mein Vater eine spezielle Ernährung erhielt, die er dann wegen seiner Kraftlosigkeit und Schluckbeschwerden besser zu sich nehmen konnte. Da er mittlerweile jedoch so geschwächt war, konnte er sein Essen nur noch mit Hilfe zu sich nehmen. Dies wurde vom Personal aber ignoriert, sodass wir meinen Vater bei unseren Besuchen mit mitgebrachtem Essen oder mit noch nicht weg geräumten Krankenhausessen füttern mussten. Auch die körperliche Pflege und die Wundversorgung meines Vaters wurde vom Pflegepersonal vernachlässigt. Hier griff meine Frau ein. Des Weiteren fanden wir meinen Vater bei unserem Eintreffen mehrmals mit lose im Mund liegender Zahnprothese vor.

Wie nahmen Sie die hygienischen Bedingungen im Krankenhaus wahr?

Während der Behandlung im Isolierzimmer mussten wir feststellen, dass die Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung von Krankenhauskeimen nicht konsequent eingehalten wurden. Vor und nach der Behandlung meines Vaters kam es mehrmals vor, dass sich das Pflege- und auch das medizinische Personal die Hände nicht desinfizierten. Auch nutzte das Reinigungspersonal für die Reinigung des Isolierzimmers keine eigenen Putzlappen, sondern wischte alle Zimmer der Station mit einem Putzlappen durch. Hier verwundert es einen nicht, dass die multiresistente Keime zu einem immer größeren Problem werden.

MRE-Keime

Als MRE-Keime werden Erreger bezeichnet, die Resistenzen gegen Antibiotika aufweisen, wodurch mehrere Antibiotika keine Wirkung mehr zeigen. Bekannt ist, dass multiresistente Keime häufig in Krankenhäusern und Pflegeheimen vorkommen.

War dieses Negativerlebnis in Ihrer Familie ein Einzelfall?

Unsere Erfahrung war leider kein Einzelfall. Meine Mutter wurde wegen eines Darmverschlusses im selben Krankenhaus eingeliefert, notoperiert und anschließend eine Woche stationär behandelt.

Der Aufenthalt fand während einer Hitzeperiode mit Temperaturen über 30 Grad Celsius statt. Aus hygienischen Gründen sind die Patientenzimmer nicht klimatisiert, was zu einer sehr starken Hitzebelastung der Patienten führte. Auch hier mussten wir feststellen, dass das Pflegepersonal auf Grund dieser Situation überlastet war. Dies zeigte sich zum Beispiel daran, dass das Personal nicht auf die Flüssigkeitsaufnahme achtete. Das Essen wurde nicht den Temperaturen entsprechend von den Ärzten auf leichtere Kost umgestellt, was zu mangelnder Nahrungsaufnahme führte.

Was ist Ihr Fazit nach den Erfahrungen während des Krankenhausaufenthaltes Ihres Vaters?

Zusammenfassend frage ich mich, wie es meinem Vater ergangen wäre, hätten wir nicht wegen der räumlichen Nähe die Möglichkeit gehabt, uns in kurzen Zeitabständen um Ihn kümmern zu können. Ich befürchte, dass Patienten ohne diesen familiären Hintergrund  in pflegerischer Hinsicht eine grenzwertige, um nicht zu sagen unwürdige Behandlung erfahren. Dies hat kein Mensch in den letzten Tagen seines Lebens verdient.

Text: Philipp Funccius, Anton Baranenko; Titelbild: Anton Baranenko

<h3>Anton Baranenko</h3>

Anton Baranenko

ist 22 Jahre alt, studiert Medienmanagement und liebt es, etwas tiefer in spannende Themen einzutauchen und zu recherchieren. Durch seine Leidenschaft zur Fotografie unterstützt er dazu die Bildredaktion von medienMITTWEIDA.