Lovemobil

Es war einmal ein Lovemobil

von | 28. Mai 2021

Wie Regisseurin Elke Lehrenkrauss die Welt täuschte und wieso das nicht nur auf eine Art verwerflich ist. Ein Kommentar.

Menschen lieben Drama und Menschen lieben persönliche Abgründe. Das scheint auch die Regisseurin Elke Lehrenkrauss nur zu gut zu wissen. Mit ihrem Dokumentarfilm „Lovemobil“ schreibt die 42-Jährige deutsche Dokumentarfilm-Geschichte. Die Story so düster, wie anziehend. Prostitution, Mord, Drama – Stoff aus dem Hollywoodfilme gemacht sind. Der 90-Minüter zeigt die Geschichte von zwei Sexarbeiterinnen aus Bulgarien und Nigeria die sich am Rande niedersächsischer Bundesstraßen prostituieren. Ausgeschrieben als Dokumentarfilm avanciert er zum großen Erfolg, wird auf zahlreichen Festivals gezeigt und räumt bedeutende Preise ab, wie den Deutschen Dokumentarfilmpreis. Es könnte alles so schön sein. Wären die eindrucksvollen Momentaufnahmen genau das: Momentaufnahmen. Stattdessen handelt es sich um inszenierte Szenen mit Schauspielern und Bekannten der Regisseurin. In den deutschen Medien entflammt daraufhin eine hitzige Debatte über die Schuld von Lehrenkrauss an dem Debakel. Die einen sehen sie ganz klar als Hauptschuldige, andere ziehen den NDR, als ausführendes Medium, in die Verantwortung. Aber ist nicht derjenige der Mörder, der die Waffe abfeuert und nicht der, der sie verkauft?

Dieser Text ist Teil einer Reihe von Beiträgen zum Thema „Lovemobil“, im Rahmen eines Hintergrundberichtes und eines Kommentars. 

Ab in Teufels Küche

Bekanntlich soll man das Pferd ja nicht von hinten aufzäumen, also ganz von vorne. Nachdem das Team von STRG_F den Betrug aufdeckt, stellt sich Lehrenkrauss einem Interview mit dem Filmmagazin artechock. Darin gibt sie zu, Szenen inszeniert, inhaltliche Elemente wie den Mord an einer Prostituierten erfunden und Darsteller involviert zu haben. Das alles diene dem Zweck „eine viel authentischere Realität zu schaffen“, wie Lehrenkrauss gegenüber den Reportern von STRG_F erklärt. »Im Film ist nichts ausgedacht, was es so nicht gibt. Wir haben es nur mit Darstellerinnen nacherzählt.« Als Fehler bezeichnete sie in der SWR Mitteilung, dass sie den Film nicht entsprechend gekennzeichnet hat.

Und genau das ist die Krux im Falle Lovemobil, die Lehrenkrauss geradewegs in Teufels Küche katapultiert hat. Eine Kennzeichnung als hybride Form wäre schließlich durchaus machbar gewesen und hätte den riesen Skandal verhindert können. Lehrenkrauss zufolge wäre eine hybride Form allerdings nicht von ihrem Financé, dem NDR, abgenommen worden. „Ich weiß, dass Mischformen nicht so gerne gesehen werden“, erklärt sie im Interview mit STRG_F. Der verantwortliche NDR Redakteur Timo Großpietsch nimmt diesem Argument allerdings den Wind aus den Segeln. Gegenüber Kulturjournal versichert er, dass es kein Problem gewesen wäre, den Film etwa als Grenzgänger zu kennzeichnen. Lehrenkrauss hat in diesem Fall einen Fehler begangen, den viele Menschen kennen dürften: man fragt gar nicht erst, um nicht Gefahr zu laufen eine Absage zu erhalten. Aber rechtfertigt das ihr Verhalten? Keinesfalls, denn diese Entscheidung war ebenso folgenschwer wie falsch. 

Wurde doch mehr als eine Partei dadurch im besten Falle enttäuscht, im schlimmsten Falle geschädigt. Zuallererst der NDR, der als Geldgeber Lehrenkrauss einen immensen Vertrauensvorschuss gewährte und der sich von ihrem authentisch wirkenden Drehmaterial hat begeistern lassen. Mit dem Resultat nun einen gefälschten Dokumentarfilm ausgestrahlt und unterstützt zu haben. Von dem finanziellen Schaden mal abgesehen, dürfte das Image des Senders erheblich unter dem Skandal gelitten haben. Dirk Neuhoff, Leiter für Dokumentation und Reportage des NDR, erläutert in einer offiziellen Stellungnahme gegenüber Kulturjournal das Empfinden des Senders. „Wir fühlen uns getäuscht von Elke Lehrenkrauss, weil sie nie dem Eindruck entgegengetreten ist, dass das was wir sehen echt ist.“

Noch einen Schritt weiter

Damit spricht er einen weiteren essentiellen Punkt an. Lehrenkrauss hat nicht nur versäumt den Film korrekt zu kennzeichnen, nein sie ist noch weitergegangen und hat immer wieder betont, wie realistisch die von ihr gedrehten Szenen doch seien. So gab der NDR bekannt, dass Großpietsch gefragt habe, wieso sich die Freier einfach so filmen ließen. Darauf habe Lehrenkrauss ihm versichert, dass es Männer gäbe, die nicht mal ein Problem hätten, sich beim Sex filmen zu lassen, sie diese Szenen aber bewusst nicht reingeschnitten hätte. Etwas verschweigen ist die eine Sache, zu lügen aber noch mal eine ganz andere. Und genau das hat Lehrenkrauss getan.

Sie hat den NDR belogen, einige Darsteller, ihre Zuschauer, die Medien, die ganze Welt. Und möglicherweise hat sie sich auch selbst belogen, um ihre eigenen Fehler zu rechtfertigen. Es hätte mehrere Wege gegeben, richtig zu handeln, vielleicht wäre es nicht so einfach gewesen, diese zu gehen, aber es wäre das Richtige gewesen. Die Frage ist nur, ob sich eine Hybride Form genauso gut verkauft hätte, wie die gespielte Realität. Schließlich hat ein authentischer Film über Prostitution genau das, was uns Menschen bewegt und die Film-Jurys in Scharen vor Begeisterung umfallen lässt. Das weiß auch der preisgekrönte Dokumentarfilmer Stephan Lamby. Er sieht in Lovemobil exakt „das Beuteschema von Filmpreis-Jurys erfüllt“.

War das die Intention von Lehrenkrauss? Wollte sie mit diesem Film den ganzen großen Coup in ihrer noch jungen Karriere landen? Sie selbst streitet das vehement ab. Im Interview mit artechock erklärt die Regisseurin, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht habe, weil sie nicht damit gerechnet habe, dass „dieser Film jemals etwas wird.“ Eine weitere Ausrede im Lügennetz der Elke Lehrenkrauss. Egal ob erfolgreich oder nicht, Authentizität ist der Kern eines jeden Dokumentarfilmes. Wer diese nicht gewährleistet bricht das Vertrauen seiner Zuschauer und genau das ist hier passiert. Lehrenkrauss hat jeden hintergangen, der diesen Film geschaut und sich gefragt hat, wie man ein solches Thema so nahe abbilden kann. 

Eine besondere Form des Verrats

Und letztendlich hat sie neben dem NDR, den Zuschauern und den Jurys noch eine Personengruppe getäuscht: die Darsteller. Die wussten, nach eigenen Angaben, zum Teil überhaupt nicht, dass sie in der späteren Dokumentation nicht als Schauspieler gekennzeichnet werden. So wurde Hausmeister Heiko plötzlich zum Zuhälter und sein Kumpel Hermann zum Freier Widerwillen. Heiko fühlt sich getäuscht von Lehrenkrauss, zu Recht. Im Interview mit STRG_F sagt er, dass er davon ausgegangen sei, er spiele eine Rolle in einem Spielfilm. Und auch die beiden Hauptprotagonisten Milena und Rita wurden von Darstellerinnen gespielt. Keine von ihnen hat je in einem der Lovemobils gearbeitet. Lehrenkrauss gibt dies auch öffentlich zu.  (Anmerkung: Das Video wurde mittlerweile vom NDR gelöscht) Und auch bei den angeblichen Freiern handelt es sich um Darsteller und Bekannte der Regisseurin. Die einzige echte Protagonistin Ira, wird von Großpietsch herausgestrichen, das letzte Stück Authentizität, per Mausklick gelöscht. Lehrenkrauss schweigt auch diesmal. Es ist eine besondere Form des Verrats die sie an den Darstellern begeht. Wer möchte schon von ganz Fernsehdeutschland als rüpelhafter Zuhälter oder notgeiler Freier wahrgenommen werden, wenn dies nicht der Wirklichkeit entspricht? Niemand.

Eine Mogelpackung und Beleidigung 

Und jetzt mal Butter bei die Fische. Lehrenkrauss macht es sich doch sehr leicht, indem sie behauptet „irgendwann den Absprung nicht mehr geschafft zu haben“. Gerne würde sie ihren Fehler auf eine Verkettung unglücklicher Umstände und Zeitpunkte schieben, den NDR in die Pflicht nehmen. Aber ihre Ausreden und Ausflüchte sind dabei letztendlich genauso halbherzig wie ihre Mogelpackung von Dokumentarfilm. Genau das ist Lovemobil nämlich, eine Mogelpackung und eine Beleidigung für alle Filmemacher, die sich jahrelang in Gebüschen verstecken und im Dreck sitzen, um authentische Bilder einzufangen, anstatt mit ihren Freunden eine perfekt ausgeleuchtete Szene zu drehen.

Text: Anna Koutsidis Bilder: Luzie Carola Rietschel

<h3>Anna Koutsidis</h3>

Anna Koutsidis

ist 21 Jahre alt und studiert derzeit im vierten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chefredakteurin seit dem Sommersemester 2021.