Selbstexperiment

Aang, bist du es?

von | 12. Februar 2021

Stell dir vor, du könntest dich nicht nur an deine Träume erinnern, sondern sie auch selbst steuern.

Gerade liegt Paula* noch im Schlafanzug in ihrem Bett und im nächsten Moment spaziert sie in Jeans und Pullover neben ihrer besten Freundin einen Waldweg entlang. Plötzlich sieht sie, wie riesige Mäuse aus den Gebüschen hervorspringen und auf sie zukommen. Paula schaut ängstlich zu ihrer Freundin hinüber, die jedoch verschwunden ist. Stattdessen läuft ihr Schwarm aus der Parallelklasse an ihrer Seite und meint, sie solle keine Angst haben. Die Situation kommt ihr seltsam vor. Warum sind die Mäuse so groß? Wie kann es sein, dass statt ihrer besten Freundin nun ihr Schwarm bei ihr ist? Da wird ihr klar, dass sie träumt und alles nicht real ist. Sie nimmt die Hand ihres Kameraden, springt ab und fliegt mit ihm davon.

Diese oder ähnliche Szenen können all jene Personen nachts erleben, welche die Fähigkeit des luziden Träumens beherrschen. Luzide beziehungsweise Klarträume sind solche, bei denen sich die Träumenden darüber bewusst sind, dass sie träumen. Sie können die nächtlichen Phantasien beeinflussen und so ihr eigenes Reich erschaffen, in dem sie tun und lassen können, was sie möchten. Luzide Träume können sehr nützlich sein und beispielsweise dabei helfen, Albträume zu bewältigen oder Lösungen für Konflikte im Alltag zu finden. Bereits erlernte Fähigkeiten können außerdem verbessert werden. Daniel Erlacher und Michael Schredl untersuchen in ihrer Studie die Möglichkeit, simple motorische Aufgaben in einem Klartraum zu üben. Daraus geht hervor, dass die Leistung beim Werfen einer 10-Cent-Münze in eine Tasse gesteigert werden konnte.

Laut der Metaanalyse von David. T. Saunders und weiteren Lehrkräften der Psychologie, in der die Forschungsergebnisse der letzten 50 Jahre zusammengefasst wurden, hätten etwa 55 Prozent der Menschen in ihrem Leben wenigstens einen Klartraum. Circa 23 Prozent erlebten dies mindestens einmal pro Monat.

REM-Schlaf

REM steht für Rapid Eye Movement (deutsch: schnelle Augenbewegung, Anm. d. Red.) und bildet die fünfte Phase im Schlafzyklus. Die Augen bewegen sich schnell hin und her, das Gehirn ist besonders aktiv. Blutdruck sowie Herzfrequenz steigen und die Schlafenden atmen schnell und flach. Die Phasen des REM-Schlafs werden im Verlauf der Nacht immer länger. Luzide Träume sind in dieser Zeit besonders wahrscheinlich.

Wie funktioniert luzides Träumen und wie schwer oder leicht ist es, das zu erlernen? In einem Selbstexperiment stelle ich mich der Herausforderung, innerhalb von zwei Wochen durch bestimmte Techniken einen Klartraum zu erleben. Es gibt viele verschiedene Methoden für das luzide Träumen. Ich suche mir vier heraus, von denen ich immer wieder gelesen habe und die für mich auf Dauer gut umsetzbar sind. Aber wird das auch funktionieren?

Regel Nummer eins

Ein geregelter und erholsamer Schlaf ist natürlich nicht zu unterschätzen. Da für mich drei Streaming-Tage pro Woche zum Programm gehören, passe ich meinen Schlafrhythmus dementsprechend an. Ich schalte jeden Tag null Uhr alle technischen Geräte aus und um eins ist Schlafenszeit angesagt. Digitale Medien beeinflussen den Schlafrhythmus, daher verzichte ich vor dem Zubettgehen darauf. Um sechs klingelt dann mein erster Wecker und zwischen neun und zehn Uhr stehe ich auf, um den Tag zu beginnen. Diesen Ablauf einzuhalten, fällt mir durch mein Studium teilweise schwer. Zum einen funkt mir die Acht-Uhr-Vorlesung mittwochs dazwischen und zum anderen gibt es Abende, an denen einfach noch zu viel zu tun ist, um rechtzeitig den Laptop herunterzufahren und schlafen zu gehen. Ich versuche, mich so gut wie möglich an meinen Zeitplan zu halten beziehungsweise entsprechende Anpassungen vorzunehmen.

Liebes Tagebuch

Ein Traumtagebuch soll das Traumgedächtnis schulen. Das Notizbuch liegt direkt neben meinem Bett, damit ich noch vor dem Aufstehen meine Träume niederschreiben kann. Dabei beschreibe ich möglichst detailliert, was ich erlebt, gesehen und gefühlt habe – besonders die Dinge, die für die Realität ungewöhnlich waren.

Ein Tipp, den ich gern schon gekannt hätte

Mit einer kleinen Übung kann man die Wahrscheinlichkeit, dass man in zukünftigen Träumen den Traumzustand bemerkt, erhöhen. Man liest sich die Seiten des Tagebuchs noch einmal durch und notiert auf einer Liste alle Anzeichen, an denen man hätte erkennen können, dass es sich um einen Traum handelt. Das können beispielsweise Personen sein, die einem im Wachzustand nicht begegnen würden oder die Fähigkeit, unter Wasser atmen zu können. Sie lassen sich nach Stephen LaBerge in vier Kategorien unterteilen: innere Vorgänge, Aktionen, Formen und Kontext. Tauchen diese Traumzeichen später erneut auf, erkennt man diese möglicherweise wieder, weil sie sich bereits in das Gedächtnis eingebrannt haben.

Ich grüble zwar stets beim Schreiben darüber, warum ich bei einigen seltsamen Situationen nicht bemerkt habe, dass sie nicht real waren, eine Liste lege ich allerdings nicht an.

Bereits vor meinem Experiment führte ich zeitweise ein Traumtagebuch, um mich besser an meine nächtlichen Phantasien erinnern zu können. Das erwies sich als hervorragende Voraussetzung, da ich mein Traumgedächtnis nun schnell wieder ausweiten kann. Ich bemerke beim Protokollieren meiner Traumerinnerungen, dass ich während der zwei Wochen oft Ereignisse, die sich am vorherigen Tag abgespielt haben, im Traum noch einmal durchlebe. Beispielsweise schaue ich täglich mindestens eine Folge der Serie Avatar – Der Herr der Elemente. Dementsprechend ist diese häufig das Thema meiner Träume.

Träume ich?

Realitätsprüfungen – auch Reality-Checks genannt – helfen den Träumenden zu erkennen, ob sie sich im Wach- oder im Traumzustand befinden. Grund dafür ist, dass im Traum die physikalischen Gesetze nicht gelten. Halte ich mir beispielsweise im Traum die Nase zu, kann ich dennoch durch diese atmen. Die Übung wird im Alltag mehrfach durchgeführt – stets mit der Frage danach, ob ich gerade träume. Da ich im Traum die Geschehnisse aus meinem Alltag verarbeite, wird die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir diese Frage dann auch stelle und den Test durchführe, erhöht.

Den Reality-Check zur Gewohnheit zu machen, fällt mir recht schwer. Ich lasse mich von meinem Handy-Wecker alle 30 Minuten daran erinnern. Diesen stelle ich jedoch beispielsweise bei Meetings ab, um meine Mitmenschen nicht mit einem plötzlichen Klingeln zu stören. Danach vergesse ich hin und wieder, den Alarm einzuschalten. Daher gelingt es mir während des Experiments nicht, mir die Übung so anzutrainieren, dass ich sie im Traum durchführe.

Schlafen – Aufwachen – Schlafen – Aufstehen

Bei der Wake-Back-To-Bed-Methode (WBTB) erwacht die Person in den Morgenstunden, bleibt eine bestimmte Zeit lang wach und geht dann noch einmal schlafen. Mein Wecker klingelt nach etwa vier bis fünf Stunden Schlaf, wenn mein Körper sein Bedürfnis nach Tiefschlaf bereits stillen konnte. Dann schreibe ich in mein Traumtagebuch und lese oder nehme beispielsweise Wäsche ab, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Nach 30 bis 60 Minuten lege ich mich wieder hin und schlafe noch ein paar Stunden. Die Wahrscheinlichkeit, in dieser zweiten Schlafphase einen luziden Traum zu haben, ist durch den längeren REM-Schlaf erhöht.

WBTB wende ich ununterbrochen an. Anfangs bemerke ich, dass ich zwar beim ersten Aufwachen sehr munter und fit bin, beim zweiten allerdings kaum aus dem Bett komme. Das bessert sich glücklicherweise zum Ende hin. Mein Traumgedächtnis ist nach der zweiten Schlafphase tatsächlich meist deutlich ausgeprägter als nach der ersten. Lediglich meine Motivation, in müdem Zustand mehrere Seiten zu schreiben, lässt einige Male zu wünschen übrig. Dennoch bleibe ich dran.

Ich werde luzid träumen!

Mnemonic Induction of Lucid Dream – die MILD-Methode findet in Kombination mit WBTB statt. Nach der ersten Schlafphase wende ich diese Technik an, um in der zweiten gezielt einen luziden Traum hervorzurufen. Ich schließe die Augen, visualisiere meinen Traum erneut vor meinem geistigen Auge und stelle mir vor, wie ich bemerke, dass ich träume und luzid werde. Ich wiederhole in meinem Kopf die Affirmation „Ich werde das nächste Mal luzid träumen.“

Affirmation

Eine Affirmation ist eine bejahende Aussage. Indem ich den Satz in Gedanken mehrfach wiederhole, programmiere ich mein Gehirn darauf, dass ich einen luziden Traum haben werde.

Damit ich entspannter im Bett liegen und mir diesen Satz einprägen kann, lasse ich bei YouTube eine Meditation laufen. In manchen Nächten starte ich stattdessen ASMR-Videos auf meinem Handy. Diese hat die Redakteurin Kim bereits in einem Beitrag bei medienMITTWEIDA vorgestellt. Auf mich haben sie eine ähnliche Wirkung – nur leider eine etwas zu entspannende. Beide Varianten führen dazu, dass ich sehr schnell einschlafe. Bei dem Versuch, durch eine gezielte Technik bewusst den Einschlafprozess zu erleben, ist das sehr hinderlich. Ich führe also die Meditationen im Sitzen durch und lege mich erst danach hin. Dadurch kann ich noch einmal meine Gedanken sortieren und Ruhe finden, bevor ich in das Land der Träume abtauche.

Einblick in meine nächtliche Routine

Einblick: So verläuft meine Nacht, Video: Lisa Kwahs

Das Pech der Erde erfährst du nach einem Sturz vom Pferde

Durch einen Reitunfall muss ich mein Experiment an Tag neun für eine Nacht pausieren. Ich habe Schmerzen beim Liegen und möchte mich darauf konzentrieren, überhaupt schlafen zu können. Meine Meditationen muss ich daher wieder beenden, da ich auch in den folgenden Tagen nicht schmerzfrei sitzen kann. Wenn ich zu unruhig bin, um einzuschlafen, lausche ich von nun an liegend den ASMR-Videos und versuche währenddessen, meine Affirmation zu wiederholen. Mein Traumgedächtnis erleidet einen kleinen Rückschlag, aber bereits nach zwei Tagen kann ich mich wieder an viele Details erinnern.

Ja, du bist es!

Geschafft! In der 13. Nacht – beziehungsweise der zwölften, wenn man die Nacht nach dem Reitunfall nicht mitzählt – habe ich mein erstes luzides Erlebnis. Wie genau das ausgesehen hat, erzähle ich in meinem Video:

Ich kann meinen Traum selbst steuern, Video: Lisa Kwahs

Ich will noch nicht aufwachen

Meine Hoffnungen, ein weiteres Mal luzid zu träumen, sind groß. Allerdings ist die bereits erwähnte Vorlesung am 14. Tag früh um acht nicht sehr hilfreich bei meinem Vorhaben. Mit dem Kopf bin ich außerdem bei meiner Wohnungssuche und habe daher nicht viel Platz für wilde Fantasien. Dennoch kann ich in der letzten Nacht zumindest noch eine weitere spannende Erfahrung machen. Einen Klartraum habe ich zwar nicht, jedoch erlebe ich den Prozess des Aufwachens ganz bewusst. In der einen Sekunde sitze ich noch in der Küche eines Mannes, bei dem ich einen Termin zur Wohnungsbesichtigung habe, in der nächsten sind die Bilder verschwunden und ich liege mit geschlossenen Augen in meinem Bett. Meine Traumsituation ist ziemlich unangenehm und ich befürchte, dass der Mann keine guten Absichten hat. Ich fühle mich hilflos – gefangen ohne Aussicht auf Entkommen. Vermutlich ist der Traum deshalb vorbei, sobald mein Bewusstsein einsetzt. Noch nicht vollständig erwacht, versuche ich dennoch, wieder in ihn zurückzufinden, um die Kontrolle zu übernehmen und mich befreien zu können. Das gelingt mir leider nicht. Nach einer Weile sinkt die Aktivität meines Gehirns wieder und ich schlafe unbewusst ein.

Nicht luzid träumen, aber bewusst aufwachen, Video: Lisa Kwahs

Fazit

Ich hatte noch nicht viel Zeit, um mein eigenes Abenteuer ohne die Grenzen, die mir die Physik und die Biologie setzen, zu erleben, da ich erst kurz vor dem Erwachen aus meiner 13. Nacht luzid träumte. Dennoch hat sich das Experiment für mich auf jeden Fall gelohnt. Bereits dieses kurze Erlebnis war ausgesprochen spannend und eine tolle Erfahrung. Außerdem kenne ich jetzt Techniken, die mich zur Klarträumerin machen können und mit etwas Übung werde ich diese noch perfektionieren.

Ich stelle fest, dass die WBTB-Methode für mich sehr effektiv ist. Da ich durch diese jedoch eine halbe bis ganze Stunde mehr für meine Nacht einplanen muss und dies aufgrund vieler Aufgaben und der anstehenden Prüfungsphase zukünftig nicht immer möglich sein wird, kann ich meine Verfahrensweise nicht täglich weiterführen. Ich versuche, mir die Reality-Checks weiterhin zur Gewohnheit zu machen. Außerdem wende ich WBTB an, wenn ich am Folgetag ausschlafen kann – so beispielsweise auch in der Nacht zum 31. Januar, der dritten nach Ende meines Selbstexperiments.

Drei Nächte nach dem Experiment: Mein erster im Traum durchgeführter Reality-Check, Video: Lisa Kwahs

Nach diesem Erlebnis bemerke ich, noch deutlicher als in meiner 13. Nacht, dass ich in einem luziden Traum die Handlung viel bewusster als in einem gewöhnlichen wahrnehme. Alles fühlte sich real an – so real, dass es fast schon unsinnig schien, einen Reality-Check durchzuführen. Und doch war es nur ein Traum.

*Person ist frei erfunden

Text und Videos: Lisa Kwahs, Titelbild: Foxys Graphic/Shutterstock

<h3>Lisa Kwahs</h3>

Lisa Kwahs

ist 21 Jahre alt und kommt aus Chemnitz. Sie studiert Medienmanagement im 5. Semester und ist Teil des Technik-Teams von medienMITTWEIDA.