Durch Walter Bruch, den Entwickler des PAL-Farbfernsehsystems, hat Mittweida eine bedeutende Verbindung zum Medium „Fernsehen“. Wie sehr darf man sich noch über diese Verbindung freuen − angesichts der herben Kritik, der einzelne Formate ausgesetzt sind? Wie fundiert ist diese Kritik überhaupt? Und muss man sich schämen, vor der Primetime fernzusehen?
In einer „Statista“-Umfrage gaben 51 Prozent der Befragten an, das Fernsehprogramm der letzten Jahre habe sich zum Schlechteren entwickelt. Nur 7 Prozent entschieden sich für eine Entwicklung zum „eher Besseren“. Damit steht eine Zahl hinter dem vagen Gefühl, dass das TV-Publikum mit dem Medium nicht mehr so glücklich ist wie einst.
Es gibt allerdings keine Umfrage, die dieses „einst“ genauer definiert: Ist hier die Rede von dieser großartigen Zeit, als alle Sender von morgens bis abends Dokumentarfilme und Reportagen ausstrahlten? Oder doch eher von dem glohrreichen Jahrzehnt, in dem schon ab vier Uhr nachmittags nur noch teuer produzierte, aufwendig inszenierte Blockbuster liefen? Gab es das jemals? Ein Vergleich zwischen dem Programm vom Dienstag, dem 01. Juni 1980 und Dienstag, dem 25. März 2014 soll den Wandel der Programmkonzeption illustrieren:
Ein Vergleich der beiden ARD-Programmtage zeigt keine auffälligen Qualitätsveränderungen: Der non-fiktionale Anteil ist nicht übermäßig gewachsen und es wurden keine Nachrichtensendungen und -magazine gestrichen. Beim Blick auf das RTL-Vormittagsprogramm fällt die „Ballung“ an Soap- und Reality-Formaten ins Auge. Man könnte positiv anmerken, dass alle Sendungen deutsche Produktionen sind: andererseits ist das allein kein Qualitätsfaktor. Da sich im Ersten kaum etwas geändert hat, liegt also der Verdacht nahe, dass die enttäuschten 51 Prozent des TV-Publikums speziell diese Formate kritisieren. Oder die zugekauften, internationalen Produktionen des Abendprogramms.
Programmkonzept Fernsehkritik
In einer Branche, die Information vermittelt und Standpunkte beleuchtet, ist Kritik keine Überraschung. Was bei dem begrenzten Programmumfang in den 1960er Jahren zu Zeiten der Entstehung von Bruchs PAL-System wohl noch nicht geplant war: Es gibt eine Sparte, die sich ausschließlich der kritischen Rezeption des Fernsehprogramms widmet. Zeitschriften wie die „TV Spielfilm“, „TV Movie“ oder „TV Today“ haben weit mehr als nur die Aufgabe, das Fernsehprogramm übersichtlich abzubilden und über Hintergründe zu berichten. Vielmehr treffen diese Formate eine Vorauswahl für den Zuschauer: „TV Spielfilm“ zum Beispiel kürt besonders wertvolle Filme mit einem Daumen und einer Empfehlung. Außerdem werden die Anteile an „Humor, Anspruch, Action, Spannung und Erotik“ direkt unter der Inhaltsbeschreibung abgebildet. Nach welchen Kriterien dabei bewertet wird, ist zum Teil allerdings nicht ersichtlich.
Ein jüngeres Produkt der Diversifizierung in der Fernsehlandschaft selbst ist die humoristische Verarbeitung des Fernsehprogramms. Ein Beispiel prominenter Fernsehkritik gibt es seit 1994: Oliver Kalkofes Format „Kalkofes Mattscheibe“ nimmt mit unregelmäßigen Unterbrechungen das aktuelle Fernsehprogramm satirisch auf die Schippe. Ziel des Spotts sind dabei in erster Linie Teleshoppingprogramme, Talkshows und das Heimatfernsehen.
In eine ähnliche Kerbe schlägt das Internetprojekt „Fernsehkritik-TV“ des Hamburgers Holger Kreymeier. Der Journalist kommentiert, inzwischen zweimal monatlich, Ausschnitte aktueller Sendungen. Sein Anspruch an „Qualitätsfernsehen“ ist dabei die Innovation mit Mindestniveau: Fernsehen dürfe den Zuschauer fordern, so Kreymeier.
Weitere Informationen zum Projekt „Fernsehkritik-TV“ finden sich im Artikel „TV auf Fast Food-Niveau“ auf medienMITTWEIDA.
Bezahlen heißt Mitbestimmen
Zwischenzeitlich greifen auch immer wieder politische Kabarettisten das Thema „Qualitätsfernsehen“ auf, um über das gern besprochene Hartz-IV-TV herzuziehen oder um ein ganzes Medium undifferenziert für die „Volksverdummung“ verantwortlich zu machen. Die Unzufriedenheit mit dem Fernsehprogramm äußert sich aber nicht nur statistisch und im Erfolg der Kritiker − auch das Internet ermöglicht inzwischen viel direktere Formen des Feedbacks. So ging am 17.01. eine Petition online, die auf die Talksendung von Markus Lanz am Vortag reagierte. Nach Meinung einer Zuschauerin hatte sich Lanz im Interview mit Politikerin Sarah Wagenknecht „miserablen Stil im Umgang“ zu Schulden kommen lassen. Außerdem warf sie ihm eine „tendenziöse Diskussionskultur“ und einen Mangel an politischer Neutralität vor.
Die Reaktionen fielen − wie zu erwarten war − sehr unterschiedlich aus. Erstaunlich ist jedoch die schiere Menge der Resonanz und der Ton, in dem der Fall diskutiert wurde. So unterschrieben bis zum Ende der Petition 233.355 Menschen die Petition: Etablierte Medien, wie „ZEIT ONLINE“ und „SPIEGEL ONLINE“, aber auch Blogger nahmen an der Debatte teil. Ohne Stellung zum Inhalt der Debatte beziehen zu wollen, beweist sie doch zweierlei: Teile des Publikums sind offenbar daran interessiert, ihr Mitbestimmungsrecht für das öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramm wahrzunehmen. Und das Internet bietet ihnen eine Plattform, um ihre Meinung zu bündeln. Doch wie dicht ist der Anspruch des Publikums an objektivem „Qualitätsfernsehen“?
Red Bull TV – Salzburger Superlative
Klaus Bassiner ist Programmdirektor von „ServusTV“, einem Sender der „Red Bull Media House GmbH“. Auf die Frage, ob der Anspruch des Publikums nachgelassen hat, antwortet er in Anlehnung an das offizielle Sender-Portrait: „Wir sind felsenfest überzeugt, dass Qualität sein Publikum findet und das Publikum auch Qualität sucht.“ Worin aber besteht die Qualität des Fernsehprogramms? Hochwertiges Fernsehen setze, so Bassiner, „einen hohen qualitativen Standard sowohl bei den Inhalten, als auch der Produktion und Distribution voraus“. Am Beispiel seines Senders bedeutet das über 50 Prozent Eigenproduktionen und eine strenge Qualitätskontrolle beim Lizenzzukauf. Im Hinterkopf müsse man dabei die Verbindung unterschiedlicher Medien behalten, „also die berühmte Frage nach dem First und Second Screen und Connected TV und wie sich diese Nutzung sinnvoll verbinden lässt. Der Zuschauer, und damit dann auch der User, werden deutlich stärker selektieren. Daher wird die Qualität der Inhalte eine noch größere Rolle spielen.“
Daraus entstünde die Notwendigkeit, sich über die Meinung des Publikums möglichst unmittelbar zu informieren: „Ein wichtiges Tool zur Messung sind hierbei natürlich die Einschaltquoten (…). Außerdem führen wir regelmäßig Marktforschungen durch. Und nicht zuletzt erhalten wir von unseren Zuschauern direkt, über unsere Zuschauerredaktion und Social-Media-Kanäle, direktes Feedback zu unserem Programm.“
Mehr Show als inhaltlicher Anspruch?
Dem entgegen steht oft die schlichte, wirtschaftliche Wahrheit. Edda Kraft ist seit Oktober 2012 Geschäftsführerin der Fernsehproduktionsfirma „Saxonia Entertainment GmbH“, die ein breites Spektrum an Entertainment- und „Non-Fiction“-Formaten produziert. Vorher war Edda Kraft als Unterhaltungs- und Infotainmentchefin bei SAT.1, als Redaktionsleiterin einer ZDF-Show und als Freiberuflerin tätig. Ihrer Meinung nach sind die Ansprüche der Zuschauer an die Qualität des Fernsehens so weit gefächert wie eh und je: „hochwertiges Fernsehen hat aber auch einen objektiven Aspekt. Langfristige, gründliche Recherche, eine hochwertige Produktion mit einem vielseitigen, qualifizierten Team: das sind messbare Eigenschaften eines TV-Produkts.“
Auch Originalität und Einzigartigkeit seien entscheidende Faktoren. Ein hoher Anspruch, bedenkt man dabei, dass 2012 jeder deutsche Haushalt über 80 Sender empfangen konnte. Programmdopplungen sind dabei verschwindend selten, obwohl die meisten Sender weit über 50 Prozent ihres Programms per Lizenzzukauf decken. Wäre die hohe Anzahl der privaten Sender nicht ausreichend mit Diversifizierung erklärt, könnte man sich durchaus fragen: Hätte ein Gesundschrumpfen des Senderkatalogs vielleicht positive Auswirkungen auf die Programmqualität? Doch die TV-Managerin erklärt anhand von Formaten wie das RTL-Magazin „Explosiv“, dass eine „Skelettierung“ von Sendeformaten immer auch ein Anreiz für andere Sender ist, neue Konzepte zu überdenken und ihre Qualität zu steigern.
Qualität hat ihren Preis
Bei jeder Steigerung der Qualität, sowie bei jeder Produktion im Allgemeinen, entstehen Kosten. Im Falle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sollten die anfallenden Produktionskosten durch den Rundfunkbeitrag gedeckt werden. Doch „nur ein Bruchteil des Rundfunkbeitrags wird für die Fernsehproduktionen verwendet. Fernsehen ist mit einem enormen Verwaltungsaufwand verbunden: die Produktionsumstände sind wirklich schwieriger geworden. Die Erstellung von Fernsehen innerhalb der zur Verfügung gestellten Budgets wäre im Moment ohne zahlreiche Praktikanten und freie Mitarbeiter kaum mehr möglich.“ Wo geringe Budgets auf knappes Personal treffen, müssen die Produzenten reagieren, um Qualitätsverluste zu verhindern.
Am Ende des Telefonats mit Edda Kraft fühle ich mich reichlich niedergeschlagen und bitte sie, ein bisschen verzweifelt, um einen positiven Schlusssatz: „Es gibt keinen schöneren Beruf, als Fernsehen zu machen.“ Schließlich, so Kraft, diene jeder Schritt der Planung und Produktion des Fernsehprogramms der Unterhaltung und Bildung der Menschen. Dem ist nichts hinzuzufügen: Festzuhalten ist aber, dass hochwertiges Fernsehen nur zur Hälfte subjektiv ist. Produktionsfaktoren wie genaue Recherche oder Originalität sowie ein ausreichendes Budget und genügend Zeit sind messbar: Die Kritik des Publikums ist Indiz dafür, dass die Zuschauer den Unterschied wahrnehmen.
Text und Grafik: Clemens Sebastian Arnold, Fotos: Red Bull Media House GmbH, Rantes (Bearbeitung: Clemens Sebastian Arnold)