Maschinenbau in Frauenhand

von | 23. Januar 2010

Die 23-jährige Sema Çolak aus Istanbul studiert an der Hochschule Mittweida im neunten Semester Maschinenbau. Noch etwa einen Monat ist sie in Deutschland. Danach will sie im Maschinenbaubetrieb ihres Vaters arbeiten.

Semas Eltern stammen aus Makedonien und dem ehemaligen Jugoslawien. Wegen ihres muslimischen Glaubens, kriegerischer Handlungen und der Arbeit gingen sie in die Türkei. Heute lebt Sema zusammen mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern in Istanbul. Doch die Großeltern der jungen Frau sind nach wie vor in Jugoslawien. So ist sie seit ihrer Kindheit mit beiden Kulturkreisen vertraut, spricht fließend Bosnisch und Türkisch und bewegt sich ganz selbstverständlich in diesen „Parallelwelten“, wie sie es nennt.

Sema ging bis zu ihrem 15. Lebensjahr in eine türkische Grundschule, bevor sie für drei Jahre die Oberschule in ihrem Heimatland besuchte. Ein Jahr ihres Schullebens erlernte sie intensiv die englische Sprache, was ihr heute, vor allem hier in Deutschland, sehr zugute kommt. Sie entschied sich nach ihrem Abschluss für ein Maschinenbaustudium an einer Universität in Sakarya, einer Provinz im Norden der Türkei. Das kam nicht von ungefähr, denn ihr Vater betreibt einen Maschinenbaubetrieb. Sema sagt von sich selbst: „Ich bin mit Maschinen groß geworden.“ Zu Beginn ihres Studiums in der Türkei musste sie feststellen, dass sie die einzige Frau unter Männern war. „Die Jungen waren wirklich schockiert und schauten mich ungläubig an“, erinnert sich Sema. Nach ihrem Abschluss will sie ihren Vater unterstützen, vielleicht sogar später einmal den Betrieb übernehmen. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, absolviert sie derzeit zusätzlich via Internet ein Fernstudium im Bereich Management.

Stolperstein Sächsisch

„Ich wollte immer schon nach Europa, denn es ist eine neue Erfahrung für mich. Ich wollte Deutsch lernen, reisen und viele unterschiedliche Leute kennen lernen“, erklärt Sema ihr Bestreben, ein Auslandsstudium für ein Semester aufzunehmen. „Aber als ich hierher kam, war ich wirklich geschockt“, beschreibt sie ihre Ankunft in Sachsen vor etwa einem halben Jahr. Von der Millionenmetropole am Bosporus gelangte die junge Frau in die überschaubare, sächsische Kleinstadt Mittweida. Der Kulturschock war komplett. Sema hatte die gleichen Studienfächer wie an der Universität in der Türkei und keinerlei Schwierigkeiten, technische Vorgänge und physikalische Formeln zu begreifen. Doch die deutsche Sprache bereitete ihr zu Beginn noch große Schwierigkeiten. „Am Anfang habe ich fast nichts verstanden“, gibt die Studentin zu. Professoren und Dozenten, die einen ausgeprägten sächsischen Akzent in ihren Vorlesungen pflegten, brachten die junge Frau bei ihren Bemühungen, etwas zu verstehen, fast zur Verzweiflung. Da half dann auch das Deutsch-Türkische-Wörterbuch, dass sie ständig bei sich hat, nichts mehr.

In dem Studiengang an ihrer Heimatuniversität gab es zahlreiche Unterrichtseinheiten auf Englisch. Hier in Deutschland war das aber nicht der Fall. Nicht einmal im Kino gab es englische Untertitel zum Film. „Wenn man etwas sieht, versteht man es besser. Dann ist nicht so viel Deutsch nötig“, erklärt Sema, wie sie Filme und Vorlesungsskripte auf ihre Art verstehen konnte. Umso mehr mochte sie aber das Fach „Technisches Englisch“, indem sie aufgrund ihrer Vorkenntnisse punkten konnte. Außerdem hat die Studentin in der Türkei bereits ihre Diplomarbeit geschrieben und verteidigt – damit ist sie ihren deutschen Kommilitonen um einiges voraus. Doch Sema war bald klar, dass es ohne einen Deutsch-Kurs am Internationalen Studentenclub der Hochschule Mittweida, dem „Cosmopolitan Club“, nicht ging. Dort traf sie auf Studierende unterschiedlicher Nationen, die alle dasselbe Problem hatten. Schnell entwickelten sich daraus Freundschaften, die ihr geholfen haben, die Zeit fernab der Türkei zu bestehen. Mit ihrer Familie telefoniert sie via Internet – und das fast täglich. Im Herbst des vergangenen Jahres heiratete ihre Cousine in der Türkei – ein willkommener Anlass, ihren Lieben daheim einen Besuch abzustatten.

Von Vorurteilen und Zukunftsmusik

Hier in Mittweida musste sich Sema erst einmal umstellen: Das Wetter war kalt und nass, die Semesterferien betrugen hier nur zwei Monate statt wie in der Türkei vier, es gab weder ein Meer, noch eine Moschee, noch wurde der türkische Fastenmonat Ramadan hier, wie in ihrem Heimatland üblich, begangen. Stattdessen feierten die Leute Weihnachten und waren verwundert, dass sie als Muslimin kein Kopftuch trug und nicht mit dem Gebetsteppich unterm Arm zur Vorlesung ging. Doch Sema ist in ihrer Weltanschauung offen: „Mir ist egal, ob eine Frau ein Kopftuch trägt oder nicht. Das ist ihre eigene Entscheidung. Ich trage keins.“ In einem Dönerladen in Mittweida fand sie schließlich auch ihr geliebtes türkisches Essen. Nach einigen Wochen waren die meisten Vorurteile auf beiden Seiten dann beseitigt. Was Sema aber nach wie vor mit der deutschen Mentalität verbindet: „Pünktlich und ordentlich“, erklärt sie kopfschüttelnd. So penibel gebe es das in ihrer Heimat nicht.

Sema spielt seit über drei Jahren in einem Sportclub in Istanbul aktiv Volleyball und an der Universität in Sakarya Theater. Ihr liebstes Theaterstück ist eine türkische Liebesgeschichte: „Haybeden Gercek Üstü Ask“. Nach ihrem Studium könnte sie sich vorstellen, auch bei einem deutschen Arbeitgeber wie Mercedes oder Siemens als Maschinenbauingenieurin tätig zu sein. Aber erst einmal freut sie sich auf ihre Familie und ihre Freunde in der Türkei. Ihren Eltern möchte sie später ein Sommerhaus am Meer kaufen und sie will weiter die Welt bereisen – Europa, Asien, Amerika. Sie hat noch viele Wünsche, weiß aber auch die Voraussetzung dafür genau: „Erst mal muss ich Geld verdienen.“

<h3>Diana Ruder</h3>

Diana Ruder