„Wir sollten die nächste Synode in der Türkei abhalten“, schlägt Ex-TV-Pfarrer Jürgen Fliege vor. „Schließlich hat der christliche Glaube nicht nur in Bethlehem und Jerusalem seinen Ursprung. Der Apostel Paulus hat zum Beispiel auch Antalya bereist.“ Eine provokative Forderung, jedoch wäre der Kirche laut Fliege so mediale Aufmerksamkeit garantiert. Aufmerksamkeit, die sie sonst nur selten bekomme. „Wir müssen aktuelle Debatten wie das Integrationsthema aufgreifen und es aus der eigenen Sicht behandeln“, so Fliege. Besonders wirkungsvoll seien dabei politische und emotionale Themen.
Solche aus konservativer Sicht gewagten Strategien vermeidet die Kirche jedoch. Gleichzeitig kämpft sie mit einem ständigen Verlust ihrer Gläubigen. Um neue Mitglieder zu gewinnen, müssten die Menschen zunächst an die Materie herangeführt und mit christlichen Werten vertraut gemacht werden. „Das ist zum Beispiel durch christliche Musik möglich“, schlägt René Karich, Geschäftsführer des „Deutschen Christlichen Fernsehen“, vor. Wolfgang Baake, Geschäftsführer des christlichen Medienverbundes „KEP“, fordert die Kirche auf, aktiv zu werden: „Wir müssen zu den Menschen gehen und nicht erwarten, dass sie zu uns kommen. Dafür sind die Medien hervorragend geeignet.“ Wenn die kommunikativen Möglichkeiten also vorhanden sind – warum unternimmt die Kirche keine größeren Anstrengungen, diese auch zu nutzen? „Das, was man vermitteln möchte, muss man auch kommunizieren. Das machen wir seit Jahrzehnten“, meint Sven Waske, Leiter der EKD-Online-Redaktion. Nur ist eben nicht jede Kommunikationsmaßnahme erfolgreich. Jürgen Fliege sieht die Gründe für das geringe Interesse der Nicht-Gläubigen woanders: Es fehle an Unterhaltung. „90 Prozent der Gottesdienste finde ich stinklangweilig“, so Fliege.
Probleme grundsätzlich diskutieren
Eine regelrechte Austrittswelle lösten die Missbrauchsfälle aus, die in den Medien monatelang thematisiert wurden. „Das hat zu einer Entzauberung der Kirche geführt“, erklärt Dr. Thomas Schiller, Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbands Ost e. V. Berlin. Berichte über Missbrauch betreffen vor allem die katholische Kirche. Jürgen Fliege, der als Kind selbst missbraucht wurde, versichert, dass es auch bei der evangelischen Kirche bis in die Bischofsebene hinauf sexuelle Übergriffe gibt. „Nicht die Medien, die Überbringer der Nachricht, sind die Schweine, sondern die Täter“, betont er. „Die Kirche muss das Problem grundsätzlich diskutieren. Dazu zählt es auch, dass man nicht verleugnet, wie schön ein sexuell erfülltes Leben sein kann.“
Doch gerade bei den Missbrauchsfällen äußerte sich die Kirche nur zögerlich und schreckte damit viele Gläubige ab. Dabei ist der größte Fehler, nicht oder zu wenig zu kommunizieren. Schweigen lässt schließlich Spielraum für die Medien und verunsichert die Menschen. Gerade Krisenkommunikation ist jedoch oft vom Budget abhängig, schließlich sind spezialisierte Berater sehr teuer. „Die Kirche hat nicht immer die Mittel, solche Menschen zu engagieren“, erklärt Dr. Schiller. Gleichzeitig zeige der Fall Margot Käßmann, dass professionelle Unterstützung nicht immer nötig ist. „Unsere Recherchen haben ergeben, dass bei Frau Käßmanns Rücktritt keine dicken Beraterverträge im Spiel waren“, so Dr. Schiller. „Trotzdem hat sie stimmig gehandelt und dadurch in der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit gewonnen.
Sind die Medien nun ein Segen oder ein Fluch für die Kirche? „Sowohl als auch – es hängt von der Art der Berichterstattung ab und welche Werte dabei vermittelt werden“, findet René Karich. „Eine einseitige Berichterstattung ist eher ein Fluch.“ Doch es gibt durchaus positive Seiten. „Medien sind ein Segen, wenn Menschen wie Missbrauchsopfer dort ihre Geschichte ansprechen und verarbeiten können“, fügt Thomas Schiller hinzu.