„Medien sind keine Hilfsorganisationen“

von | 15. November 2011

Wer bleibt bei den Opfern, wenn die Journalisten gehen? Um diese Frage drehte sich die Diskussion zum fünfjährigen Jubiläum von medienMITTWEIDA beim Medienforum 2011.

Atomkatastrophe in Fukushima, Revolutionen im arabischen Raum, Erdbeben in der Türkei. Allein im Jahr 2011 wurde die Erde von vielen schreckenerregenden Katastrophen heimgesucht. Die Berichterstattung war jedes Mal ausführlich und omnipräsent – bis das nächste Ereignis das alte ablöst. Danach wurde es ruhig um Japan, Ägypten und Co., so als wären die Probleme mit dem Abzug der Journalisten gelöst. Dem ist selbstverständlich nicht so. Menschen leiden weiterhin und Länder sind immer noch zerstört.

„N24“-Chefreporter Steffen Schwarzkopf war gerade in Somalia und wollte über die dortige Hungersnot berichten, als Anders Breivik in Norwegen fast 100 Menschen tötete. „Von da an lief das Thema unter sonstiges. Norwegen hat die Hungersnot einfach überschattet“, erzählt Schwarzkopf. Barbara Dickmann ergänzte: „In der Regel wird doch umso eher und ausführlicher berichtet, je mehr Tote es gibt“. Der Trend, immer krassere und scheinbar sensationellere Nachrichten zu verkünden, ebbe nicht ab. Erst dann gebe es den  gewünschten „Das-ist-ja-furchbar-Effekt“, wie ihn Barbara Dickmann nannte. „Der Zuschauer entscheidet, was er für Nachrichten sehen will“, fügte Fredrik Barkenhammar hinzu.

Warum werden die Opfer zurückgelassen?

Dennoch sind „Medien keine Hilfsorganisationen“, betonte Barkenhammer. „Die Aufgabe der Presse ist es Aufmerksamkeit zu wecken, Missstände aufzudecken und zu dokumentieren, aber sie stehen nicht in der Pflicht zu helfen“. Barbara Dickmann stimmte zu: „Man darf sich nicht immer gemein machen mit den Opfern. Man muss als Journalist auch objektiv bleiben.“ Dass das nicht immer geht, hat sie selbst erlebt. Jahrelang hat die ehemalige Moderatorin in ihrer Sendung „Mona Lisa“  über die Vergewaltigung von Musliminnen als Kriegsstrategie im Bosnien-Krieg berichtet und ihnen damit auch geholfen. „In Ausnahmefällen ist es sogar wichtig, die Berichterstattung aufrecht zu erhalten.“

Ein anderes Problem sind die begrenzten Mittel der Redaktionen – in finanzieller und personeller Hinsicht. „Wenn wir das Personal und die Gelder hätten, würden wir viel ausführlicher berichten“, gesteht Steffen Schwarzkopf. Bei „N24“ gibt es nur drei Auslandsreporter, niemals könne man damit alle Katastrophen der Erde abdecken. Barbara Dickmann bedauerte die Bequemlichkeit der Journalisten: „Oft fehlt der Mut. Man baut sich lieber ein kleines Häuschen.“ Damit dürfe man sich aber nicht abfinden. Die gut recherchierten und investigativen Dokumentationen aus Krisengebieten gebe es auch, es sei nur schade, „dass diese mitten in der Nacht gesendet werden“,  sagt Dickmann.

Gute Recherche für kritische Berichterstattung

In einem sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Was fehlt, ist der Mut, der Wille und die Mittel investigativ und tiefgründig  zu recherchieren. Speziell bei dem Bild des toten Muammar al-Gadaffi, das durch alle Medien gereicht wurde, räumte Steffen Schwarzkopf ein, dass „N24“ das Bild zu oft genutzt habe. Trotzdem sollten die Redaktionen solche Bilder zeigen, denkt Schwarzkopf: „Wenn man sie nicht zeigt, bilden sich Legenden  und Verschwörungstheorien.“ Fredrik Barkenhammer kritisiert jedoch die immer gleiche Art, in der Berichterstattungen ablaufen. Barbara Dickmann fügt hinzu: „Wer gut recherchiert, kann auch mal gegen den Mainstream berichten.“

<h3>Juliane Görsch</h3>

Juliane Görsch