Symptome wie Antriebslosigkeit, Angstzustände oder negative Gedankenspiralen erschweren den Alltag. Dazu kommen körperliche Anzeichen wie Schwindel, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Nichts hilft: kein Urlaub, keine Schokolade oder die gut gemeinten Ratschläge wie „Du musst einfach mal deine Einstellung ändern“. Nach zahlreichen Arztbesuchen könnte die Diagnose wie bei jedem vierten Deutschen eine Erkrankung der Psyche sein. Doch wenn es so viele Betroffene gibt, wieso ist das Thema dann nicht längst präsenter im alltäglichen Dialog sowie den Medien?
Psychische Erkrankungen gehören zum Alltag vieler Menschen dazu, oft unerkannt und unbehandelt oder als Secondhand-Erfahrung durch den Umgang mit betroffenen Freunden und Verwandten. Menschen, die jedoch keine persönlichen Berührungspunkte damit haben, nehmen das Thema vor allem über die Medien und sozialen Netzwerke wahr. Wie kann also mit dem Thema verantwortungsvoll umgegangen werden und welche Aufgabe kommt den Medien bei der Aufklärungsarbeit über psychische Krankheiten zu?
Laut dem Bundesgesundheitsministerium erkrankt fast jeder dritte Mensch im Laufe seines Lebens an einer psychischen Krankheit, die behandlungsbedürftig ist. Auch junge Menschen sind davon betroffen. Der BARMER Arztreport von 2018 zeigt beispielsweise, dass die Zahl der Diagnosen psychischer Krankheiten bei Studierenden zwischen 2005 und 2016 um 38 Prozent gestiegen ist. Tatsächlich gehören seelische Erkrankungen nach Angaben der World Health Organisation (WHO) zu den weltweit häufigsten. Schätzungsweise leiden so rund 300 Millionen Menschen an einer Depression. Aber noch nicht alle Gesundheitssysteme weltweit haben darauf entsprechend reagiert, rund ein Viertel aller Länder hat laut WHO sogar gar kein auf die Psyche bezogenes Gesundheitsrecht.
Ein weiteres Problem ist die starke Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten. Viele Fehlannahmen, die es in der Bevölkerung über die Psychotherapie gibt, tragen dazu bei. Auf der Website des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit wird dies folgendermaßen beschrieben: „Die Ausgrenzung und Diskriminierung psychisch Kranker erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen: Im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, durch die Politik, private Versicherungsanbieter oder allein durch eine diskriminierende Darstellung seelisch Kranker in den Medien.“
Das Wort Stigma (altgriechisch für Wund- oder Brandmal) bezeichnet etwas, das jemanden in einer meist negativen Weise kennzeichnet und somit sichtbar von anderen unterscheidet. Die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten ist eine Art der Diskriminierung und für Betroffene eine zusätzliche Last. Häufig wird sie als „zweite Krankheit“ bezeichnet, da sie Diagnose und Behandlung negativ beeinflussen kann.
Psychische Erkrankungen
Hierzu gehören unter anderem Angststörungen, depressive Störungen, Traumafolgestörungen, Entwicklungsstörungen wie Autismus oder Asperger, das Burnout-Syndrom, Essstörungen, Zwangsstörungen, Impulskontrollstörungen wie Kleptomanie, Persönlichkeitsstörungen wie Borderline und schizophrene Störungen.
Anders als der Name es vermuten lässt, gehen geistige Krankheiten mit zahlreichen körperlichen Symptomen einher. Dadurch werden häufig nur die körperlichen Beschwerden untersucht und behandelt, sodass viele psychische Krankheiten gar nicht oder erst spät diagnostiziert werden.
Stellen sich Prominente der Öffentlichkeit und berichten über ihre psychischen Probleme oder stirbt eine berühmte Person durch Suizid, so wird in den Nachrichten und auf Online-Portalen viel darüber berichtet – auch weil diese Themen viel Aufmerksamkeit erregen. Nach Untersuchungen der britischen Organisation Mind kann eine häufige und vor allem positive Thematisierung in den Medien dazu beitragen, dass Betroffene sich öffnen, weniger allein fühlen und vermehrt Hilfe suchen. Da Isolation und Einsamkeit viele psychische Krankheiten begleiten, hilft es vielen erkrankten Menschen, zu wissen, dass sie mit ihren Empfindungen nicht allein sind. Andersherum jedoch kann eine weniger gelungene Berichterstattung auch negative Effekte mit sich bringen. „Wenn die ‚wahrgenommene Stigmatisierung‘ – also das Empfinden des Patienten, dass er stigmatisiert wird – steigt, dann sinkt seine Bereitschaft, Hilfe zu suchen oder eine Behandlung fortzuführen“, schildert Professor Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Universität Frankfurt, in einem Interview mit der FAZ.
Auf den Internetseiten verschiedener Organisationen oder Initiativen, die sich für Betroffene einsetzen, finden sich Guidelines, wie man in den Medien über feinfühlige Themen wie Suizid, Essstörungen oder andere psychische Krankheiten berichten und welche Sprache beziehungsweise Bilder man benutzen sollte. Unachtsame, sehr grafische Berichterstattung oder die Auswahl ungeeigneter medialer Inhalte kann nachahmendes Verhalten auslösen oder Betroffenen seelisch schaden. Hier empfehlen sich so genannte Trigger-Warnungen, die diese Inhalte im Voraus für Nutzer kennzeichnen. Außerdem kann die mediale Darstellung das Stigma rund um geistige Gesundheit verschlimmern, wenn sie verharmlost, romantisiert, faktisch inkorrekt ist oder Vorurteile füttert. Auch im Alltäglichen werden Worte wie „paranoid“, „schizophren“ oder „geisteskrank“ häufig als Beleidigung und im falschen Zusammenhang verwendet. Dieser Wortgebrauch trägt stark zur Stigmatisierung bei und sollte in den Medien nicht leichtfertig nachgeahmt werden, egal wie verlockend eine reißerische Überschrift auch sein mag.
Zwangsjacke, Elektroschocktherapie, Sicherheitszellen oder der irre Killer im Horrorstreifen – da psychische Erkrankungen für Nicht-Betroffene schwer nachvollziehbar sind, ranken sich diverse Mythen darum. Filmklassiker wie „Einer flog übers Kuckucksnest“ oder Hitchcocks „Psycho“ haben die Vorstellung über psychische Erkrankungen zumeist durch realitätsferne, stereotype Abbildungen geprägt. Diese wiederum führten zu Vorurteilen und einer angstbehafteten, distanzierten Haltung gegenüber der Thematik. Seitdem diese Filme erschienen sind, hat sich jedoch einiges getan und immer mehr differenzierte Inszenierungen finden ihren Weg auf die Bildschirme. So setzen sich zum Beispiel neuere Filme wie „Still Alice“ oder „Silver Linings“ mit Krankheiten wie Alzheimer oder der bipolaren Störung auseinander.
Für eine authentische Abbildung empfiehlt sich eine tiefgründige Recherche und vor allem das persönliche Gespräch mit Ärzten und Patienten. Dabei gilt es, verschiedene Erkrankungen und ihre Symptome klar voneinander abzugrenzen, sodass Betroffene sich wiederfinden können. Gerade im Fernsehen, das mehr noch als das Kino zum alltäglichen Leben gehört, ist eine realitätsnahe Darstellung entscheidend. Im Wertekodex der UFA Serial Drama, der Produktionsfirma von bekannten deutschen Serien wie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten (GZSZ) oder Verbotene Liebe, ist deshalb festgelegt, dass Vorurteile nicht verstärkt werden dürfen und dass Geschichten genauestens recherchiert sein müssen. Beispielsweise haben sie so zur Darstellung der Bulimie-Erkrankungen einer Figur in GZSZ Beratung durch den Verein Dick & Dünn e.V. erhalten, der sich für Betroffene von Essstörungen einsetzt. Organisationen wie das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit bieten aufgrund dieser Problematik ebenfalls Dossiers mit Empfehlungen für Drehbuchautoren an, die den verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema erleichtern sollen.
Egal, wie schwierig es scheinen mag – viele TV-Serien, Filme und Bücher haben bereits einen angemessenen Umgang mit dem Thema erreicht. Obwohl psychische Erkrankungen sehr subjektiv sind, eignen sich vor allem Werke von Autoren, die selbst betroffen sind, um einen authentischen Einblick in das Leben von Menschen mit psychischen Problemen zu bekommen. Matt Haig, Autor des Bestsellers „Ziemlich gute Gründe am Leben zu bleiben“ (Original: „Reasons to Stay Alive“) verarbeitet in seinem Buch seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen. Auch auf Social Media, vor allem Twitter, ist er, wie viele seiner Schriftstellerkollegen sehr aktiv. In einem Interview mit dem dtv-Verlag sagt er: „Ich glaube, gerade wenn es um psychische Probleme geht, kann das Internet sehr befreiend sein. Es bietet den Leuten die Möglichkeit, anderen ihre Erfahrungen mitzuteilen, darüber zu sprechen.“
Social Media ist für viele vor allem jüngere Menschen längst in den Alltag übergegangen. Das kann sich sowohl positiv als auch negativ auf die geistige Gesundheit auswirken. Die britische Studie Status of Mind, hat herausgefunden, dass die Nutzung von sozialen Netzwerken sich negativ auf Schlafverhalten sowie die Körperwahrnehmung auswirken, aber auch Probleme wie Cybermobbing und die so genannte „Angst, etwas zu verpassen“ auslösen können. Beispielsweise profitieren Nutzer aber auch davon, Zugang zu den Erfahrungen und Krankheitsgeschichten anderer zu haben, ein Gemeinschaftsgefühl mit anderen Nutzern zu teilen und Beziehungen aufrechtzuerhalten. Das jeweilige Ausmaß hinge dabei nach Umfragen auch davon ab, welche Plattform genutzt werde. Demnach schneiden YouTube und Twitter bei den Befragten insgesamt positiver ab als zum Beispiel Snapchat und Instagram.
Das Internet mit seinen Foren und Netzwerken bietet für Menschen mit einer geistigen Krankheit einen Ort, an dem sie sich leichter öffnen können, da Schuldgefühle oder die Angst vor den Reaktionen der Angehörigen es ihnen im realen Leben erschweren. Professor Doktor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, sieht für die Gruppe der jungen Erwachsenen Vorteile in diesem Bereich: „Häufig meiden Betroffene aus Scham den Gang zum Arzt. Ein großes Potenzial sehen wir daher in Online-Angeboten, vor allem, wenn sie anonym sind und den Nutzungsgewohnheiten der Generation Smartphone entgegenkommen.“
In den letzten Jahren haben sich Aktionen wie der Mental Health Month im Mai oder die Mental Illness Awareness Week im Oktober auf sozialen Netzwerken als Möglichkeit herausgebildet, Aufmerksamkeit auf das Thema mentale Gesundheit zu lenken und Menschen zu inspirieren, ihre Geschichte mit anderen zu teilen. Dabei ist eine grüne Schleife das Symbol für Solidarität. Am 10. Oktober 2018 findet zudem der Welttag der Seelischen Gesundheit statt, der dieses Jahr von der WHO unter das Motto „Young People and Mental Health in a Changing World“ gesetzt wurde und sich damit besonders um die Gesundheit junger Menschen drehen wird. Auch hier in Deutschland findet dazu eine Aktionswoche mit vielen Angeboten rund um das Thema mentale Gesundheit statt. Ein Aufruf des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit soll dabei Organisationen und Initiativen in ganz Deutschland zur Teilnahme bewegen.
„Entstigmatisierung der Psychiatrie und Aufklärung über psychische Erkrankungen rettet Leben“, appelliert Professor Andreas Reif. „Psychische Erkrankungen sind häufig. Sie sind ein Teil der Medizin. Man darf keine Unterschiede zu anderen Fachrichtungen machen.“ Das Ziel ist klar: Je mehr Menschen ein Bewusstsein für das Thema entwickeln und je mehr Vorurteile abgebaut werden, desto weniger Stigmatisierung erfahren die Betroffenen und desto höher ist die Chance, dass diese die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Dazu können die Medien entscheidend beitragen.
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