Tirana. Ende 2019 demonstrieren albanische Journalisten vor dem Parlamentsgebäude. Auf ihren Schildern steht die Aufschrift „Journalisten sind keine Verbrecher”. Grund dafür ist die Verabschiedung eines umstrittenen Mediengesetzentwurfs, welcher Onlinemedien stärker regulieren soll. Auch internationale Organisationen kritisieren Albanien, wie etwa die Vereinigung der Europajournalisten (AEJ). Sie sehen die Medienfreiheit gefährdet. medienMITTWEIDA möchte genauer wissen, wie die Medienlandschaft in Albanien aussieht und was das neue Mediengesetz beinhaltet und für Folgen hat. Hendrik Sittig, Leiter des „Medienprogramms Südosteuropa” bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, hat in einem schriftlichen Interview unsere Fragen beantwortet.
1990 endete in Albanien das kommunistische Regime. Wie entwickelte sich die Presse und Medienlandschaft seitdem?
Hendrik Sittig: Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus entwickelte sich der Medienmarkt sehr schnell. Man kann diese Entwicklung in zwei zeitliche Phasen unterteilen. In den 1990er Jahren wurden zahlreiche neue Medien gegründet. Der aufblühende Pluralismus war eine Reaktion auf die neugewonnene Freiheit. In dieser Transformationszeit gab es ständig heftige Kämpfe zwischen den Medien und der Politik. Die zweite Phase mit Beginn der 2000er Jahre war eher gekennzeichnet von Medien, die vor allem als Mittel zur politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme genutzt wurden. In vielen Fällen wechselten die Eigentümer. Der Druck auf die Medien wurde immer größer. Er zeigt sich bis heute allerdings weniger in offenen Bedrohungen oder Angriffen, sondern eher durch wirtschaftliche und finanzielle Probleme, schlechte Arbeitsbedingungen für Journalisten und Korruption in den Medien.
Albanien im Schnelldurchlauf
Albanien ist ein 28.748 km² großes Land auf dem Balkan. Das Land mit 2,8 Millionen Einwohnern (Berlin: 3,7 Millionen) grenzt im Nordwesten an Montenegro, im Norden an den Kosovo, in Süden an Griechenland und im Westen an das ionische Meer. Die Bevölkerung bezahlt mit albanischen Lek (121.89 = 1 Euro) und ist überwiegend muslimisch. Lediglich 17 Prozent sind Christen. Das Land ist seit 104 Jahren eigenständig (Mitglied im Warschauer Pakt).
Wem gehören die wichtigen Medienunternehmen und wie sind diese ausgerichtet?
Sittig: Generell sind die Medienunternehmen sehr intransparent aufgestellt. Die eingetragenen Eigentümer sind meist nicht die wahren Besitzer und deren Verbindungen zur Politik sind nicht immer eindeutig festzustellen. Allerdings lässt sich konstatieren, dass der Medienmarkt sehr konzentriert ist und in den Händen weniger Familien liegt. Die größten Risiken sind, dass diese Medieneigentümer einerseits in weiteren Wirtschaftsbereichen tätig sind und andererseits enge politische Beziehungen pflegen. Das ist eine stetige und hohe Gefahr für die redaktionelle Unabhängigkeit.
Das Angebot an Tageszeitungen ist überdurchschnittlich hoch (Albanien hat 19 Tageszeitungen, Österreich im Vergleich nur 16), die Auflagen sind aber sehr gering. Woran liegt das?
Sittig: Das hat mit der Geschichte zu tun. In den 1990er Jahren bis zum Beginn der 2000er wurden zahlreiche neue Medienhäuser gegründet. Aber schnell traten finanzielle Probleme auf und es gab Schließungen von Printmedien. Heute gibt es noch um die 18 Tageszeitungen in Albanien. Das ist für ein Land mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern in der Tat immer noch viel. Der Markt ist überladen. Zu den Auflagen gibt es keine offiziellen Daten, da die Printmedien nicht verpflichtet sind, ihre Auflagenzahlen zu melden. Aber es gibt Schätzungen, die besagen, dass nur sehr wenige Zeitungen eine Auflage von mehr als 1000 Exemplaren haben. Auch Albanien ist nicht immun gegen den weltweiten Rückgang bei Printmedien. Stattdessen gibt es einen Boom im Onlinebereich. Der albanische Journalistenverband geht derzeit von circa 800 Onlineportalen im Land aus.
Wie frei sind die Leitmedien in Albanien?
Sittig: Schaut man sich die Kennzahlen an, wie die jährliche Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, stellt man fest, dass die Medienfreiheit in Albanien eher niedrig zu bewerten ist. Zu Beginn der 2000er Jahre war das noch anders. Im Jahr 2003 belegte Albanien den 35. Platz von damals 166 Ländern. Das war ein herausragendes Ergebnis für das Balkanland. In den vergangenen Jahren verschlechterte sich jedoch die Medienfreiheit in Albanien immer mehr. Im vergangenen Jahr erreichte das Land nur noch Platz 82 von 180. Diese Verschlechterung liegt jedoch nicht daran, dass plötzlich die Freiheiten eingeschränkt wurden. Formal sind die Medien frei und es gibt auch keine staatliche Zensur. Die Gründe liegen eher in der mangelhaften Umsetzung der Gesetze und fehlender Transparenz im Eigentum. Das liegt vor allem an der gerade beschriebenen Verbindung der Medienunternehmer zu anderen Unternehmen und der Politik. Außerdem gibt es Fälle, in denen staatliche Werbung politisch motiviert zugewiesen wird und häufig auch eine Konzentration der Medien. Das sind weitere Faktoren, die die Freiheit einschränken.
Foto: Hendrik Sittig
Hendrik Sittig lebt in Sofia in Bulgarien. Dort arbeitet er als Leiter des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad Adenauer Stiftung (KAS). Diese Stiftung setzt sich mit Hilfe von politischer Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ein. Ende 2019 veröffentlichte er mit Kollegen eine Studie über die öffentlich-rechtlichen Rundfunksysteme in Südosteuropa. Zuvor arbeitete als Referent der Programmdirektion des RBB und arbeitete als TV Reporter beim Mitteldeutschen Rundfunk. Internationale Erfahrungen sammelte er außerdem als Projektleiter für Journalismus im KAS-Büro Moskau und als Regionalvorsitzender Leipzig des Dialog e.V.-Vereinigung deutscher und russischer Ökonomen.
Geht man der Frage nach der Presse- und Medienfreiheit in Albanien nach, liest man häufig, dass die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien gesetzlich verankert sind, es aber häufig Gründe zur Selbstzensierung gibt. Können Sie das einmal genauer erklären?
Sittig: Ein Hauptfaktor ist die permanente Jobunsicherheit. Ein großer Teil der albanischen Journalisten arbeitet ohne Arbeitsvertrag und muss damit rechnen, jederzeit entlassen zu werden. Selbst mit einem Vertrag sind Journalisten davor nicht ausreichend geschützt. Echten Arbeitsschutz gibt es nicht und Gewerkschaften, die für Arbeitsrechte kämpfen, sind marginal. Die albanische Journalistengewerkschaft setzt sich seit einigen Jahren für bessere Rechte ein und hat zumindest erreicht, dass jetzt mehr Journalisten Arbeitsverträge erhalten. Ein weiterer Grund für Selbstzensur ist, dass insbesondere bei kritischen Berichten das Management das letzte Wort hat. Das schreckt viele Journalisten ab, wirklich kritisch zu berichten.
Im Juni geriet BILD Redakteur Peter Tiede nach einem Bericht in den Fokus. Er hatte dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama vorgeworfen, bei der Wahl 2017 Stimmen mit Mafiageld gekauft zu haben. Daraufhin drohte der Regierungschef mit rechtlichen Schritten. Inwieweit war dies zu dem Zeitpunkt überraschend, passiert ähnliches öfter in Albanien?
Sittig: Es war überraschend, dass solche Drohungen gegen einen deutschen Journalisten ausgesprochen wurden. Allerdings lässt sich dies in eine Reihe von negativen und abwertenden Äußerungen des Ministerpräsidenten gegenüber Journalisten einordnen. Er führt eine regelrechte Hetzkampagne gegen kritische Medien, die er gern als „Müll” bezeichnet. Auch rechtliche Schritte sind nicht ungewöhnlich. Momentan laufen mehr als 20 Verfahren gegen Journalisten, Angehörige der Zivilgesellschaft und Oppositionelle.
Hat sich die Situation um die Meinungs- und Pressefreiheit in Albanien seitdem weiter verschlechtert?
Sittig: Diese Kampagne scheint Wirkung zu haben, denn auch die Zahl der Bedrohungen und Gewalttaten gegenüber Journalisten hat zugenommen. Anzeigen von Journalisten zeigen bisher keinen Erfolg. Die Täter müssen nicht mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Und viele Journalisten schrecken gar davor zurück, rechtliche Schritte zu gehen, wenn sie bedroht werden.
Im Dezember veröffentlichte Edi Rama einen Gesetzentwurf zur Registrierung und Kontrolle von Onlinemedien. Was genau beinhaltet dieser Entwurf? Kommt dieses Gesetz überraschend?
Sittig: Bei diesem Gesetzesentwurf geht es eher um ein Gesetzespaket, auch „Anti-Verleumdungs-Paket“ genannt, welches aus zwei Gesetzen besteht. Das erste sieht vor, dass die Medienaufsichtsbehörde mehr Kompetenzen erhält. So kann sie die Inhalte von Onlinemedien als Unwahrheiten kennzeichnen. Die jeweiligen Medien sind dann verpflichtet, die Beiträge zu korrigieren oder sogar aus dem Netz zu nehmen. Wer dem nicht nachkommt, muss teilweise mit hohen Strafen rechnen. Das können umgerechnet bis zu 8000 Euro sein. Das zweite Gesetz stärkt die Kompetenzen der Behörde für elektronische und postalische Kommunikation. Es sieht einen Registrierungsprozess von Onlineportalen vor, der von dieser Behörde geleitet werden soll. Sie erhält außerdem das Recht, Geldbußen oder Sperren gegenüber Onlinemedien zu verhängen.
Einen ersten Entwurf gab es bereits 2018. Er wurde jedoch ohne jegliche Konsultationen mit Medienorganisationen, Journalisten oder anderen relevanten Akteuren verfasst. Das ist nicht verfassungskonform und wurde international kritisiert. Im Sommer vergangenen Jahres folgte dann ein neuer Entwurf, der schließlich im Dezember vom Parlament verabschiedet wurde.
Inwieweit wird dies die Meinungs- und Pressefreiheit weiter einschränken?
Sittig: Das neue Gesetz ist mit diversen Risiken für die Pressefreiheit verbunden. Es gibt keine konkrete Einordnung, welche Äußerungen als Verleumdung strafbar sind. Das bietet einen großen Interpretationsspielraum. Aus unserer Sicht zielt das Gesetz allein auf eine grundsätzliche Kontrolle der Onlinemedien ab. Printmedien und auch Veröffentlichungen auf Social-Media-Portalen bleiben zum Beispiel unberührt. Die Medienaufsichtsbehörde würde mit ihren Sanktionen die Gerichte umgehen, indem sie die Rolle eines Verwaltungsgerichts einnimmt. Die Bußgelder sind unverhältnismäßig hoch, sie können manche Onlinemedien in den Ruin treiben. Sowohl die Medienaufsichts- als auch die Telekommunikationsbehörde sind keine unparteiischen Institutionen. Schritt für Schritt werden sie derzeit von Mitgliedern der Regierungspartei eingenommen. Und das Gesetz könnte zu einer Selbstzensur der Journalisten führen, die dann nur noch protokollarisch berichten und nicht mehr investigativ tätig werden.
Im Parlament stimmte schließlich eine große Mehrheit für das Gesetz. Wie erklären Sie sich das?
Sittig: Im Parlament sitzen zurzeit 122 Abgeordnete: 74 von der regierenden Sozialistischen Partei, 48 Abgeordnete stellen die Opposition. Allerdings ist die aktuelle Lage kompliziert. Anfang vergangenen Jahres legten die Abgeordneten der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) und der Sozialistischen Bewegung für Integration (LSI) ihre Mandate nieder. Sie begründeten diesen radikalen Schritt damit, nicht länger als „Schaufenster-Opposition” für ein undemokratisches Regime dienen zu wollen. Hier sind zwar Kandidaten nachgerückt, sie werden jedoch von DP und LSI nicht als Vertreter der Opposition anerkannt. Sie unterstellen den neuen Mandatsträgern, von der Sozialistischen Partei gekauft worden zu sein. Somit befindet sich Albanien derzeit in einer tiefen innenpolitischen Krise.
Auch wirtschaftlich sollen Onlinemedien gegenüber Fernsehsendern schlechter behandelt werden. Können Sie das genauer erklären?
Sittig: Im Januar wurden eine Reihe von Änderungen im Steuerpaket eingeführt. Demnach müssen für Werbung in Onlinemedien 20 Prozent Mehrwertsteuer entrichtet werden, für Werbung in audiovisuellen Medien jedoch nur 6 Prozent. Dadurch werden die audiovisuellen Medien begünstigt. Nach unserer Einschätzung will die Regierung damit die Onlinemedien stärker reglementieren, weil sie deutlich kritischer gegenüber der Regierung sind und insbesondere im investigativen Bereich viele Korruptionsfälle aufgedeckt haben.
Wie hat die albanische Bevölkerung auf das Gesetz reagiert?
Sittig: Die albanischen Medien- und Journalistenorganisationen bereiteten eine Informationskampagne über die Risiken des Gesetzes vor und organisierten Proteste. In parlamentarischen Ausschüssen fanden Anhörungen statt, bei denen sich Vertreter von Zivilgesellschaft und Medien gegen den Entwurf ausgesprochen haben. Dies taten auch mehr als 20 Organisationen mit einer eigenen Petition. Zudem gab es die Aufforderung der Kritiker an den albanischen Staatspräsidenten ,Ilir Meta, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Zumindest der letzte Punkt war jetzt erfolgreich. Meta hat vor wenigen Tagen aus verfassungsrechtlichen Bedenken sein Veto gegen das Gesetz eingelegt.
Text: Luise Geck, Illustration: Maria Zimbal, Foto: Hendrik Sittig