Es ist Montag, die Glocke kündigt den Beginn der ersten Schulstunde an. Dort geht es heute um Prozentrechnung. Mathe am Morgen, so richtig wach sind die im Durchschnitt 12-jährigen Schülerinnen und Schüler noch nicht. Die Deutschstunde danach gehört voll und ganz Erich Kästner. Die Kinder müssen eines seiner Gedichte vortragen. Nach der Pause sitzen die Siebtklässler im PC-Pool. Dort spricht ein Lehrer mit ihnen über Social Media. „Welche sozialen Netzwerke nutzt ihr“, fragt er. Wenig später kommt er auf das Thema Cybermobbing zu sprechen.
So oder so ähnlich könnte ein normaler Schultag an der Freiherr vom Stein-Schule in Hessisch Lichtenau ablaufen. Zwei Lehrer haben hier in Abstimmung mit ihren Kollegen ein neues Schulfach etabliert: Computer- und Medientraining, kurz CoMeT. Seit 2015 lernen Schüler der siebten und achten Klasse dort in zwei Schulstunden pro Woche den Umgang mit digitalen Medien kennen. Im Stundenplan von CoMeT stehen dabei sowohl die Arbeit mit Word, Excel und PowerPoint, als auch das richtige Recherchieren im Internet und Datenschutz. Im Fach wird Informatik mit Medienkompetenz gemischt. Dazu kommt der Umgang mit Bild- und Videobearbeitungsprogrammen.
„Obwohl die Schülerinnen und Schüler WhatsApp und Social Media alltäglich nutzen, zum Teil auch Erfahrungen mit Cybermobbing machen mussten, fehlt es ihnen oft an grundlegenden Kenntnissen“, erklärt Erik Meyfahrt, Initiator von CoMeT, im Forum bildung.digital. „Das Unterrichtsfach CoMeT soll die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler stärken, damit sie auch den Gefahren nicht ahnungslos gegenüberstehen.“
Medienkompetenz mittelmäßig
Die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) hat 2013 zum ersten Mal im Rahmen einer Studie die Medienkompetenz von Achtklässlern international untersucht. In Online-Tests wurden unter anderem Kompetenzen, wie das Recherchieren im Internet und die Bewertung von Quellen betrachtet. Das Ergebnis: Deutsche Schüler liegen im Mittelfeld – vor der Slowakei und Russland und hinter Polen und der Tschechischen Republik. Außerdem erreichte rund ein Drittel der deutschen Schüler nur die beiden unteren Anforderungsstufen, die die Autoren der Studie definiert hatten. Neue Untersuchungsergebnisse sollen 2019 veröffentlicht werden.
Die Forscher der IEA empfahlen daraufhin, die Stundenpläne an Schulen entsprechend der vorher definierten Anforderungsstufen auszurichten. Den Wunsch, Medienkompetenz an Schulen zu integrieren, gebe es allerdings schon seit Anfang der 2000er, erklärt Dr. Verena Jahn. Die Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin unterrichtet unter anderem Medienwirkungsforschung und Medienkompetenz an der Hochschule Mittweida. „Die Debatte um ein Schulfach Medien kommt immer wieder mal hoch und verschwindet dann wieder in der Versenkung, bis es den nächsten medialen Act gibt“, so Jahn. Nach dem die Kultusministerkonferenz 2016 öffentlichkeitswirksam beschlossen hatte, die technische Ausstattung an Schulen und Fortbildungen für Lehrkräfte zu fördern, machten sich andere für die Umsetzung eines Schulfachs Medien stark. Dazu gehören unter anderem Barbara Thiel, Nordrhein-Westfalens Beauftragte für Datenschutz und der Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Niedersachsen Johannes Schmidt.
Fach oder fachübergreifend?
Dass Medienbildung bisher wenig im Schulunterricht Platz finde, habe verschiedene Gründe, so Jahn. „Wahrscheinlich weiß die Politik nicht so recht, wie man ein Schulfach Medien umsetzen soll. Das fängt bereits in der Zieldefintion an: Will man nur technisches Faktenwissen vermitteln oder schult man die Schülerinnen und Schüler auch im kritischen Umgang mit neuen Medien?“
Dabei scheiden sich die Geister bereits darüber, ob man für Medienbildung überhaupt ein eigenes Schulfach wie CoMeT brauche. Ein andere Möglichkeit sei, Medienkompetenz fachübergreifend zu vermitteln. Diese Option befürwortet Verena Jahn: „Beispielsweise könnte das Verifizieren von Quellen gut in den Geschichts- oder Gemeinschaftskundeunterricht eingebaut werden. Ein Vorteil wäre dabei, dass keine Inhalte in anderen Fächern weggelassen werden müssten, was bei einem eigenständigen Schulfach der Fall wäre.“
16 Bundesländer, 16 Konzepte
Barbara Thiel ist anderer Meinung: „Es reicht nicht aus, Medienkompetenz in andere Fächer zu integrieren, um die erheblichen Defizite der Schülerinnen und Schüler um Umgang mit digitalen Medien zu beheben.” Ein eigenständiges Schulfach müsse her. Das Problem dabei: Wegen des Föderalismus im deutschen Bildungssystem, kann jedes Bundesland selbst über die Umsetzung eines solchen Fachs entscheiden.
Wie die Märkische Allgemeine Zeitung berichtet, ist Mecklenburg-Vorpommern bisher das einzige Bundesland, in dem es flächendeckend das Fach „Informatik und Medienkunde“ gibt. Es befindet sich derzeit in einem dreijährigen Modellversuch und soll Siebtklässlern die technischen Hintergründe und die Nutzung von digitalen Medien näher bringen.
In Sachsen soll auch in Zukunft kein eigenes Schulfach für Medienkompetenz eingeführt werden. „Derzeit werden die Lehrpläne aller Fächer und Schularten ab der Grundschule überarbeitet. Im Ergebnis werden ab nächstem Schuljahr 2019/2020 Inhalte der Medienbildung fachspezifisch und altersgerecht verpflichtender Inhalt des Unterrichts sein“, erklärte das sächsische Kultusministerium auf Anfrage der medienMITTWEIDA–Redaktion. Eine fachübergreifende Lösung sei geplant. Ziel sei es, dass ab dem Jahr 2022 Medienbildung im Unterricht „konkret erlebbar“ ist. Außerdem setzt das Ministerium auf die Aktivität der Eltern: „Eltern sollen dabei zukünftig vermehrt Angebote für Medienkompetenz unterbreitet werden. Darauf zielt eine derzeit in Vorbereitung befindliche Strategie für den außerschulischen Bereich.”
Chance für Chancengleichheit
Bislang ist es die alleinige Verantwortung der Eltern, dass sie den Medienkonsum ihrer Kinder kontrollieren. Verena Jahn befürchtet, dass die Einführung eines Schulfaches wie CoMeT eine Trägheit bei Eltern auslösen könnte: „Falls Medienkompetenz in der Schule vermittelt wird, könnten Eltern die gesamte Verantwortung für die Mediennutzung ihrer Kinder bei den Lehrern sehen. Womöglich kontrollieren sie dann ihre Kinder nicht mehr.“
Die Gefahr, dass Schulkinder durch das öftere Nutzen digitaler Medien im Unterricht verstärkt in virtuelle Welten abdriften, sieht die Medienwissenschaftlerin nicht. „Schülerinnen und Schüler entdecken neue Verwendungszwecke digitaler Medien und lernen, ihren Umgang mit ihnen besser zu reflektieren.“
Für Verena Jahn überwiegen die Vorteile des Faches Medienkompetenz in der Schule. Vor allem weil sich eine negative, soziologische Entwicklung mit einem Schulfach Medienkompetenz bremsen ließe: Die sogenannte Wissenskluft entsteht dadurch, dass Menschen mit höherer Bildung und besserer Medienkompetenz in einer digitalisierten Welt mehr Wissen anhäufen können als weniger gebildete. „Ein einheitliches Schulfach könnte das weitere Wachstum der Wissenskluft verhindern“, vermutet die Wissenschaftlerin. Außerdem wäre die Einführung von Medienkompetenz als Schulfach ein weiterer Schritt in Richtung Chancengleichheit. „Kinder, die aufgrund ihrer familiären Situation keinen Zugang zu digitalen Medien haben, könnten dann in der Schule damit arbeiten.“
Dem Schulfach Medien steht noch einiges im Weg: Neben der noch immer mangelhaften technischen Infrastruktur, seien laut Verena Jahn aktuell die dürftigen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte ein Problem. Deshalb hänge die Medienbildung oft am Engagement einzelner Lehrer, wie die Studie „Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung feststellte. Das traf auch auf die Freiherr vom Stein-Schule zu. Doch im Kollegium der hessischen Gesamtschule bestand von Anfang an großes Interesse am Fach, weshalb Erik Leyfahrt und sein Kollege interne Schulungen anboten. Das Ergebnis spricht für einen Erfolg: Zehn Lehrerinnen und Lehrer haben mittlerweile CoMeT an der Freiherr vom Stein-Schule unterrichtet.
Text: Paul Haubold, Titelbild: Marie Kühnemann und Paul Haubold
Meinung des Autors
Scheinheilig
Wieder einmal steht sich Deutschland mit seinem eigenen Bildungssystem im Weg. Was für Abiturprüfungen in den verschiedenen Bundesländern gilt, wird auch bei der Integration von Medienkompetenz in die Lehrpläne gelten: Die einen machens so, die anderen anders. Dadurch wird auch die Hoffnung, dass mithilfe eines Schulfachs Medien ein Stück mehr Chancengleichheit hergestellt wird, vernichtet. Jede deutsche Schülerin und jeder deutsche Schüler wird zwar etwas vom richtigen Umgang mit digitalen Medien gehört haben, aber das unterschiedlich intensiv. Obwohl jetzt von politischer Seite erste, wichtige Schritte unternommen werden, ist die Motivation hinter den neuen Konzepten scheinheilig: Es braucht für Kultusminister erst eine internationale Studie, in der deutsche Kinder mittelmäßig abschneiden, um über die 20 Jahre alte Lehrpläne nachzudenken. Die Motivation ist nicht, dass Schülerinnen und Schüler gut auf das Leben in einer digitalisierten Welt vorbereitet werden, sondern dass man in internationalen Rankings gut da steht. Deshalb ist der Studie der IEA nur zu danken: Ohne sie würde man in deutschen Schulen wahrscheinlich nie etwas von Instagram, Cybermobbing und dem Recht am eigenen Bild hören.