Deutschsprachige Titel sucht man in den jährlichen Weihnachtshitparaden der Radiosender vergebens. Woran liegt das? Trauen sich die Sender nicht, neue deutsche Weihnachtsmusik in ihr Programm aufzunehmen? Oder können es deutsche Weihnachtspoptitel einfach nicht mit den bekannten englischen Vertretern der Kategorie aufnehmen? Eine Weihnachtsliedgeschichte.
Im ersten Teil ging es zentral um die Frage, warum im Radio zu Weihnachten immer die gleichen Songs zu hören sind. medienMITTWEIDA hat auch die Radiohörer gefragt, was ihrer Meinung nach der Grund dafür sein könnte. Im folgenden Audiopodcast wird noch einmal über die falschen und richtigen Vorstellungen aufgeklärt:
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Last easter I gave you my heart…
Ein erfolgreiches Weihnachtslied muss also das Gefühl von Weihnachten vermitteln und es durch seine Beschaffenheit dazu bringen, selbst irgendwann zur Tradition dazuzugehören. Damit ein Musikstück dabei überhaupt den „(Zeit-)Geist der Weihnachtsstimmung“ treffen kann, könnte ja angenommen werden, dass diese Lieder auf eine ganz eigene Weise komponiert und geschrieben werden. Jedoch gibt es einige Beispiele von Weihnachtsliedern, die diesen Gedanken zumindest nur eingeschränkt bestätigen.
Vor allem in Deutschland existiert dazu das Gerücht, „Last Christmas“ sollte ursprünglich als „Last Easter“ konzipiert worden sein. Nur auf die Forderung der Plattenfirma hin, schnellstmöglich einen Weihnachtssong zu veröffentlichen, soll Komponist George Michael den bis dato unveröffentlichten Song „Last Easter“ hervorgezogen und lediglich das Wort „Easter“ − also englisch für Ostern − mit „Christmas“ für „Weihnachten“ ersetzt haben. Bestätigt wurde diese Version der Entstehungsgeschichte des Songs allerdings nie, weswegen ihr Wahrheitsgehalt fragwürdig bleibt. Dem Song hängt dafür aber ein anderer verwerflicher Vorwurf an: „Wham!“ geriet mit Barry Manilow in einen Rechtsstreit, weil dieser behauptete, „Last Christmas“ berge zu große Ähnlichkeit zu seinem Song „Can’t smile without you“. Wohl ganz im Sinne des weihnachtlichen Geistes trafen beide Parteien jedoch eine friedliche außergerichtliche Einigung und spendeten alle mit dem Lied eingeholten Einnahmen des ersten Jahres an das Projekt „Band Aid“, das Geld für die Hungersnotopfer in Äthopien sammelte.
Eine eindeutige Umschreibung in der Bedeutung eines gängigen Songs hin zu einem Weihnachtssong fand allerdings bei „Coca-Cola“ statt: Das von „Train“ veröffentlichte „Shake Up Christmas“, das Teil der Coca-Cola-Weihnachtswerbekampagne 2010 war, ist − bis auf den Text − fast komplett identisch mit dem Song der ebenfalls von „Coca-Cola“ initiierten „Open Happiness-Kampagne“ von 2009. Auf beide Titel lässt sich im Übrigen auch − mit leicht abgewandeltem Rhytmus − die Melodie von „Don’t Worry, Be Happy“ singen, was bei einer „Happiness“-Kampagne sicherlich kein Zufall sein muss.
Beispiele lassen sich aber auch in Weihnachtsliedern finden, deren Entstehung schon deutlich weiter zurück liegt. Bekanntester Fall ist wohl das Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, das auf die Melodie des französischen Volksliedes „Ah! Vous dirai-je, Maman“ gesungen ist. Das Stück leiht seine Melodie sogar noch einigen anderen bekannten Liedern, wie dem Alphabet-Lied oder dem englischsprachigen „Twinkle, Twinkle, Little Star“. Inhaltlich haben diese Lieder allesamt nichts gemeinsam.
Alle Lieder gibt es hier auch zum Nachhören für den direkten Vergleich in einer „Spotify“-Playlist.
Deutsch oder nicht – Eine Frage der Einstellung
Es ist also zumindest in manchen Fällen möglich, ein vorhandenes Lied rein mit neuem Text in ein Weihnachtslied umzuschreiben, das von den Menschen als solches auch angenommen wird. Doch auch wenn sie deutschlandweit allseits bekannt sind und akzeptiert werden, sind alte deutschsprachige Weihnachtssongs wie das eben genannte „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ auf deutschen Radiosendern eher die Ausnahme. Doch auch neue, modernere deutschsprachige Weihnachtslieder finden sich so gut wie nie unter den immer wiederkehrenden Weihnachtstiteln. Warum eigentlich nicht?
Zunächst sollte man das Problem etwas korrekter beleuchten. Auf Special-Interest-Radiosendern im Internet und Kulturradiosendern wie „MDR Figaro“ werden in der Tat sehr viele deutschsprachige Weihnachtslieder gespielt. Es ist bei Radiosendern vordergründig eine Frage des Formats. Die Sender spielen nur die Musik, die zu ihrer musikalischen Ausrichtung und ihrer Ansicht nach zu ihrer Zielgruppe passt. Es gibt zwar sehr viele alte deutschsprachige Weihnachtslieder, wie zum Beispiel „Leise rieselt der Schnee“ oder „Es ist ein Ros entsprungen“, sie alle haben jedoch einen sehr viel ruhigeren und besinnlicheren Charakter, als die moderneren Titel der letzten Jahrzehnte, wie beispielsweise Mariah Careys Titel „All I want for Christmas is You“ oder Slades „Merry Xmas Everybody“. Damit kommen sie für Sender, die sich beispielsweise an ein jüngeres Publikum richten, und sonst nur modernere und geladene Titel spielen, wohl nur sehr schwer in Frage.
Modernere deutschsprachige Weihnachtslieder, die versuchen, sich den bestehenden Besinnlichkeits-, Freuden- oder Nostalgiegedanken der bestehenden Weihnachtslieder anzuschließen, kommen dabei fast ausschließlich von Schlagersängern. So hat beispielsweise Frank Schöbel einige neue deutschsprachige Weihnachtslieder geschrieben, wie etwa den Titel „Wir haben einen Weihnachtsbaum“. Der jüngste wohl am meisten verbreitete deutschsprachige Weihnachtstitel stammt dabei aber von Kinderliedautor Rolf Zuckowski. Sein Weihnachtslied „In der Weihnachtsbäckerei“ gehört heute wohl für viele schon zum Standard-Weihnachtsliedrepertoire dazu. Und das, obwohl es erst 1987 veröffentlicht wurde und somit sehr viel jünger ist, als viele andere deutschsprachige Weihnachtslieder mit einem ähnlichen Bekanntheitsgrad. Nur sind all diese Titel für viele Popmusik-ausgerichtete Radiosender ebenso wenig reizvoll.
Ein solcher Sender würde es sich jedoch kaum entgehen lassen, ein entsprechend neues deutschsprachiges Lied zu spielen, wenn es Potential hätte, bei den Hörern sehr gut anzukommen. Liegt es also vielmehr an den deutschen Popmusikinterpreten und -künstlern, dass keine neue deutschsprachige Weihnachtsmusik in „jüngeren“ Radios gespielt wird? Schaffen es deutsche Popmusiker nicht, den verbreiteten englischsprachigen Weihnachtshits ein erfolgreiches deutschsprachiges Weihnachtslied entgegenzusetzen?
Die eben genannten Titel gibt es in einer „Spotify“-Playlist hier zum Nachhören.
Deutsche vs. englische Weihnachtssongs
Radioberater Frank Wilkat glaubt nicht, dass es an der Qualität der deutschen Songschreiberkünste liegt: „Viele deutsche Künstler beweisen ja, dass man mit guter deutscher Musik sehr gute Ergebnisse erzielen kann. Ich sehe keinen Grund, warum solche Künstler nicht auch gute Weihnachtslieder schreiben könnten. Ich glaube, es traut sich nur keiner. Ich glaube, wenn es einer gut machen würde, hätte es gute Chancen, dass es funktioniert.“
Dass auch deutsche Interpreten zumindest prinzipiell mit Weihnachtsliedern Erfolg haben können, beweist zum Beispiel Sarah Connor mit „Christmas in my Heart“. Doch genau wie die Weihnachtslieder vieler anderer deutscher Künstler ist auch dieses in englischer Sprache verfasst.
Es stimmt dabei jedoch nicht, dass deutsche Künstler außerhalb des Schlagergenres überhaupt keine neue deutschsprachige Weihnachtsmusik schreiben. So haben zum Beispiel Die Toten Hosen unter ihrem Pseudonym Die Roten Rosen ein ganzes Weihnachtsalbum veröffentlicht. Auch Sido brachte 2003 erstmalig seinen „Weihnachtssong“ heraus, insgesamt wurde er sogar dreimal als Single veröffentlicht. Und auch Die Fantastischen Vier steuerten ihr „Frohes Fest“ zu den deutschen Weihnachtssongs bei. Allerdings befassen sich sämtliche dieser Lieder inhaltlich sehr gesellschaftskritisch oder zweideutig mit dem Thema Weihnachten. So singen Die Toten Hosen in „Weihnachtsmann vom Dach“ von einem Weihnachtsmann, der sich erhängt und Sido davon, wie er als personifizierter Weihnachtsmann in ein Haus einbricht und die Nase „voll Schnee“ hat. Die Single „Frohes Fest“ wurde wegen des Liedtextes sogar von der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien indiziert.
Alle diese Titel gibt es hier in einer „Spotify“-Playlist zum Nachhören. Nur die Titel „Weihnachtsmann vom Dach“ und „Frohes Fest“ sind bisher nicht in der Spotify-Musikbibliothek mit aufgeführt und können daher nicht mit angegeben werden.
Warum es neue Weihnachtslieder so schwer haben
Doch deutschsprachige Titel, die Chancen haben, oder zumindest versuchen, mit den englischsprachigen Weihnachtshits zu konkurrieren, sind nur sehr schwer zu finden. Das Weihnachtsalbum der Popmusikerin Nena richtet sich beispielsweise vorzugsweise an Kinder, was nach einem kurzen Durchstöbern der Titel wie „Hurra es schneit“ unschwer zu erkennen ist. Ein „richtiges“ Popmusikalbum produzierten dagegen Die Prinzen mit ihrer „Festplatte“. Darauf sind einige Eigeninterpretationen bekannter Weihnachtslieder, aber auch eigene, popweihnachtlich angelegte Stücke mit deutschem Text enthalten.
Doch trotzdem ist keines dieser Lieder in den gängigen Weihnachtsplaylisten der Radios aufgeführt. Wilkat bezieht dies auf die generelle Herausforderung, die Weihnachtslieder mit sich bringen: „Bei Weihnachtsliedern haben Künstler zum Bekanntwerden einfach nicht so viel Zeit. Sie haben ja die maximale Zeit der vier oder sechs Wochen vor Heiligabend, denn danach und davor wird niemand dieses Lied spielen. Deswegen können wohl so viele der alten Weihnachtslieder so lang so weit oben bleiben: Weil es neue Weihnachtslieder sehr schwer haben, sich zu etablieren.“
Wilkat erläutert weiterhin, neue Weihnachtstitel hätten auch nur dann wirklich gute Chancen, wenn sie extrem von den Medien gepusht würden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das erfolgreiche moderne Weihnachtslied „Wonderful Dream (Holidays are Coming)“ von Melanie Thornton, das in Verbindung mit einer groß angelegten Coca-Cola-Weihnachtskampagne gestartet ist. Durch die große Medienpräsenz des Liedes im Rahmen der Kampagne kann sich der Song bis heute erfolgreich als beliebtes Weihnachtslied behaupten.
Doch Wilkat betont, dass auch der Song an sich eine Rolle spielt, damit sich ein längerfristiger Erfolg einstellen kann. So fielen alle anderen bisherigen Versuche von Coca-Cola, ein neues Weihnachtslied begleitend zu ihrer Kampagne zu veröffentlichen und zu etablieren, weniger gut aus.
Alle in diesem Absatz genannten Titel gibt es hier in einer „Storify“-Playlist zum Nachhören.
Nicht in Winterlaune?
Der bei Weihnachtsliedern so begrenzte Zeitfaktor erklärt auch, warum die Deutschen dafür umso fleißiger sind, wenn es um deutschsprachige Sommerlieder geht. Ob bei „36 Grad“ von Zweiraumwohnung, „Am Strand“ von Yasha oder bei „Sommer, Palmen, Sonnenschein“ mit Die Ärzte – im Sommer finden sich einige neue deutschsprachige Lieder, die bei den Hörern mehr als gut ankommen. „Der Sommer hat deutlich länger Zeit, seine Musik zu etablieren. Einen Sommersong kann im Mai starten und bis in den Herbst gespielt werden. Das sind einfach deutlich mehr Wochen, die er bekommt, als ein Weihnachtstitel, der maximal sechs Wochen vor Heiligabend läuft“, erläutert Wilkat.
Die Dominanz der englischsprachigen Popweihnachtslieder in deutschen Radios hat also weniger mit einer Engstirnigkeit der Radiosender oder einer mangelnden Qualität deutscher Songschreiber(-innen) zu tun, sondern mehr mit den besonderen Herausforderungen, denen sich neue Weihnachtslieder stellen müssen: Große, bei den Hörern sehr eingebrannte Konkurrenz und nur ein sehr knapper Zeitrahmen, um mit dem eigenen neuen Titel zu überzeugen. Probleme, denen sich jedoch auch neue englischsprachige Weihnachtslieder stellen müssen.
In Hinblick auf die aktuellen Charts stellt sich jedoch die Frage, ob man in Deutschland im Moment überhaupt so große Lust auf Winterlieder hat. Denn auch in den oberen Plätzen der Charttabellen befinden sich noch sehr viele sommerliche Lieder, wie zum Beispiel „Jubel“ von Klingande, dessen Stil und Musikvideo nicht sommerlicher hätte ausfallen können. Da scheint man in Deutschland musikalisch eher winterlaunisch als in Winterlaune zu sein, was auch an dem zu großen Teilen noch wenig winterlichen Wetter liegen mag. Wie gut, dass es da reicht, einfach das Radio einzuschalten und sich von den altbekannten Titeln wieder in die traute Weihnachtsstimmung bringen zu lassen – denn es sind immer wieder dieselben Lieder. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Text: Tim Bergelt, Grafik: Kristin Jacob.