Schmeißt das Popcorn in die Mikrowelle und wärmt die Käsesoße auf. Es ist wieder Nacho-Time, dieses Mal in der Netflix-Edition. Noch hat der Streaming Dienst einige Neuheiten in petto und sorgt für mal mehr, mal weniger qualitativ hochwertige Unterhaltung, aber dazu gleich mehr. In diesem Monat werde ich euch verraten, ob Michelle Obamas Buchverfilmung „Becoming – Meine Geschichte“ gelungen ist, ob „Nur die halbe Geschichte“ mehr zu bieten hat, als seichte Teenie-Unterhaltung und warum „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ mein Hidden Gem des Monats und einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist. Also, legen wir los.
Was kommt nach dem weißen Haus?
Nachdem ihr Buch zum internationalen Bestseller wurde, kann man sich auf Netflix nun auch Teile ihrer Geschichte als Dokumentation anschauen. „Becoming – Meine Geschichte“ greift in herzerwärmenden Bildern die Buch-Tour von Michelle Obama auf und lässt sie noch einmal ihre Vergangenheit rekapitulieren. Was bedeutet es, als erste schwarze Frau zur First Lady zu werden? Einen tieferen Einblick in die Thematik bekommen nun auch diejenigen, die ihr Memoire noch nicht lesen konnten. Mit Bildern aus ihrer Kindheit, Videomaterial aus dem Wahlkampf im Jahr 2008, als Barack Obama das erste Mal zum Präsidenten gewählt wurde, bis hin zu Zeitzeugenberichten wird ihre Geschichte untermalt. Diese zeigt eine sehr offene und verletzliche Seite einer Frau, die lange nur anhand des Handelns und Auftretens ihres Mannes bemessen und damit oft zur öffentlichen Zielscheibe wurde.
Fast wie ein Popstar wirkt sie dabei in einigen Momenten, wenn man die großen Hallen sieht, die sie mit Menschen füllt, die von ihrer Geschichte noch immer bewegt und inspiriert werden. Sie muss nicht über Politik sprechen, um klar zu machen, was sie dazu motiviert, weiterhin für ihr Land einzustehen. Besonders den jungen Menschen will sie mehr Perspektive für ihre Zukunft bieten. Es reicht, dass sie ihre Geschichte teilt und sich die Zeit nimmt, tatsächlich auf die Menschen zuzugehen. Sie legt eine Menschlichkeit an den Tag, die in den USA unter der Trump-Regierung sicherlich von einigen vermisst wird.
Mit knapp 89 Minuten schafft es der Film, kurzweilig zu bleiben, doch gleichzeitig viele Abschnitte von Michelle Obamas Leben zu beleuchten. Dabei wird viel Wert darauf gelegt, sie auch in Alltagssituationen zu zeigen und ihren Mann möglichst aus den Bildern herauszuhalten. Sowohl ihr Buch als auch die Dokumentation scheinen für sie auch ein Mittel zu sein, aus dem Schatten ihres Mannes herauszutreten. Sie will mehr sein, als nur die „Frau des Präsidenten“ und emanzipiert sich mit der Verfilmung ihrer Geschichte von diesem Bild. Das ist vermutlich auch der Grund, warum das Filmmaterial an einigen Stellen etwas zu glorifiziert wirkt. Zwar zeigt Michelle Obama sich sehr ehrlich, locker und witzig, dennoch bekommen wir von ihr keine fehlerhaften Seiten zu sehen, die sie als Person glaubwürdiger und nahbarer machen würden.
„Becoming – Meine Geschichte“ bleibt nichtsdestotrotz eine sehr sehenswürdige Dokumentation und bietet einen einmaligen Blick hinter die Kulissen des Weißen Hauses und der Rolle einer First Lady. Michelle Obama ist eine sehr starke und engagierte Frau. Man kann nur hoffen, dass ihre Geschichte auch die Wähler in den USA wieder an eine Zeit erinnert, in der Menschen an der Regierungsspitze standen, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft gekämpft haben, nicht für ihre Spaltung.
Briefe an Aster
Nach „To all the boys I loved before“ versucht Netflix nun den neuen großen Teenie-Hit auf die Plattform zu bringen und gleichzeitig, ein Pendent zur klassischen Liebeskomödie zu schaffen. „Nur die halbe Geschichte“ will Freundschaft statt Liebe primär in den Fokus stellen und beschäftigt sich dabei unterschwellig mit Themen wie Homosexualität und Migration. Dabei wird auf eine sehr klischeebehaftete Grundstory zurückgegriffen. Eine Außenseiterin, die zwar sehr intelligent und talentiert ist, jedoch zu introvertiert, um richtig in den typischen High-School Alltag zu passen. Sie entwickelt schließlich eine ungewöhnliche Freundschaft zu einem Spitzensportler. Dies sorgt dafür, dass sie endlich lernt, aus sich herauszukommen und für ihre wahren Gefühle und Träume einzustehen.
Dafür, dass der Film bereits in den ersten Sequenzen und im Trailer von sich selbst behauptet, keine klassische Liebesgeschichte zu erzählen, funktioniert er exakt nach dem Schema F einer klassischen Liebesgeschichte. Die Protagonistin Ellie Chu (Leah Lewis) schreibt für den Football-Spieler Paul Munsky (Daniel Diemer) Liebesbriefe, da dieser nicht besonders gut mit Worten umgehen kann. Dabei entwickelt sich zwischen den beiden eine sehr unschuldige, aber besondere Freundschaft. Es gibt nur ein Problem: Die beiden sind in das selbe Mädchen verliebt, Aster Flores (Alexxis Lemire). Dieser Konflikt sorgt jedoch im Laufe der Handlung für erstaunlich wenig Spannung und wird am Ende auch sehr unspektakulär aufgelöst. Ellie kann zwar sehr gewählt schreiben und hat ein paar sehr poetische Plotlines, doch sobald sie mit anderen Menschen interagiert, verliert ihr Charakter sofort an Tiefe. Obwohl Paul und Aster tragende Rollen im Geschehen spielen, bleiben auch sie leider bis zum Schluss nur sehr oberflächlich beleuchtet, was eine emotionale Identifikation mit den Charakteren weitestgehend unmöglich macht.
Auch der Soundtrack ist sehr durchschnittlich sowie minimalistisch gehalten. Oftmals wird komplett auf Hintergrundmusik verzichtet oder es laufen ein paar Radiolieder, die wenig zur Stimmung des Films beitragen. Selbst der Song, den Ellie zum Ende hin auf der Bühne spielt, ist sehr kurz und zwar schön, aber nicht wirklich etwas Besonderes. Nur die Settings und das Color Grading vermögen es, allgemein einen etwas artistischeren Look zu schaffen, der das Endprodukt zumindest nicht komplett lieblos erscheinen lässt. Man kommt jedoch nicht um die Frage herum, ob „Nur die halbe Geschichte“ nicht doch einfach versucht hat, auf einen Trend aufzuspringen, der sich in den letzten Jahren in der Filmindustrie abzuzeichnen begonnen hat. Immer mehr Wert wird auf Diversität gelegt und nach dem Erfolg von „Crazy Rich Asians“ finden sich auch immer häufiger SchauspielerInnen mit asiatisch-ethnischem Hintergrund in den Hauptrollen. Der Ansatz ist zwar definitiv löblich, sollte jedoch nicht nur dazu instrumentalisiert werden, eine breitere Zielgruppe für die eigene Geschichte zu gewinnen, ohne am Ende sein Qualitätsversprechen einhalten zu können.
„Nur die halbe Geschichte“ ist handwerklich sowie erzählerisch kein schlechter Film und an einigen Stellen auch unterhaltsam. Doch er schafft es einfach nicht, aus der Masse anderer Liebeskomödien herauszustechen und bleibt damit leider nur ein durchschnittlicher Zeitvertreib für zwischendurch. Es ist und bleibt eben nur eine halbe Geschichte.
Wenn der Wind sich dreht
Nach langem Warten war es im April endlich soweit. Das Filmstudio Ghibli stellt auf Netflix nun auch seine Animationsfilme zur Verfügung. Es ist wohl vor allem für Klassiker wie „Chihiros Reise ins Zauberland“, „Mein Nachbar Totoro“ und „Prinzessin Mononoke“ bekannt. Doch auch hier gibt es ein paar Hidden Gems, die zum Zeitpunkt ihrer Erscheinung im internationalen Raum viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen haben. Einer dieser ist „Nausicaä aus dem Tal der Winde“. Ein zeitloses Meisterwerk aus der Feder von Hayao Miyasaki, das es auch nach 36 Jahren noch schafft, unserer Welt einen Spiegel vorzuhalten. Über Krieg, Klimawandel hin zu alltäglichem Heroismus greift der Film Themen auf, die auch in der Corona-Krise noch relevant bleiben und uns beschäftigen. In einer postapokalyptischen Zeit wurde der Großteil der Erde von sogenannten Titanen zerstört, künstliche Krieger, die von Menschen geschaffen wurden. Seitdem breitet sich ein „Meer der Fäulnis“ aus, zerstört ganze Städte und Landstriche und bringt riesige Insekten hervor, die alles fressen, was ihnen in den Weg kommt. Die Protagonistin Nausicaä wohnt im Tal der Winde, einer der wenigen Orte, der durch günstige Windströmungen noch von den giftigen Sporen verschont geblieben ist. Doch das Gefühl des Friedens währt nicht lange, als eines Tages ein fremdes Schiff nicht weit entfernt des Tals abstürzt und ein neuer Krieg auszubrechen droht.
Wer zerstört wen: die Natur uns oder wir die Natur? In vielen seiner Filme beschäftigte sich der Ghibli-Gründer mit den Auswirkungen, die der menschliche Einfluss auf unsere Umwelt hat. In „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ lernen wir als Zuschauer Stück für Stück die Tiere, vor denen sich der Großteil der Welt hier fürchtet, genauso zu lieben, wie unsere Protagonistin sie liebt. Für sie sind das „Meer der Fäulnis“ und die Tiere, die es bewohnen, mehr als nur Monster und Gift. Für ihr Dorf gewinnt sie Rohstoffe von ihnen und forscht nach Möglichkeiten, wie Natur und Mensch wieder überall im Einklang leben können. Sie geht dabei so liebevoll mit sowohl den Insekten des Waldes, als auch den Bewohnern ihres Dorfes um, dass wir Nausicaä sofort ins Herz schließen. Trotz ihres jungen Alters zögert sie nicht, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um einen Krieg gegen die Fäulnis zu verhindern.
Hayao Miyazaki
Hayao Miyasaki wurde am 5. Januar 1941 in Tokio geboren und entdeckte seine Liebe zu Animationsfilmen während seiner Oberschulzeit, als er „Hakujaden“ sah, den ersten japanischen Animations-Spielfilm. Er wechselte lange zwischen verschiedenen Animationsstudios, bis er mit seinem eigenen Projekt „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ einen so großen Erfolg erzielte, dass er sein eigenes Studio gründen konnte. Die Geschichte hierfür basierte auf einer Manga Reihe, die er zuvor für das Magazin Animage zeichnete. 1997 brach er mit seinem Film „Prinzessin Mononoke“ alle vorherigen japanischen Box Office Rekorde und für „Chihiros Reise ins Zauberland“ erhielt er zusammen mit zahlreichen japanischen Auszeichnungen ebenfalls den Oscar für den besten Animationsfilm des Jahres 2003. Zum weltweiten Erfolg der Ghibli Filme trug lange auch Disney bei, die 1996 die ersten waren, die die Animationsfilme international vertonten und auf den Markt brachten.
Unterlegt mit dem magischem Soundtrack von Joe Hisaishi werden wir immer weiter von der Handlung mitgerissen. Die verträumte Orchestermusik sticht mit ihren emotionalen Tönen mitten ins Herz und trägt Leid und Freude gleichermaßen. Sie unterstreicht damit die Magie der Welt, die durch ihren Detailreichtum im Zeichenstil ein Gefühl eines authentischen Paralleluniversums zu dem unsrigen bietet. Als Kind mögen die Insekten des Waldes fast noch monsterartig und angsteinflößend gewirkt haben, doch wenn man sie sich heutzutage ansieht, weiß man die Liebe zum düsteren Detail des Schaffers zu schätzen. Wir erkennen schließlich, wer die wahren Monster sind, die hier die Erde bevölkern.
„Nausicaä aus dem Tal der Winde“ ist mehr als nur ein Film. Es ist ein Kunstwerk, das seinesgleichen sucht. Es geht über das Genre des Familienfilms hinaus und schafft eine Tiefe, die uns die eigene Welt in neuem Licht sehen lässt.
Filmweisheit der Woche
„Liebe ist chaotisch, schrecklich und egoistisch …und mutig.“
Ellie Chu („Nur die halbe Geschichte“)
Text: Clara S. Eckhardt, Titelbild: Anton Baranenko, Videos: YouTube/Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz, YouTube/Madman Anime