Notarztdienst

Wenn das Martinshorn ertönt

von | 17. Januar 2020

Der Notarztdienst rettet Leben. medienMITTWEIDA hat die Helfer einen Tag begleitet.

Ein zitterndes Mädchen, eingewickelt in einen dünnen Bademantel, wird von ihrem Vater  in die Kälte des Abends getragen. Der ganze Unterkörper ist überzogen von riesigen Brandblasen und offenen Hautstellen. Auf der Straße vor dem Haus steht bereits der Rettungswagen. Der Notarzt kommt auf sie zu, hilft , den Bademantel zur Seite zu schieben und das Kind auf die Trage zu legen, wo es sofort zugedeckt wird. Es wirkt geschockt, bleibt allerdings erstaunlich ruhig ,während der Arzt die kalte, blasse Hand nimmt.

Um acht Uhr morgens beginnt der Dienst. Ausgestattet mit einer Leihhose, einem T-Shirt und einer roten Jacke mit Lichtreflektoren stellt sich der Rettungssanitäter Martin Hoofe (Name von der Redaktion geändert) vor. Er wird mit dem Notarzt Gustav Müller (Name wurde von der Redaktion geändert) fahren. Allerdings werden die beiden nicht mit einem Rettungswagen fahren, sondern mit einem separaten Notarztwagen. Ein Arzt ist schließlich nicht für jeden Einsatz notwendig.

Anwesenheit eines Notarztes bei einem Einsatz

Die Anwesenheit eines Arztes ist oft nur dann notwendig, wenn die Behandlung ärztliche Kunst erfordert. Dazu gehören Entscheidungen, die nur ärztlich getroffen werden können sowie das Ausstellen von erforderlichen Bescheinigungen. Dazu gehören zum Beispiel Totenscheine, Behandlungsbescheinigungen, Dienstfähigkeitsbescheinigungen und Haftfähigkeitsbescheinigungen.

Der Tag beginnt ruhig und Herr Müller bietet den Anwesenden einen Tee an. Der Wasserkocher ist gerade fertig, als plötzlich ein hohes, lautes Geräusch ertönt. Der erste Einsatz für heute. Erstaunlich ruhig zieht der Arzt sich seine Jacke an und packt Schlüssel, Piepser und Kugelschreiber ein. In der Parkhalle stehen reihenweise Rettungs- und Notarztwagen nebeneinander. Martin sitzt bereits in dem kleineren, orange-weißen Notarztwagen und trägt die ersten Daten in ein Heft ein. Der Wagen hat nur drei Sitze und hinten befinden sich mehrere stämmige Schränke, gefüllt mit verschiedenen Medikamenten, die nur der Notarzt anwenden darf.

Man kann nicht immer helfen

Der Wagen fährt schnell, jedoch keinesfalls hektisch. Martin kennt sich in der Stadt gut aus und weiß, in welchen Ecken er mit dem größeren Wagen ohne Probleme fahren kann. Vor dem Notarztwagen fährt ein größerer Rettungswagen, beide sind auf dem Weg zum ersten Patienten.  Sie fahren ruhig und effizient und kommen keine fünf Minuten später am Ziel an.
Bereits zuvor wussten der Arzt und die Sanitäter, was sie ungefähr erwarten wird. Scheinbar handelt es sich um einen Kreislaufzusammenbruch, nichts Neues für die erfahrenen Nothelfer.

Vor Ort steht die Polizei bei einer zitternden Patientin. Die über 60-jährige Frau ist soweit in keinem kritischen Zustand, hat jedoch Panik. Mit ihren mageren Händen hält sie ihren Beutel fest an sich gepresst und schafft es kaum, selbst aufzustehen.
Die Sanitäter untersuchen die Frau und versuchen, sie zu beruhigen. Diese kann jedoch nicht aufhören zu erzählen, dass sie von der eigenen Tochter angegriffen und bestohlen wurde. „Geschlagen hat sie mich! Und meine Medikamente versteckt! Sie will mich aus dem Weg schaffen!“, wiederholt sie mehrfach.

Die Polizei untersucht diese Aussage: das kann gar nicht möglich sein. Anscheinend ist die benannte Tochter todkrank und derzeit nicht in der Lage, ihr Bett zu verlassen.

Trotz der erschreckend hohen Werte und des Zitterns weigert sich die Patientin, mit dem Rettungsdienst mitzukommen. Nach einer Stunde des Diskutierens begleiten Polizei und Rettungsdienst sie nach Hause. Dort helfen sie ihr nach oben, unter anderem, um ihre Krankenkassenkarte zu finden und zu scannen.

Beim Betreten der Wohnung trifft sie eine Welle verschiedener Gerüche. Auf dem Teppich ist Urin, ein Joghurtbecher liegt umgekippt und auslaufend auf dem Boden. Die Katze, die hier ebenfalls leben soll, ist nirgendwo zu finden. Keiner der Rettungssanitäter ist beunruhigt. Ohne ihr Gesicht zu verziehen und ihr Unwohlsein zu zeigen, betreten sie die Wohnung.

Trotz weiterer Anfragen weigert sich die Frau allerdings, mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus zu kommen. Nachdem sie die Patientin verlassen haben, ist die Stimmung gekippt. Die Stirn des Notarztes ist von Falten überzogen und er schüttelt unzufrieden seinen Kopf, während auch der Rettungssanitäter seufzt. „Wir konnten nicht helfen, diese Frau wird weiterhin unter Angstzuständen leiden.“, erklärt Herr Müller enttäuscht. Es fühle sich an, als habe man noch mehr tun können, ohne die Zustimmung der Patientin sei das jedoch nicht möglich gewesen.
Zurück auf der Rettungswache. Der Notarzt legt die Jacke ab und setzt sich.

Arbeit mit Publikum

Nach einem weiteren Notfall kommt Herr Müller nun endlich dazu, seinen Tee zu trinken. „Der Tag war tatsächlich bisher recht ruhig. Das kann sich allerdings im Bruchteil einer Sekunde ändern. Man kann sich als Notarzt immer darauf einstellen, dass man sich auf nichts vorbereiten kann. Kein Tag ist wie der andere.“, erzählt er.
Der Tee ist noch warm, als der Piepser ihn schon wieder dazu bringt, aufzustehen und das gemütliche Zimmer zu verlassen. Der nächste Notfall steht an.

Dieses Mal eine Sportverletzung auf einem Trampolin. Der Notarzt wird von einem Freund zum Verletzten gebracht. Dieser liegt stöhnend vor Schmerz direkt in der Mitte des Trampolins und schafft es nicht mehr, selbst aufzustehen. Die Rettungssanitäter und der Arzt betreten die umgebenden Matten, doch das macht es nicht einfacher, den Mann unter Schmerzen aufzurichten. Er hält beschützend seinen Arm fest und beißt die Zähne zusammen, während die Rettungssanitäter ihn an dem gesunden Arm halten und versuchen, ihn aufzurichten. Immer wieder stöhnt er dabei auf, wenn er wieder wegrutscht und zurück auf die Seite fällt. Mit einem Ruck funktioniert es dann und er wird zu der nächsten Sitzgelegenheit gebracht.

Dort wird dem Patienten direkt ein Zugang gelegt, während er beschreibt, wie er gefallen ist. Der Arzt nickt und betastet dessen Schulter. „Klar ausgerenkt“, bestätigt er und bittet die Rettungssanitäter, den Patienten in den Rettungswagen zu schaffen. Mittlerweile hat sich bereits eine Traube aus Menschen um sie gebildet, die neugierige Fragen stellen und beobachten, was passiert. Ein kleiner Junge tritt vor, um den Arzt direkt zu fragen, doch der blockt ab.

„Das ist hier keine Reality Show, sondern das echte Leben, wo es nicht in Ordnung ist, Leute so schamlos zu begaffen.“

Gustav Müller

Notarzt

Das Equipment, ein schwerer Rucksack, der jedes Mal dabei ist, wird wieder eingepackt und sie bringen den Mann in das Auto. Dort kann er weiter behandelt werden. Seine Freunde begleiten die Sanitäter nach draußen, bleiben aber vor dem Wagen stehen.

Auf der Liege bekommt der Patient Schmerzmittel und eine Kurznarkose, sodass er sich entspannt und möglichst wenig Schmerzen hat. Mittlerweile suchen Herr Müller und die Rettungssanitäter nach einem entsprechenden Tuch, das unter die Achsel gelegt werden kann, um den Arm in eine passende Position zu bringen. So kann er vom Arzt besser wieder eingerenkt werden.

Der Patient fängt an, von einem Strand zu erzählen und zeigt nun deutlich weniger Reaktionen auf die Schmerzen in seiner Schulter. Dies nutzt der Arzt und presst seinen Fuß in die Achsel, während diese mit dem Tuch in die entgegengesetzte Richtung gezogen wird. Der Patient schreit auf, doch noch ist es nicht geschafft.

Drei Versuche später und mit einem befriedigenden Ploppen sitzt der Arm wieder dort, wo er hingehört. Alle scheinen erleichtert, dass der Patient nun endlich ins Krankenhaus gebracht werden kann. Herr Müller kommt allerdings nicht mit, da der Patient stabil ist.
Stattdessen gönnt sich der Arzt zum Mittagessen einen Döner. Tatsächlich ist der Preis dort für ihn reduziert. Der Besitzers erklärt, dass er damit Respekt vor den Menschen zeigen möchte, die täglich Menschenleben retten.

Nacht des Horrors

Nach anstrengenden Stunden scheint der Tag nun fast vorbei zu sein. Es ist 19 Uhr, noch eine Stunde bis zum Schichtende und dennoch sind nach wie vor alle voller Adrenalin und bereit, weiterhin zu helfen.

Ein Piepen und Herr Müller steht routiniert auf, um sich seine Jacke anzuziehen. Doch dieses Mal ist die Stimmung deutlich anders. Weniger Scherze oder Erzählungen von vorherigen Einsätzen, mehr konzentrierte Stille. Während der Fahrt hält Martin die Augen fest auf die dunkle Straße gerichtet, während der Notarzt sich bereits die Gummihandschuhe anzieht und mit gekräuselter Stirn ebenfalls die Straße betrachtet. Beide sind ruhig, reden nur über wichtige Details des Notfalls und scheinen sich bereits gedanklich auf das Kommende vorzubereiten. Der nächste Fall ist ein Kind mit schweren Brandverletzungen. „Erfahrungsgemäß”, erzählt der Rettungssanitäter, „kommen solche Fälle oft bei häuslicher Gewalt vor.“
Als wir ankommen, ist der Rettungswagen bereits da und die Sanitäter verlassen zusammen mit einem erschrockenen und gehetzt wirkenden Vater, der sein Kind trägt, das Haus. Es war glücklicherweise keine Gewalt, sondern ein ehrliches Versehen, da eine Schüssel mit heißem Wasser von der Tischkante auf das Kind fiel, doch das macht die Situation kaum besser.

Das Mädchen zittert, weil es mit eiskaltem Wasser geduscht wurde und muss sofort zugedeckt werden. Die Verbrennungen reichen vom Bauch bis unter das Knie, teilweise ist dort die komplette obere Hautschicht weg. Das Kind weint nicht. Es ist offensichtlich erschrocken und verstört, bleibt aber erstaunlich ruhig. Der Arzt gibt der jungen Patientin ein starkes Schmerzmittel, um die Schmerzen vorerst zu lindern, doch die erste Dosis ist zu hoch und sie vergisst zu atmen. Dies wird schnell gelöst, indem sie beatmet und aufgeweckt wird, doch diese Situation versetzt dem Vater einen weiteren Schock. Hilflos steht er neben dem Rettungswagen und beobachtet das Geschehen. Als einer der Rettungssanitäter den Wagen verlässt, folgt er diesem sofort und fragt, was los ist und was er tun soll.

Bei der Übermittlung der Verletzungsschwere kommt es zu einigen Kommunikationsfehlern. Vorerst wird der Rettungsdienst an das nächste Kinderkrankenhaus verwiesen. Eine solche Brandverletzung würde allerdings eigentlich eine andere Art der Behandlung benötigen, so Herr Müller. Dieses Mal fährt er im Rettungswagen mit. Das Kind ist bei Bewusstsein und schaut sich neugierig um.

Während der Fahrt redet das Kind mit den Anwesenden und unterhält sich mit ihnen über die Schule und dessen Familie. „Hoffentlich kann ich morgen wieder in die Schule, ich habe nämlich einen Test und will den nicht verpassen“, erzählt es. Zwischendurch fängt sie immer wieder an, zu wimmern und bittet darum, mehr Schmerzmittel zu bekommen. Sowohl der Arzt als auch der Rettungssanitäter im Wagen sind offensichtlich betroffen und haben Probleme damit, ihren Schock nicht zu zeigen. Dies zeigt sich besonders darin, dass sie die meiste Zeit nur still dem Kind zuhören, während ihre ernsten Blicke starr auf die Wand gerichtet sind.

Die Fahrt dauert dieses Mal länger als sonst, bis das Krankenhaus erreicht ist. Dieses wurde offensichtlich bereits informiert, doch sie wirken überfordert mit solch einem Fall. Das Kind bemerkt die schockierten Reaktionen auf seine Verletzung und fängt nun zum ersten Mal an, zu weinen. Es hyperventiliert und bittet um Beatmung, da es die eigenen Gefühle nicht im Griff hat.
Nach der ruhigen Autofahrt ist diese Reaktion unerwartet und der Arzt folgt dem Krankenhauspersonal, um behilflich zu sein. Er steht neben der Trage und versucht, das Mädchen zu beruhigen, indem er mit ihr zusammen atmet und erklärt, was jetzt passieren wird.

Herr Müller bleibt noch über eine Stunde in dem Krankenhaus und hilft, die Lage weitestgehend zu stabilisieren. Zurück im Rettungswagen hat sich die Stimmung bei den abgehärteten Rettungssanitäter bereits wieder aufgelockert und sie scherzen miteinander herum. Natürlich gebe es immer Situationen, die einen ewig verfolgen, doch davon könne man sein Leben nicht bestimmen lassen.

Anderthalb Stunden nach dem eigentlichen Dienstschluss ist der Notarztwagen wieder zurück auf der Rettungswache. Der Tag war letztendlich doch aufregender,als er zu Beginn wirkte. Heute hat man gesehen, wie selbst ein Nothelfer nicht immer helfen kann oder helfen darf. Nicht jeder kann geheilt werden. Dennoch haben sie eine unglaubliche Arbeit geleistet und auf eine Weise Leben gerettet, die jeden Respekt verdient . Von Dönermännern, Eltern und kleinen Mädchen.

Text: Josephine Singer, Titelbild: Thorsten Töller

<h3>Josephine Singer</h3>

Josephine Singer

ist 20 Jahre alt und studiert nun im 3. Semester Medienmanagement. Sie kommt aus Leipzig und ist seit dem Wintersemester 2019 bei medienMITTWEIDA.