Homosexualität in den Medien: Die Paradiesvögel der Presse

von | 10. Oktober 2013

Der „Bund Lesbischer und Schwuler Journalisten“ (BLSJ) möchte mit seiner Broschüre „Schöner schreiben über Lesben und Schwule“ Hilfestellung im Umgang mit Homosexualität im journalistischen Arbeitsalltag geben. Absolut überflüssig oder herrscht […]

Der „Bund Lesbischer und Schwuler Journalisten“ (BLSJ) möchte mit seiner Broschüre „Schöner schreiben über Lesben und Schwule“ Hilfestellung im Umgang mit Homosexualität im journalistischen Arbeitsalltag geben. Absolut überflüssig oder herrscht noch unbewusste Diskriminierung in den Redaktionen der deutschen Printmedien?

Vorbei ist längst die heiße Jahreszeit und mit ihr ein Erlebnis, an das ich mich immer wieder gerne erinnere: Laute Musik, bunte und schillernde Kostüme, ausgelassene Stimmung Tausender auf den Straßen – und ich mittendrin. So etwas gibt es nur an Karneval? Von wegen. Die Rede ist vom „Christopher Street Day“: Umgeben von tanzenden Menschen in knapper und schriller Bekleidung mit Lack und Pailletten feiern und demonstrieren Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle für ihre Gleichstellung und gegen Homophobie. Denn bei den Regenbogenparaden gehört wenig Kleidung bekanntlich zum guten Stil.

„Keine Diskriminierung und Ausgrenzung von Homosexualität“ lese ich auf einem der Plakate der feiernden Demonstranten. Neben unzähligen Regenbogenfahnen zeigen die Festival-Besucher ihre homosexuelle Ausrichtung öffentlich und selbstbewusst und fordern nach dem Motto „let´s talk about sex“ die Gesellschaft zu sexueller Toleranz auf. Meinen sie damit nur die Gespräche auf der Straße? Oder geht es ihnen um mehr? Ich will es wissen: Wie offen und tolerant wird eigentlich in deutschen Printmedien über die homosexuelle Ausrichtung eines Menschen berichtet?

Tabuthema Homosexualität?

„Früher war Homosexualität ein verschwiegenes Thema – ein Igitt-Igitt-Thema und das ist heute zum Glück wesentlich anders geworden. Aber paradiesisch ist es immer noch nicht“, so Jan Feddersen, Redakteur der Tageszeitung „taz“. Thematisiert wird, was die überwiegend heterosexuelle Gesellschaft interessiert. Bleibt denn dabei überhaupt noch Platz für homosexuelle Themen? „Die LGBT-Berichterstattung in Deutschland hat aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren − parallel zur gesellschaftlichen, politischen und juristisch geführten Gleichstellungsdebatte − deutlich zugenommen“, meint Michael Schilling von der „Abendzeitung“ (AZ). Die Abkürzung LGBT steht dabei für die Berichterstattung über Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle und stammt aus dem Englischen. „Inzwischen denkt man auch in einigen Redaktionen weiter und greift Themen wie Regenbogenfamilien oder Diskriminierung von selbst auf“, ergänzt Norbert Blech, Chefredakteur des schwul-lesbischen Online-Magazins „queer.de“.

Im Grunde scheint sich also jeder Journalist über den korrekten Umgang von Homosexualität in der Berichterstattung klar zu sein. Doch stimmt das wirklich? Gerade unbewusst diskriminierende Ausdrücke gibt es leider immer wieder − Fettnäpfchen sind vorprogrammiert. „Hetero-Kollegen fragen sich natürlich öfter mal: Wie drückt man einen Sachverhalt am besten aus, ohne problematische Begriffe zu benutzen? Aber über eine Streitfrage redet man und entpolitisiert sie dadurch“, meint Stefan Plöchinger, Chefredakteur von „Süddeutsche.de“. Plöchinger ist selbst schwul und kennt die Vorsicht unter seinen Kollegen. Keine Zeit für eine entsprechende Recherche oder etwa doch Unwissenheit des Redakteurs? „Wir glauben, dass vielen Journalisten einfach noch die letzte Textsicherheit fehlt. Redakteure berichten regelmäßig über ‚überzeugte Lesben‘, ‚bekennende Schwule‘ oder ein ‚Homosexuellen-Milieu‘ − ganz so, als handele es sich um etwas Verbotenes“, entgegnet Martin Munz, ehemaliges Vorstandsmitglied vom „Bund Lesbischer und Schwuler Journalisten“ (BLSJ).

Bunt, schrill und voller Klischees

Wer Klatsch und Tratsch liebt, liest Boulevard. Klischees und Vorurteile sind dabei häufig nicht weit: „Je ‚boulevardiger‘ der Titel oder der Sender, desto schriller der Schwule, desto klischeehafter die Lesbe – das ist nach meinem Eindruck schon noch zu oft die Regel“, meint Plöchinger von „Süddeutsche.de“. Die Konsequenz ist eine verzerrte Wahrnehmung des Lesers über Schwule und Lesben. Vorurteile erscheinen bald als Realität und homosexuelle Menschen rücken häufig in einen falschen Kontext. „Natürlich ist der Boulevard mit seinen Zuspitzungen erst einmal anfälliger. Genauso häufig protestieren wir aber auch gegen unsägliche Formulierungen in den Abonnementzeitungen, wie der ‚Süddeutschen Zeitung‘, der ‚FAZ‘, ja sogar in der ‚taz‘“, entgegnet hingegen der ehemalige „BLSJ“-Vorstand Munz. Denn mit jedem diskriminierenden Ausdruck wird eine stärkere Integration einer Gruppe in der Gesellschaft geschwächt.

Klischees und Vorurteile bestimmen Schlagzeilen und Auflagen. Je überzogener die Darstellung, desto mehr Interessenten am eigenen Blatt. „Ich lese und sehe eben wenig Geschichten über Leute wie mich, die in 15-jährigen, geradezu spießigen Beziehungen leben. Vielleicht, weil sie nicht so spannend wären“, meint der Chefredakteur von „Süddeutsche.de“ Plöchinger über seine gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Denn welchen Stellenwert hat tatsächlich die Homosexualität eines Menschen auf eine objektive Berichterstattung? „Also mir ist keine Zeitung bekannt, die die Arbeit des Außenministers Westerwelle jemals in Zusammenhang mit dessen ‚Schwulsein‘ kommentiert hätte und die Nachrufe auf Dirk Bach wären nicht freundlicher ausgefallen, hätte er zu Lebzeiten Frauen geliebt“, so Schilling von der „AZ“.

Kein Platz für Homosexualität im Lokalen?

Egal ob Vorort einer Stadt oder Seelendorf auf dem Land – fest steht: die lokale Presse berichtet selten über aktuelle Themen für und von homosexuellen Bewohnern. „Sie werden von den Journalistinnen und Journalisten als soziale Gruppe vergessen. Dabei wäre es für die Akzeptanz so wichtig, dass Lesben und Schwule auch auf dem Land als Teil der Gemeinschaft dargestellt und wahrgenommen werden“, so Martin Munz vom „BLSJ“. Scheinbar fehlt es lokalen Redakteuren an Mut und an Überwindung, über Homosexualität in ihrem Umfeld zu berichten. „Als Lokal-Journalist ist natürlich mehr Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein gefragt als von einem Spiegel-Autor, der über Menschen in Berlin schreibt“, entgegnet hingegen Torsten Kleditzsch, Chefredakteur der mittelsächsischen Tageszeitung „Freie Presse“, die regelmäßig über Queer-Veranstaltungen aus der Region berichtet.

In vielen kleineren Redaktionen herrsche nach wie vor eine gewisse Unsicherheit und eine verkrampfte Berichterstattung zur homosexuellen Thematik. „Denn oft fehlt dort für nicht-tagesaktuelle Themen einfach der Einblick, der Ansprechpartner und vielleicht auch das Interesse“, erklärt der „queer.de“ -Chefredakteur, Norbert Blech.

Doch liegt eine lokale Berichterstattung über Homosexualität eigentlich auch im Sinne der homosexuellen Protagonisten? „Die Reaktionen auf eine ‚AZ‘-Geschichte über ein lesbisches und ein schwules Paar mit einer gemeinsamen Tochter waren so positiv und ermutigend, dass wir der erbetenen Zweitveröffentlichung im Kölner ‚Express‘ zugestimmt haben“, so der „AZ“-Lokalchef Schilling. Für diese „queere Berichterstattung“ gab es laut Schilling auf hetero- wie auf homosexueller Seite stets positives Feedback. Also weshalb nicht eine explizit homosexuelle Berichterstattung auch in anderen lokalen Redaktionen wagen?

Der Knigge für tolerante Schreibmanieren

„Der Titel ‚Schöner Schreiben über Lesben und Schwule‘ ist als augenzwinkernde Analogie zum bekannten Zeitschriftentitel ‚Schöner Wohnen‘ zu verstehen. Diesen kleinen Rückgriff auf die ‚gute alte Printwelt‘ haben wir uns erlaubt“, erklärt der ehemalige „BLSJ“-Vorstand Martin Munz augenzwinkernd. Als kollegialer Leitfaden formuliert, soll der Knigge Hilfestellung bei offenen Fragen und Unsicherheiten zur Thematik geben. Ziel ist es also, zukünftig unbewusst diskriminierende Ausdrucksweisen zu vermeiden. „Wir liefern Praxistipps mit Formulierungen, die korrekt und mindestens genauso eingängig sind. Denn es bringt ja nichts, mit dem spitzen Zeigefinger zu tadeln und dabei die Zwänge des Redaktionsalltages galant beiseite zu wischen“, erklärt Munz weiter. Das schwul-lesbische Magazin „queer.de“ war ebenfalls an der Entstehung des Knigges des „BLSJ“ beteiligt. „In einem Detail weichen wir jedoch derzeit von ihr ab: Wir benutzen seit jeher ‚Homo-Ehe‘ als Synonym für Lebenspartnerschaft. Geht es um die echte Ehe, sprechen wir etwa von ‚Ehe-Öffnung‘“, erklärt Norbert Blech, Chefredakteur des Magazins „queer.de“.

Wie gut die Broschüre bei den Kollegen tatsächlich ankam, zeigen die Reaktionen der Journalisten: „Fast alles, was in der Broschüre steht, teile ich. Und trotzdem: wenn dann ‚Bradley Manning‘ zu ‚Chelsea Manning‘ wird, ist in den ersten Minuten die Verwirrung darüber noch groß, wie wir die Verwandlung jetzt genau in Worte fassen“, erklärt Stefan Plöchinger, Chefredakteur von „Süddeutsche.de“. Erst im Sommer diesen Jahres gab der wegen Geheimnisverrats verurteilte WikiLeaks-Informant bekannt, in Zukunft als ‚Chelsea Manning‘ und Frau sein weiteres Leben zu führen. Die „Abendzeitung“ kritisiert hingegen den „BLSJ“-Aufruf zur öffentlichen Bekenntnis zur eigenen Sexualität. „Mir persönlich missfiel der darin geäußerte Appell, lesbische und schwule Promis mögen sich doch bitte outen. Ob und wie jemand mit seiner sexuellen Orientierung öffentlich umgeht, sollte ihr oder ihm schon selbst überlassen sein“, meint Michael Schilling von der der „AZ“. Denn die eigene Sexualität sei in jedem Falle Sache jedes Einzelnen. „Also ich finde die Broschüre gutherzig − aber die ‚taz‘ braucht so etwas nicht. Denn manche Sachen verstehen sich einfach von selbst“, meint der „taz“-Redakteur Jan Feddersen.

Für viele Redaktionen ist der korrekte Umgang mit Homosexualität in der Berichterstattung eben scheinbar noch keine Selbstverständlichkeit. Ich wünsche mir von lokaler sowie überregionaler Presse zukünftig mehr Geschichten aus dem alltäglichen Leben homosexueller Menschen in der Gesellschaft zu erfahren. Denn eine lebensnahe Berichterstattung stärkt die Integration und baut auf Dauer bestehende Vorurteile ab. Als zukünftige Chefredakteurin von medienMITTWEIDA werde ich mich, wann immer nötig, an den BLSJ-Knigge halten. An die alten Hasen aus den lokalen Redaktionen: Nur Mut!

Text: Annika Hauke, Bild: Wikimedia Common | Medvedev, Bearbeitung: Susann Kressner

<h3>Annika Hauke</h3>

Annika Hauke

Chefredakteurin